USA: Kongresswahlen:Schlussspurt in Richtung Ohrfeige

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Beim Spendensammeln legen die Demokraten vor, die Wahlumfragen bleiben trotzdem düster: Obamas Partei droht bei den Kongresswahlen abgewatscht zu werden. Mut macht ihr im Wahlkampf ausgerechnet ein früherer Gegner Obamas.

Michael König

Er hat abgenommen, von elf Kilogramm ist die Rede, und ernährt sich beinahe ausschließlich vegan. Bill Clinton sei noch sie so fit gewesen wie heute, raunen die Demokraten. Und freuen sich, denn sie können die Hilfe des 64 Jahre alten ehemaligen Präsidenten gut brauchen.

US-Wahl: Skurrile Kandidaten
:Hexen, Schummler, Waffennarren

Ungewöhnliche Politiker mischen in den USA derzeit den Wahlkampf auf, darunter eine ehemalige Hexe, ein Fan der Waffen-SS und eine Wrestling-Millionärin. Ähnlich fragwürdig sind so manche ihrer politischen Ziele. Die skurrilsten Kandidaten.

Mehr als 100 Auftritte hat Clinton in der laufenden Wahlkampagne bereits hinter sich. Bis zur Kongresswahl am kommenden Dienstag werden noch einige hinzukommen. Die amerikanischen Parteien befinden sich im Schlussspurt des Wahlkampfes, der schon jetzt der teuerste Kongresswahlkampf aller Zeiten ist. Zwei Milliarden Dollar (1,4 Milliarden Euro) werden Demokraten und Republikaner ausgegeben haben, wenn am 2. November gewählt wird, rechnet die Washington Post vor.

Dabei zeichnet sich ab, dass die Demokraten zumindest bei den eingesammelten Spenden ihre Gegner übertreffen können. Was das Repräsentantenhaus angeht, liegen die Kandidaten der Liberalen nach Angaben der New York Times mehr als 30 Prozent vor den Konservativen. Die Wahlumfragen bleiben für die Partei von Barack Obama dennoch entmutigend: In mindestens einer Kammer des Kongresses droht ihr der Verlust der Mehrheit. Der Präsident wäre dann bei Gesetzesinitiativen auf Kompromisse mit den Republikanern angewiesen.

Bill Clinton weiß, wie das ist. Er stand bei midterm elections, den Halbzeitwahlen, im Jahr 1994 ebenfalls einer beißwütigen Rechten gegenüber - und verlor. Dieses Schicksal will er Obama ersparen.

"Ich müsste das nicht tun", sagt er am Sonntag bei einem Auftritt in Battle Creek, Michigan. Erstens habe er sich von der Tagespolitik verabschiedet, und zweitens "habe ich damals getan, was ich konnte, um Barack Obama zu besiegen". Das war 2008, als Clintons Frau, die heutige Außenministerin Hillary Rodham Clinton, Obama als Präsidentschaftskandidaten auszustechen versuchte. An den Gefühlen für seine Frau habe sich nichts geändert, sagt Bill Clinton. Dennoch unterstütze er den Präsidenten: "Obama und der Kongress haben bessere Arbeit geleistet, als viele Amerikaner denken."

Den jungen Wählern sind die midterm elections schlicht egal

Tatsächlich hat der Präsident schärfere Gesetze für den Finanzmarkt durchgesetzt, ein gewaltiges Konjunkturprogramm aufgelegt und eine Krankenversicherung für alle eingeführt - ein legislativer Hattrick, den neutrale Beobachter als großen Fortschritt feierten. Doch die Staatsverschuldung, die Arbeitslosigkeit und die Immobilienkrise mit ihrer horrenden Zahl von Zwangsversteigerungen bekam Obama bislang nicht in den Griff. Was ihm die Opposition genüsslich unter die Nase reibt.

Viele konservative Wähler, die 2008 noch für den Demokraten gestimmt haben, tendieren nun zu den Republikanern. Getrieben von der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung, verspricht die Grand Old Party den Amerikanern weniger Staat und weniger Steuern. Während sie Obama als Sozialisten hinstellt, dessen Politik den privaten Wohlstand bedroht.

Den Demokraten ist es bislang nicht recht gelungen, ein Gegenmittel zu finden. Die "Obamania" aus dem Jahr 2008 will sich partout nicht einstellen. Hinzu kommt, dass viele junge Wähler in Umfragen zwar angeben, 2012 wieder Obama wählen zu wollen. Die Halbzeitwahlen 2010 sind ihnen jedoch schlichtweg egal.

Dabei haben die midterm elections in der amerikanischen Politik eine besondere Stellung: Sie gelten als Stimmungstest für den Präsidenten. Ein Drittel des Senats wird neu besetzt, außerdem das gesamte Repräsentantenhaus. Gemeinsam ergeben beide Kammern den Kongress, die legislative Gewalt der Vereinigten Staaten von Amerika.

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In den Senat entsendet jeder Bundesstaat zwei Senatoren, gewählt für sechs Jahre. Alle zwei Jahre wird ein Drittel neu gewählt. Derzeit haben die Demokraten mit 56 Senatoren eine Mehrheit - die Republikaner stellen 41 Senatoren, hinzu kommen zwei Unabhängige und ein vakanter Sitz. Jüngste Wahlumfragen gehen davon aus, dass die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Republikaner kippen könnten - wenn auch nur knapp.

Barack Obama bei einem Wahlkampfauftritt im Bundesstaat Rhode Island: Dem US-Präsidenten und seiner Partei droht bei den Halbzeitwahlen eine Ohrfeige. (Foto: AP)

Ein deutlicheres Ergebnis wird hingegen für das Repräsentantenhaus erwartet: Die zweite Parlamentskammer hat 435 Abgeordnete, die allesamt zur Wahl stehen. Die Bundesstaaten sind gemäß ihrer Bevölkerungszahl vertreten. Derzeit stellen die Demokraten 255 und die Republikaner 187 Abgeordnete. Zwei Sitze sind vakant. Die New York Times rechnet damit, dass die Konservativen zukünftig bis zu 230 Sitze belegen können, die Demokraten nur noch 205.

Obama droht seine Hausmacht zu verlieren - in mindestens einer Kammer. Hinzu kommt, dass sich auch bei den parallel stattfindenden Gouverneurswahlen eine Schlappe für die Demokraten abzeichnet. Was bedeutet das für Obamas Präsidentschaft? "Er wird künftig keinerlei Möglichkeit mehr haben, amibtionierte Gesetzesinitiativen durchzudrücken", sagt Thomas Mann vom Brookings-Forschungsinstitut in Washington.

Der Kongress ist die Kontrollinstanz für den Präsidenten, er ist für die Gesetzgebung zuständig und wacht über den Haushalt. Um ein Gesetz anzunehmen, braucht es die Zustimmung beider Kammern. Geht also die Mehrheit in Senat oder Repräsentantenhaus an die Republikaner über, muss Obama Kompromisse eingehen, um oppositionelle Politiker auf seine Seite zu ziehen.

In einigen Politikfeldern scheint das möglich zu sein, zumal die Fraktionsdisziplin - anders als in Deutschland - nur schwach ausgeprägt ist. Auch kommt es vor, dass Politiker die Partei wechseln. Obama wies im Wahlkampf jedoch eindringlich darauf hin, dass bei der Energie-, Bildungs- und Außenpolitik mit den Republikanern kein Staat zu machen sei.

Ein bereits vom Repräsentantenhaus abgenicktes Klimaschutzgesetz steht damit vor dem Aus - wenn der Senat nicht zustimmt, verfällt es. Auch der amerikanisch-russische START-Vertrag über strategische Abrüstung könnte der Republikaner-Mehrheit zum Opfer fallen. Im für Obama schlechtesten Fall könnten seine Gegner die Gesundheitsreform zurückdrehen, die als Herzstück seiner bisherigen Politik gilt.

"Entspann dich"

Die Republikaner haben bereits angekündigt, Frontalopposition gegen den Präsidenten betreiben zu wollen: "Unser wichtigstes Ziel ist es, aus Obama einen Präsidenten mit nur einer Amtszeit zu machen", sagte unlängst der Anführer der Grand Old Party im Senat, Mitch McConnell aus Kentucky. Damit spricht er vielen Konservativen aus der Seele, die in den midterm elections den Anfang vom Ende der Obama-Ära sehen. Ganz so dramatisch ist die Angelegenheit für den einst messianisch gefeierten Präsidenten allerdings nicht.

Das Abwatschen der Regierung bei den Zwischenwahlen hat in Amerika Tradition - viele Vorgänger Obamas mussten sich nach den ersten zwei Jahren ihrer Amtszeit mit Mehrheiten der jeweils anderen Seite arrangieren. Auf ihr Wirken als Präsident nahm das jedoch nur bedingt Einfluss.

So wurde Ronald Reagan trotz verpatzter midterm elections triumphal wiedergewählt, Bill Clinton ebenso. Heute gehört Clinton zu Amerikas beliebtesten Politikern, in einer Umfrage des Wall Street Journal stellten ihm 50 Prozent der Befragten ein positives Zeugnis aus.

US-Medien berichten, der frühere Präsident habe Obama kürzlich angerufen und Mut zugesprochen: "Entspann dich", soll Clinton gesagt haben. "All das, was sie heute über dich sagen, haben sie damals auch über mich gesagt."

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