Aufrüstung gegen Russland:Tut der Westen genug für die Ukraine?

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US-Präsident Joe Biden am Mittwoch im Weißen Haus. (Foto: Tom Brenner/Reuters)

Keine Flugverbotszone, keine Kampfjets: Trotzdem erhalte die Ukraine die Hilfe, die sie brauche, argumentiert das Weiße Haus.

Von Fabian Fellmann, Washington

Der Appell von Wolodimir Selenskij war eindringlich und direkt. "Ist es zu viel, wenn ich um eine Flugverbotszone über der Ukraine bitte, um Menschen zu retten?", flehte der ukrainische Präsident diese Woche den US-Kongress an. Direkt hat ihm niemand darauf geantwortet. Aber aus den Verlautbarungen von USA und Nato kann Selenskij schließen: Es ist zu viel.

Joe Biden haben Selenskijs Bitten in ein moralisches Dilemma gestürzt. Kann der US-Präsident Russland nicht von seinem Kriegskurs abbringen, droht das Massaker an der ukrainischen Bevölkerung weiterzugehen. Doch die Durchsetzung einer Flugverbotszone bärge die große Gefahr eines Dritten Weltkriegs, möglicherweise gar eines nuklear geführten. Dieses Risiko wollen die USA und die Nato bisher nicht eingehen.

Die Abwägung ist sinnvoll, ja zwingend - und trotzdem lässt sie den Westen angesichts des Kampfs der Ukrainer um das nackte Überleben als halb- und kaltherzig erscheinen. Das Weiße Haus hat darum mit einer Kommunikationsoffensive einen eigenen, rechtfertigenden Spin zu verbreiten begonnen. Erstens könne eine Flugverbotszone das Leid der Zivilisten in der Ukraine nicht beenden, argumentierte etwa Präsidentensprecherin Jen Psaki. Der jüngste russische Angriff auf die Westukraine mit Explosionen 15 Kilometer vor der polnischen Grenze kam laut amerikanischer Darstellung von einem Bomber, der im russischen Luftraum flog; eine Flugverbotszone tauge nicht, um solche Attacken zu verhindern.

Kriegt die Ukraine bereits genug?

Zweitens, sagte Joe Biden am Mittwoch in einer Antwort auf Selenskij, lieferten die westlichen Alliierten bereits genau jene Waffen, welche die ukrainische Verteidigung benötige, um ihren Luftraum möglichst gut selbst abzusichern. Gemeint sind damit vor allem die Stinger-Raketen, von denen die USA der Ukraine bereits 600 Stück geliefert haben, 800 weitere sollen in den nächsten Tagen folgen. Die tragbaren Raketen eignen sich, um tief fliegende Flugzeuge und Hubschrauber vom Himmel zu holen.

Um zu beweisen, dass die USA nicht untätig sind, publizierte das Weiße Haus ausführliche Listen der bereits zugestellten Waffen und der geplanten Lieferungen der nächsten Wochen, im Umfang von zwei Milliarden Dollar seit Anfang des Jahres. Von den tragbaren Javelin-Raketen, die sich zum Stoppen russischer Panzer eignen, haben die Alliierten bisher 17 000 Einheiten in die Ukraine verschoben. Auch erhielt Kiew mehrere Millionen Einheiten Munition und leichte Waffen sowie weitere Ausrüstung, etwa Radareinheiten und zur Abwehr elektronischer Kriegsführung.

Zusätzlich will das Weiße Haus der Ukraine nun helfen, Nachschub an Raketen mit längerer Reichweite zu erhalten, um auch höher fliegende russische Bomber abzuwehren. Im Gespräch sind S-300 aus sowjetischer und russischer Fabrikation; amerikanische Offizielle wollten dazu zunächst aber keine Details nennen und betonten, es gäbe eine ganze Reihe geeigneter Waffensysteme. Die Zurückhaltung dürfte unter anderem diplomatische Gründe haben: Am Donnerstag reiste Verteidigungsminister Lloyd J. Austin für Gespräche in die Slowakei - eines der Länder, das der Ukraine S-300 angeboten hat. Denkbar ist, dass die Amerikaner der Slowakei im Gegenzug Ersatz zur Verfügung stellen.

USA schicken Kamikaze-Drohnen

Erstmals schickt das Pentagon auch Kamikaze-Drohnen. Die Fluggeräte namens Switchblade passen in einen Rucksack. Sie fliegen je nach Version 15 bis 40 Minuten und stürzen sich mit einer Bombe auf ihre Ziele. Sie eignen sich für Angriffe auf Bodentruppen. Das Beispiel zeigt einmal mehr, wie dünn die Linie ist, auf der sich das Weiße Haus bewegt, um die Bedürfnisse der Ukraine zu erfüllen, ohne allzu aggressiv gegen Russland zu wirken.

Präsident Biden betont stets, er stelle Kiew ausschließlich Waffen zur Verteidigung zur Verfügung. Die Lieferung von Angriffswaffen hingegen lehnt er ab - etwa Kampfjets. Diese Forderung Selenskijs erwähnte Biden diesmal gar nicht erst. Das Weiße Haus argumentiert, die Ukraine habe bisher nie ihre ganze bestehende Flotte eingesetzt. Außerdem sei die Gefahr zu groß, dass Russland das Einfliegen von Jets aus dem Nato-Luftraum in die Ukraine als Kriegsakt auffassen würde. Verfechter einer schärferen Linie machen geltend, Putin habe schon die bisherige Unterstützung als feindliche Akte aufgefasst. Sie scheinen jedoch auch nach Selenskijs Rede in der Minderheit zu sein.

Biden machte geltend, seine Strategie gehe auf: Dank der amerikanischen Waffen in den Händen der Ukrainer rückten die russischen Truppen nur langsam vor. Das Kalkül wäre also, dass die Ukrainer die Russen lange genug aufhalten, sodass Putin sich schließlich auf ernsthafte Verhandlungen einlässt.

USA: Russland zählt schon 7000 Tote

Um diese Argumentation zu stärken, veröffentlichten die amerikanischen Geheimdienste neue Schätzungen über die Opferzahlen unter den russischen Truppen. Sie gehen von bisher 7000 Toten aus. Das wären bereits mehr, als die USA während 20 Jahren in Irak und Afghanistan verloren. Der Kreml hat bisher nur ein paar hundert Opfer bestätigt.

Kritiker von Bidens vorsichtigem Kurs befürchten, dass Putin nicht entscheidend geschwächt wird, sondern sich eine Atempause verschafft, um seine Truppen zu verstärken, mit Nachschub zu versorgen und dann umso härter zuzuschlagen.

Selenskij scheint jedenfalls für sein Land viel erreicht zu haben: Er hat die amerikanische Öffentlichkeit im Willen bestärkt, der Ukraine zu helfen. Strategisch hat er es genau richtig gemacht: an die Moral appellieren und Maximalforderungen erheben, um möglichst viel herauszukriegen. "Es ist brillant. Es ist genau das, was er tun musste", sagte der Abgeordnete Tom Malinowski (Demokrat, New Jersey), früher für das Außenministerium tätig. "Der Zweck seiner Forderung nach einer Flugverbotszone war, uns schuldig fühlen zu lassen, dass wir sie nicht erfüllen können. Dafür arbeiten wir umso eifriger an allem, was wir tun können."

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