Verteidigungspolitik:Neue nordische Kombination

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"Härtetest für alles, woran wir glauben": Dänemark - hier Soldatinnen und Soldaten in Aalborg - will sich künftig an der EU-Sicherheitspolitik beteiligen. (Foto: Henning Bagger/AFP)

Nato nein und EU ja. Oder Nato ja, dafür aber eher EU-skeptisch - die skandinavischen Länder waren sicherheitspolitisch stets eigenwillig. Das ändert sich gerade.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Zeitenwende, nächstes Kapitel: Diese Woche ist Dänemark dran. Das EU-Mitgliedsland, in dem man bislang Wahlen gewinnen konnte, wenn man nur größtmögliche Distanz zur Europäischen Union versprach. So wie Mette Frederiksen das bislang gehalten hatte, die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Dänemarks. Vergangenen Sonntag aber trat Frederiksen gemeinsam mit den Führern von vier anderen Parteien vor ihr Volk und verkündete nicht weniger als eine 180-Grad-Kehrtwende der dänischen Politik: Dänemark soll sich in Zukunft beteiligen an der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU. Von der hatte das Land bislang bewusst Abstand gehalten. Dazu werde man zum 1. Juni hin ein Referendum vorbereiten.

So abgedroschen das Wörtchen "historisch" klinge, schrieb die bürgerliche Zeitung Berlingske hernach - es gebe keine treffendere Vokabel für den Schwenk der dänischen Politik. Putins brutaler Einmarsch in die Ukraine habe "eine neue Ära in Europa eingeläutet, eine neue Realität", sagte Mette Frederiksen auf der Pressekonferenz in Kopenhagen, auf der sie das gemeinsame Papier der fünf Parteien vorstellte. Neben der überraschenden Umarmung der EU-Verteidigungspolitik verspricht das Papier eine gewaltige Erhöhung der Militärausgaben und eine Verringerung von russischen Energie-Importen. "Der Kampf der Ukraine ist nicht nur einer der Ukraine, er ist ein Härtetest für alles, woran wir glauben, unsere Werte, Demokratie, Menschenrechte, Frieden und Freiheit", sagte Frederiksen.

Dänemark war nie neutral - aber stets zögerlich gegenüber der europäischen Integration

Dänemark war 1949 eines der Gründungsmitglieder der Nato, das Land war also - anders als die nordischen Nachbarn Schweden und Finnland - in der Nachkriegszeit nie neutral. Skepsis gegenüber einer Vertiefung der EU-Integration fand jedoch in Dänemark immer fruchtbaren Boden, so dass eine Mehrheit der Dänen im Juni 1992 Nein sagte zum Vertrag von Maastricht. Um im zweiten Anlauf doch noch eine Mehrheit zu ermöglichen, bekamen die Dänen eine Extrawurst gebraten: Die EU handelte mit Kopenhagen eine Opt-out-Klausel aus, die den Dänen unter anderem das Ausscheren aus der gemeinsamen Verteidigungspolitik erlaubte. Seither verlässt in der Regel der dänische Minister den Raum, wenn bei Treffen der EU-Außenminister die Sicherheits- und Verteidigungspolitik an der Reihe ist.

Nun merkt das Land, was dies bedeutet. In den kommenden Wochen und Monaten wird eine wichtige Sitzung zur Sicherheit die nächste jagen, es wird die EU-Verteidigungspolitik neu austariert, es werden Entscheidungen getroffen für eine neue strategische Ausrichtung, für eine Stärkung der militärischen Schlagkraft der Union, für die zukünftige Kooperation mit der Nato. Und Dänemark ist außen vor. "Wir haben keine Stimme in der Diskussion, keine dänischen Beamten in den relevanten Gremien und keinen Einfluss auf das Ergebnis", resümiert das liberale Blatt Politiken.

Die Zeitung Information sieht in dem nun angekündigten Schritt gar das Ende des "provinziellen" Habitus der dänischen Nation, für den Mette Frederiksen die vergangenen Jahre das herausragende Symbol gewesen sei: Die Premierministerin habe vor lauter "Dänemark-Pathos" keine Welt mehr gesehen. "Mette Frederiksens Urlaub von der Geschichte ist vorbei", titelte das Blatt: "Dänemark braucht eine Außenpolitik."

Erstmals Mehrheiten in Schweden und Finnland für einen Nato-Beitritt

Eine am Dienstag veröffentlichte erste Umfrage der Zeitung Politiken und des Senders TV2 legt nahe, dass die Mehrheit der Dänen diesmal für die Integration mit der EU-Verteidigungspolitik stimmen wird: 55 Prozent der Befragten gaben an, mit Ja stimmen zu wollen, lediglich 23 Prozent lehnten das Vorhaben ab. Auch die Erhöhung des dänischen Verteidigungshaushaltes auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) bis zum Jahr 2033 fand in der Umfrage eine breite Zustimmung. Im Moment liegt der Anteil bei 1,44 Prozent des BIP. Die "wegweisende" Kehrtwende des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz bei den Militärausgaben habe dabei den entsprechenden Schritt in Dänemark "stark vorangetrieben", glaubt Berlingske.

Die russische Invasion in der Ukraine bringt auch anderswo in den nordischen Staaten alte Tabus ins Wanken: Schweden und Finnland diskutieren schon seit Wochen, ob sie sich im Angesicht der Aggressivität Russlands ihre Bündnisfreiheit noch leisten können. Umfragen der letzten Tage haben in beiden Staaten erstmals Mehrheiten für einen Nato-Beitritt festgestellt. Die Debatte darüber hat in Stockholm und in Helsinki gerade erst begonnen. Die Verschiebungen in Europas Norden sind Anschauungsmaterial für das, was Ursula von der Leyen in ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament am 1. März feststellte. Die europäische Sicherheit und Verteidigung, sagte die EU-Kommissionspräsidentin da, habe sich "in den letzten sechs Tagen mehr entwickelt als in den zwei Jahrzehnten davor".

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