USA: Republikaner und Gesundheitsreform:Hass auf Obama

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Selten hat eine Opposition eine Regierung so alternativlos erscheinen lassen wie derzeit in Amerika: Die Republikaner sind laut, aber konfus.

Moritz Koch, New York

Vor dem Kapitol ragen rote Fäuste in die Luft. Sie drohen den Mächtigen. Solche Motive sind eigentlich das Markenzeichen marxistischer Splittergruppen. Doch dieses Logo hat andere Urheber. Konservative Organisationen rufen in Arbeiterführermanier zum "Marsch auf Washington". Für eine geplante Massendemonstration am 12. September bedient sich die amerikanische Rechte der Symbolik ihrer ideologischen Erzfeinde und behauptet dennoch standhaft: "Socialism sucks".

Beliebig ist der konservative Bürgerprotest, voller Zorn, doch ohne inhaltliches Ziel: Ein rechter Demonstrant mit einem Plakat, das Obama als "Joker", Batmans Erzfeind, zeigt. (Foto: Foto: AFP)

Die konfuse Bildsprache sagt viel über den konservativen Bürgerprotest, der die US-Medien seit Wochen beschäftigt. Beliebig ist er, voller Zorn, doch ohne inhaltliches Ziel. Barack Obama muss weg. Und dann? Mehr als Negation fällt den Agitatoren nicht ein. Selten hat eine Opposition eine Regierung so alternativlos erscheinen lassen.

Amerika ist nicht bereit

Wahnvorstellungen, gezielt verbreitet über Internetplattformen, Radiosendungen und Fox-News-Moderatoren, trieben die rechten Demonstranten auf die Straße. Ein schwarzer Mann im Weißen Haus habe sich der Sowjetisierung Amerikas verschrieben, glauben sie. Die Gesundheitsreform sei der Anfang vom Ende der Freiheit. Selbst am Leben von Großmüttern wolle Obama sich vergehen.

Offener Hass schlägt dem Präsidenten entgegen, der versprochen hat, das Volk zu versöhnen. Barack Obama träumte im Wahlkampf vom Ende der Teilung der USA in das blaue und das rote, das liberale und das konservative Lager. Doch Amerika ist nicht bereit dafür. Die Demokraten wollen ihre Mehrheit im Kongress ausspielen. Und Republikaner lassen sich die Marschrichtung vom rechten Rand diktieren. Damit laufen sie Gefahr, politisch bedeutungslos zu werden.

Zwar haben die Proteste die Opposition reanimiert. Doch als reine Protestpartei sind die Republikaner nicht mehrheitsfähig. Die meisten Wähler wollen Konzepte, keinen Krawall.

Aufruhr statt Lösungsvorschläge

Die Gelegenheit für konstruktive Kritik wäre günstig. Obama verliert an Rückhalt in der Bevölkerung. Der Gesetzesentwurf seiner Parteifreunde überzeugt selbst ihm wohlgesinnte Kommentatoren nicht. Das Land sehnt sich nach einer Alternative. Doch die Rechte verweigert sich dem Wettbewerb der Ideen. Sie unterbreitet keine Lösungsvorschläge, sie schürt Aufruhr. Mit dieser Fundamentalopposition vergiften die Republikaner das politische Klima - und letztlich schaden sie sich selbst.

Niemand kann bestreiten, dass eine Reform des Gesundheitswesens nötig ist. Eine Fortschreibung des Status Quo bedeutet schlicht den Staatsbankrott. Die Kosten laufen aus dem Ruder. Schon heute geben die USA weit mehr für den Gesundheitsschutz ihrer Bevölkerung aus als jedes andere Land der Welt, auch pro Kopf.

Das viele Geld macht Unternehmen reich, aber die Patienten nicht gesünder. 45 Millionen Amerikaner haben keine Gesundheitsversicherung, und selbst den Versicherten geht es nicht besser als den Bürger sparsamerer Staaten. Es sind drängende Fragen: Braucht Amerika eine staatliche Alternative zu den privaten Versicherungen? Was wird die Reform kosten? Wo lassen sich Effizienzgewinne erzielen? Muss der Spitzensteuersatz steigen, um die Reform zu finanzieren? Doch eine ernsthafte Debatte darüber findet derzeit fast ausschließlich innerhalb der demokratischen Partei und im Dialog mit den Bürgern statt.

Von rechts dröhnt nur der Lärm der Radikalen. Moderate Stimmen wie Mitt Romney, der als Gouverneur von Massachusetts eine wegweisende Gesundheitsreform auf den Weg gebracht hat, finden kaum Gehör. Die Leitfiguren der rechten Bewegung sind Alaskas zurückgetretene Gouverneurin Sarah Palin, der Washington-Insider Newt Gingrich und der Radio-Scharfmacher Rush Limbaugh. Mit ihren schrillen Tiraden monopolisieren sie das Medieninteresse an der Opposition.

Indem die Republikaner das zulassen, vergeben sie eine günstige Gelegenheit. In Zeiten der ausufernden Staatsverschuldung könnten sie sich als Partei der Haushaltsdisziplin profilieren. Als Vorkämpfer für einen schlanken Staat, den sich viele Amerikaner wünschen. Die Krise gäbe Anlass zur Rückbesinnung auf konservative Kernthemen.

Palins Horrorgeschichte

Doch die Angriffe der Republikaner auf die Gesundheitsreform gehen genau in die entgegengesetzte Richtung. Jeder Einsparversuch wird auf zynische Weise verteufelt. Die geschürte Angst um Oma ist das beste Beispiel. Der Hintergrund der Hysterie: Der von den Demokraten erarbeitete Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Senioren-Krankenkasse Medicare Beratungen bezahlt, bei denen sich Todkranke von einem Arzt über das Für und Wider von lebensverlängernden Maßnahmen informieren lassen können.

Es geht darum, die Kosteninflation in den Griff zu bekommen. Medizinische Eingriffe am Lebensende sind oft äußerst teuer und haben vielfach keinen Nutzen. Nirgendwo ist von der Einsetzung von Scharfrichtern die Rede, die entscheiden, wer es verdient zu leben und wer nicht. Palin und Co. halten dennoch an ihrer hanebüchenen Horrorgeschichte fest.

Noch fruchtet die Verbreitung von Unwahrheiten. Einer NBC-Umfrage zufolge glauben 45 Prozent der Amerikaner irrtümlich, dass die Regierung entscheiden will, wann die medizinische Versorgung von Senioren gestoppt werden soll. 55 Prozent erwarten fälschlicherweise, dass illegale Immigranten versichert werden sollen.

Doch die Strategie der Negation und Fehlinformation, derer sich die Republikaner bedienen, macht es der Regierung letztlich leicht, ihre Gegenspieler als Irrläufer abzuqualifizieren. Anfangs von der orchestrierten Empörung überrumpelt, hat sich Obama gefangen und profiliert sich wieder als Stimme der Vernunft. Je länger die Debatte dauert, desto mehr Einwände kann das Weiße Haus als Schauermärchen enttarnen. Und desto häufiger stellen die Republikaner bei ihren Protestzügen nichts als Konfusion zur Schau.

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