US-Wahl:"Beten tue ich zwar nicht, aber hoffen schon"

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Unterstützer des US-Präsidenten Donald Trump auf einer Kundgebung Ende Oktober am Karlsplatz Stachus in München. (Foto: imago images/Thomas Vonier)

Im Wahljahr 2016 hielt der Regensburger Professor Stephan Bierling eine Vorlesung zum Thema "Warum Hillary Clinton die Wahl gewinnen wird". Weshalb er sich dieses Mal wieder sicher ist - und warum Trump in Deutschland so unbeliebt ist.

Interview von Leopold Zaak

Prof. Dr. Stephan Bierling, Jahrgang 1962, ist Professor für Internationale Politik und Transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg. Als Hillary Clinton 2016 gegen Donald Trump antrat, hätte er sich kaum mehr verschätzen können; wie so vielen schien auch Bierling Clintons Sieg sicher. Dieses Jahr setzt der Politikwissenschaftler auf Joe Biden. Nicht nur wegen dessen aktueller Umfragewerte.

Herr Bierling, mit welchem Gefühl gehen Sie in die letzten Tage vor der US-Wahl?

Es ist vor allem ein Gefühl der Anspannung. Die Umfragen auf nationaler Ebene sehen Joe Biden klar vorne und auch in den entscheidenden umstrittenen Staaten, den Swing States, führt er im Moment. Aber wir Wissenschaftler können eben nur eine bestmögliche Prognose abgeben. Es ist eine demokratische Wahl, daher bleibt eine Restunsicherheit. Und das ist gut so, sonst müsste ja niemand mehr wählen gehen. Aber meine Anspannung ist nicht allein beruflicher Natur. Ich habe lange in den USA gelehrt und gelebt und wünsche meinen Freunden im Land keinen spalterischen und peinlichen Präsidenten.

Sie haben am 29. Oktober einen Vortrag mit dem Titel "Warum Joe Biden die Präsidentschaftswahl gewinnen wird" gehalten. Was macht Sie so sicher?

Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens sagen das alle seriösen Experten und Institute voraus. Sie haben aus den Fehlern von 2016 gelernt und können Umfragen jetzt anders gewichten und somit genauere Aussagen treffen. Und zweitens nutze ich diese Art der Zuspitzung gerne für Vorträge. Mein Titel, der ja eine These ist, zwingt die Zuhörer dazu, sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen. Die Politikwissenschaft versteckt sich oft hinter einem "einerseits/andererseits". Aber man muss auch mal zu einer Entscheidung kommen und sich trauen, eine Aussage zu machen. Ich habe schon Ende des letzten Jahres in Regensburg einen Vortrag gehalten, der hieß: "Warum Donald Trump die Wahl verlieren wird". Da wussten wir noch nichts von Corona und wie katastrophal der Präsident diese Krise managen würde. Schon damals war Trump in ernsthaften Problemen. Die Demokraten haben bei dieser Wahl mit Joe Biden einen besseren Kandidaten als 2016, aber ihre Anhänger würden diesmal jeden wählen, der ABT ist: Anybody But Trump (übersetzt: Jeder, nur nicht Trump; Anm. d. Red.).

2016 lautete der Titel Ihrer Ringvorlesung zur US-Wahl "Warum Hillary Clinton gewinnen wird". Sind Sie auch deswegen angespannt, weil Sie sich erneut täuschen könnten?

Natürlich kann ich mich täuschen, das ist das Risiko, wenn man über die Zukunft redet. Zum Jahr 2016 muss ich sagen: Der Wahlsieg von Hillary Clinton war das einzig Mögliche, was ich damals prognostizieren konnte. Es geht ja bei Wahlvorhersagen nicht um persönliche Vorlieben, sondern um Wahrscheinlichkeiten. Damals war ein Sieg Clintons einfach viel wahrscheinlicher als einer Trumps. Wenn man als Professor danebenliegt, freuen sich natürlich viele in der Öffentlichkeit. Damit muss man leben können oder man sollte Prognosen gleich bleiben lassen. In der Wissenschaft ist Falschliegen kein Makel, sondern hilfreich. Fehler und unerwartete Ergebnisse bringen die Wissenschaft voran, dann kann man seine Methoden und Modelle verfeinern. Dieses Mal bin ich sehr zuversichtlich, dass ich recht habe.

Warum?

Die Umfragen sind besser geworden. 2016 wurden einige Faktoren nicht berücksichtigt. Zum Beispiel die Mobilisierung von Wählern. Zahlreiche Demokraten waren nach acht Jahren Obama lethargisch und haben Trump nicht ernst genommen, vor allem die jungen Wähler und die Schwarzen. Viele sind dann nicht zur Wahl gegangen und haben so seinen Wahlsieg mit ermöglicht. Dieses Jahr ist die Mobilisierung der Demokraten enorm hoch, weil sie Trump verabscheuen und aus dem Weißen Haus jagen wollen. 2016 gab es auch Trump-Sympathisanten, die sich bei Umfragen nicht zu erkennen geben wollten. Aber die Systemfeindlichkeit und der Groll auf die Eliten sind in den vergangenen vier Jahren salonfähig geworden, weshalb Zustimmung zu Trump heute stolz und laut mitgeteilt wird. Das war in Deutschland bei der AfD anfangs nicht anders. Hier wurde die Partei auch unterschätzt, weil sich viele Wähler in Umfragen nicht outen wollten.

Stephan Bierling hat im C. H. Beck Verlag das Buch "America First: Donald Trump im Weißen Haus" vorgelegt. Das Bild zeigt ihn nicht mit dem Buch, sondern mit einer Wahlmaschine aus Florida von der Präsidentschaftswahl 2000. (Foto: Stefan Obermeier)

Blickt man auf die Zustimmungswerte für Präsident Trump, sieht man, dass er in Deutschland ganz anders wahrgenommen wird als in Teilen der USA. Mehr als 80 Prozent der Deutschen halten ihn für einen schlechten Präsidenten. In Amerika liegen seine Werte stabil um die 40 Prozent. Woher kommt das?

Trumps Zustimmungswerte in den USA sind tatsächlich erstaunlich. Die lagen in seiner ganzen Präsidentschaft nie unter 40 Prozent, ganz gleich, was er tat. Ob er wüst über seine politischen Gegner herzieht, ob er mit Rechtsradikalen sympathisiert, ob er ein Amtsenthebungsverfahren am Hals hat oder ob sein erratisches Corona-Management für Zehntausende Tote verantwortlich ist - seine Kernwähler berührt das kaum. Eine so stabile Unterstützung kennen wir von keinem US-Präsidenten vor ihm. Es gibt Umfragen, wonach 90 Prozent der Leute, die 2016 Trump gewählt haben, ihm dieses Jahr wieder ihre Stimme geben werden.

Wie erklären Sie das?

Trump konzentriert sich auf drei Wählerklientele, die ihn 2016 ins Amt gehoben haben: Wirtschaftsliberale, evangelikale Christen und solche, die wir in Deutschland Wutbürger nennen würden. Und wichtige Versprechen, die er diesen Gruppen gegeben hat, hat er eingehalten. Er hat Steuern gesenkt und Regulierungen im Sozial- und Umweltbereich abgebaut - das macht Unternehmer und Kleingewerbetreibende glücklich. Die Evangelikalen wählen ihn, nicht weil Trump so ein christliches Leben führt, sondern weil er sie in ein Amerika der 50er Jahre zurückhalluziniert: ein weißes Amerika, vermeintlich christlich, in dem nicht abgetrieben wird. Dass Trump ein Drittel des Obersten Gerichts mit konservativen Richtern neu besetzt hat, zeigt dieser Wählerschicht: Er hält Wort. Schließlich stehen auch die Wutbürger geschlossen hinter ihm, vor allem weiße, schlechter ausgebildete, ältere Männer. Der Megatrend hin zu einer multiethnischen, diverseren und offeneren Gesellschaft läuft gegen diese Gruppe. Trump ändert daran zwar nichts, aber er gibt ihnen eine Stimme: die der permanenten Empörung. Seine Wähler sind zufrieden mit den vergangenen vier Jahren und sehen keinen Grund, für Biden zu stimmen.

Und wieso wird Trump in Deutschland so anders bewertet?

Deutschland ist eine Gesellschaft, die deutlich weniger polarisiert ist als die amerikanische. Die zehn bis 15 Prozent, die Trump hier gut finden, kann man wahrscheinlich eins zu eins mit den Sympathisanten der AfD verrechnen. Die restliche Gesellschaft ist deutlich weiter von den politischen Rändern entfernt, als das in den USA der Fall ist. Trumps radikale Positionen und seine Brachialrhetorik sind in Deutschland nicht mehrheitsfähig. Denn wer hierzulande die Mitte verlässt, findet kaum Wähler. Trump hat den Antiamerikanismus wieder hoffähig gemacht. Er war immer da auf der politischen Rechten und Linken, auch unter Obama. Aber der jetzige Präsident macht es den Amerikafreunden schwer, die USA zu verteidigen. Darum hoffen auch viele in Deutschland auf einen Sieg von Biden. Im politischen Berlin werden sie am 3. November auf Knien vor dem Fernseher sitzen und dafür beten, dass Joe Biden die Wahl gewinnt.

Sie auch?

Beten tue ich zwar nicht, aber hoffen schon. Ein erneuter Sieg von Donald Trump wäre eine Katastrophe für die amerikanische Demokratie und die Stellung und das Ansehen des Landes in der Welt.

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