Katholische Kirche:Historisches Urteil im Vatikan: Erstmals Haftstrafe für einen Kardinal

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Schuldig: der italienische Kardinal Angelo Becciu. (Foto: Maria Laura Antonelli /imago images/AGF)

Im großen Finanzprozess um einen fragwürdigen Millionendeal ist das Urteil gesprochen. Noch nie zuvor ist ein Kardinal von einem Vatikan-Gericht zu einer Haftstrafe verurteilt worden.

Von Marc Beise, Vatikanstadt

Im katholischen Rom herrscht Weihnachtsvorfreude, die Stadt ist reich geschmückt, und in den Gottesdiensten ist von Gnade und Barmherzigkeit die Rede - aber für diesen Kirchenoberen war das Maß voll: Der italienische Kardinal Angelo Becciu, 75, wurde am späten Samstagnachmittag von einem Gericht des Kirchenstaats wegen Betrugs und Unterschlagung zu fünfeinhalb Jahren Haft, einem ständigen Ausschluss von öffentlichen Ämtern und einer Geldstrafe von 8000 Euro verurteilt. Becciu ist der erste Kardinal jedenfalls in der jüngeren Kirchengeschichte, der von der Vatikan-Justiz verurteilt worden ist. Der Staatsanwalt hatte eine Haftstrafe von sogar sieben Jahren und drei Monaten sowie eine hohe Geldstrafe gefordert. Beccius Anwälte kündigten an, gegen das Urteil Einspruch einzulegen.

Neben dem Kardinal waren neun weitere Menschen - Kirchenvertreter und Private - wegen Delikten wie Erpressung, Geldwäsche, Betrug, Korruption, Veruntreuung und Amtsmissbrauch angeklagt. Das Gericht unter dem Vorsitzenden Richter Giuseppe Pignatone verurteilte einige von ihnen zu Haftstrafen und Geldbußen, andere wurden freigesprochen. Zu den Verurteilten gehören auch mehrere Finanzberater, die an zweifelhaften Geschäften des Vatikans beteiligt waren.

Damit endete nach zweieinhalb Jahren und 86 Prozesstagen ein Finanzprozess, der alle bisherigen Dimensionen sprengte. Das liegt vor allem an der Person des Hauptangeklagten. Kardinal Becciu war viele Jahre, von 2011 bis 2018, Substitut im Staatssekretariat und damit zweitwichtigster Mann in der zentralen Kirchenleitungsbehörde im Vatikan. Nach Ansicht des Gerichts trägt er die Hauptverantwortung für ein verlustreiches Immobiliengeschäft, das der Vatikan ab 2014 in London tätigte.

Über einen Finanzdienstleister investierte das Staatssekretariat damals einen dreistelligen Millionenbetrag in ein früheres Lagerhaus des Warenhauskonzern Harrods in bester Lage im Londoner Stadtteil Chelsea, das zu einer Luxusgeschäftsimmobilie ausgebaut werden sollte. Der Deal entwickelte sich zum Flop, am Ende musste der Vatikan mit hohem Abschlag verkaufen. Die Art der Geschäftsbeziehung warf viele Fragen auf. Insgesamt soll der Schaden für den Vatikan bei rund 150 Millionen Euro liegen.

570 000 Euro halfen nicht einer entführten Ordensfrau in Mali, sondern wurden für Mode und Luxus ausgegeben

Doch damit nicht genug. Das Gericht ging auch dem Verdacht nach, dass der Kardinal Sozialorganisationen in seiner Heimat Sardinien, die von Verwandten geführt wurden, mit insgesamt 125 000 Euro aus der Vatikan-Kasse begünstigt habe. Und er soll Mitschuld daran tragen, dass eine Geschäftsfrau und angebliche geopolitische Expertin - in den Medien die "Dame des Kardinals" genannt - den Vatikan mutmaßlich um 570 000 Euro prellte. Mit dem Geld sollte sie die Befreiung einer entführten Ordensfrau in Mali organisieren, stattdessen hatte sie es für Mode und andere Luxusgüter ausgegeben. Sie erhielt eine Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten.

Namentlich Becciu hatte mit allen Mitteln gegen seine Verurteilung gekämpft. Mitarbeiter wurden belastet, die Anklage als voreingenommen kritisiert, Beweise bestritten, Informationen wurden an die Presse durchgestochen. Im Laufe des Prozesses kam heraus, dass Becciu sogar ein Telefonat mit seinem früheren Förderer, Papst Franziskus, heimlich hatte aufzeichnen lassen, in dem er vom Papst hören wollte, dass dieser über alle maßgeblichen Aktivitäten informiert gewesen und mit ihnen einverstanden gewesen sei - woran dieser sich jedoch nicht wirklich erinnern konnte.

Franziskus hatte lange gezögert, Becciu fallen zu lassen. Zwar löste er ihn 2018 im Staatssekretariat ab, machte ihn dann aber zum Präfekten - also zum Leiter - der Heiligsprechungskongregation, was die einen als vorgezogenen Freispruch interpretierten, die anderen als ein Abschieben des in Ungnade Gefallenen auf einen nicht so wichtigen Posten. Im Jahr 2020 nahm ihm der Papst dann dieses Amt wieder ab und auch seine wesentlichen Rechte als Kardinal, auch wenn er den Titel weiter tragen darf.

Nur milde verurteilt wurde jetzt der ehemalige vatikanische Finanzaufseher René Brülhart. Der Schweizer war 2019 als Experte hinzugezogen worden, als das Londoner Geschäft bereits außer Kontrolle geraten war. Schon Papst Benedikt hatte auf dessen Dienste zurückgegriffen. Brülhart wurde Präsident der päpstlichen Finanzaufsicht, allerdings ohne operative Aufgaben, Ende 2019 gab er das Amt wieder ab. Dennoch war er mitangeklagt, nicht eingegriffen und verdächtige Zahlungen nicht gestoppt zu haben, die Anklage forderte eine mehrjährige Haftstrafe. Das Gericht sprach ihn aber vom Vorwurf der Mitwirkung an Unterschlagungen und betrügerischen Machenschaften frei und hielt ihm nur zur Last, die verdächtigen Vorgänge nicht bei der vatikanischen Justiz angezeigt zu haben. Dafür gab es eine Geldstrafe von 1750 Euro.

Gewagte Finanztransaktionen waren im Vatikan lange üblich, auch über Geschäfte mit der Mafia wird vielfach berichtet. Das alles wurde begünstigt durch die Geheimhaltungsstruktur im Vatikan, den dort herrschenden Korpsgeist - und die ständige Finanznot des Heiligen Stuhls, der zwar ein großes Immobilienvermögen vor allem in Rom hat, aber trotzdem notorisch klamm ist. Seit vielen Jahren und trotz aller Einsparbemühungen sind die Ausgaben immer höher als die Einnahmen. Allein die Personal- und Verwaltungskosten werden mit etwa 300 Millionen Euro jährlich angegeben, das jährliche Defizit liegt bei bis zu 60 Millionen Euro.

Die Finanzen bekümmern Franziskus seit seinem Amtsantritt vor zehn Jahren, wie auch schon seinen Vorgänger, den deutschen Papst Benedikt XVI. Franziskus hat mehrfach seine Abscheu über den Prunk und Luxus deutlich gemacht, in dem manche der höchsten Würdenträger leben, und das Laster der Gier gegeißelt. Der Papst entzog dem Staatssekretariat die Verfügungsgewalt über Vermögenswerte und übergab sie der vatikanischen Güterverwaltung (APSA) sowie der Vatikanbank IOR. Seitdem verlaufen die Geschäfte offenbar geordneter, ist zu hören.

Der Geldnot des Heiligen Stuhls ist damit aber nicht abgeholfen. Noch am Donnerstag hat sich der Papst mit zwei seiner wichtigsten Führungskräfte für Finanzfragen beraten. So empfing er zunächst den Koordinator des vatikanischen Wirtschaftsrats, den Münchner Kardinal Reinhard Marx, später APSA-Chef Pater Giordano Piccinotti. Zwei Tage zuvor hatte der Vatikan einen Brief des Papstes an die Mitarbeiter seines Wirtschaftsrats veröffentlicht, in dem er sich besorgt über das anhaltende Defizit des Heiligen Stuhls äußerte und die Mitarbeiter aufforderte, das Problem zu lösen.

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