US-Soldaten im Koreakrieg:Der Krieg des MG-Schützen Carter

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KOREA-WAR-ALLIED-BATTLE A picture dated circa April 15, 1951 shows marines from the US Allied Forces using a flame-thrower to clean the field during the Korean War. AFP PHOTO (Photo credit should read -/AFP/Getty Images) (Foto: AFP/Getty Images)

Er friert, er hungert, er tötet: 18 Jahre alt ist der US-Amerikaner Richard Carter, als er 1950 im Koreakrieg kämpft. Das Grauen von damals prägt sein Leben bis heute.

Von Hubert Wetzel

Richard Carter starrt in das Buch. Und aus dem Buch starrt seine Vergangenheit zurück. Magere Gesichter mit müden Augen, die zu viel gesehen haben; vermummte Gestalten mit Stoppelbärten, Männer, die dicke Wollmützen unter ihren Stahlhelmen tragen und sich an einer Zigarette wärmen.

Soldaten, schwarze Schatten mit geschulterten Gewehren, die durch eine weiße, eisige Landschaft marschieren, über die der Wind Schneeschleier weht. Verwundete, quer über die Motorhaube eines Jeeps gelegt und festgezurrt wie Holzbalken. "Ja", murmelt Richard Carter, "so war es damals. So war es."

Das Buch ist ein alter Bildband über den Koreakrieg. Die Fotos sind in Schwarz-Weiß, manche sind grobkörnig, weil das Licht schlecht war; manche sind verwackelt, weil Kugeln und Granaten flogen, als sie aufgenommen wurden. Für Carter aber ist alles, was auf den Bildern zu sehen ist, noch da - die Lebenden und die Toten, die Angst und die Trauer. Er sieht es scharf und genau und in Farbe vor sich, so wie er es damals erlebt hat, als er ein junger Mann war und in Korea kämpfte.

Eine Kugel traf den Kameraden direkt unter dem Helmrand

Die Amerikaner haben sich nie sehr für diesen Krieg interessiert. Die Korea-Veteranen nennen ihn bis heute "Amerikas vergessener Krieg", aus der Erinnerung verdrängt von den glorreichen Siegen des Zweiten Weltkriegs und dem finsteren Gemetzel in Vietnam.

Zudem war der Koreakrieg offiziell nur eine Art militärischer Polizeieinsatz unter Mandat und Flagge der Vereinten Nationen, um das mit dem Westen verbündete Südkorea zu befreien, nachdem es 1950 vom kommunistischen Norden überfallen worden war.

Einige amerikanische Veteranenverbände weigerten sich daher, die Korea-Heimkehrer überhaupt als Kriegsteilnehmer anzuerkennen - und das, obwohl mehr als 36 000 amerikanische Soldaten in Korea fielen und vermutlich mehrere Millionen Koreaner und Chinesen ums Leben kamen, darunter Hundertausende Zivilisten. Richard Carter jedenfalls hatte nie einen Zweifel daran, dass es ein echter Krieg war, in den er damals geschickt wurde.

Carter wurde im Dezember 1931 geboren. Er wuchs in Hagerstown auf, einer kleinen Industriestadt im Norden von Maryland. Sein Vater war Holzarbeiter, Richard hatte neun Brüder und eine Schwester. Er arbeitete als Anstreicher und in einer Schuhfabrik. Es war ein hartes Leben. "Mit 15 habe ich zum ersten Mal versucht, in die Army zu kommen", sagt er.

Aber er war zu jung, erst als er 17 Jahre alt wurde, unterschrieb sein Vater die Papiere. Das war im Sommer 1949. Ein Jahr später brach in Korea der Krieg aus. "Sie haben uns auf dem Paradeplatz antreten lassen und gefragt, wer freiwillig an die Front gehen will", erzählt Carter. "Ich habe mich gemeldet. Ich wusste es nicht besser."

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Als Carter im August 1950 in Korea ankam, war die Lage für die Südkoreaner und die mit ihnen verbündeten Amerikaner verzweifelt. Die Nordkoreaner hatten den Süden am 25. Juni angegriffen, sie stürmten über die Demarkationslinie - den 38. Breitengrad - hinweg und eroberten am 28. Juni Seoul, die Hauptstadt des Südens. Den ganzen Juli und August über trieb die nordkoreanische Volksarmee die Südkoreaner und Amerikaner in Richtung Süden vor sich her und drängte sie gegen die Küste.

Das von den Alliierten gehaltene Gebiet schmolz auf einen kleinen Brückenkopf um die Stadt Busan im Südosten der Halbinsel zusammen. In diesem Brückenkopf wurde Richard Carter am 20. August 1950 abgesetzt. Er war 18 Jahre alt.

"Am ersten Tag wurden Essensrationen ausgegeben. Da hat es gleich einen Jungen aus Minnesota erwischt, eine Kugel traf ihn unter dem Helmrand."

So ging es weiter. Jeden Tag. Der Koreakrieg dauerte drei Jahre, vom 25. Juni 1950 bis zum 27. Juli 1953. Doch die heftigsten Kämpfe tobten in den ersten zwölf Kriegsmonaten. Richard Carter war in dieser Zeit fast ununterbrochen an der Front. Er diente als Maschinengewehrschütze im 23. Infanterieregiment, von August bis Oktober 1950 hockte er wochenlang in irgendwelchen Schützenlöchern und schoss auf Menschen, die auf ihn schossen.

Immer zwei Mann in einem Loch, einer musste stets wach sein, falls der Feind angriff. Carter bekam 2,50 Dollar Sold am Tag und 50 Dollar Kriegszulage im Monat. Die Hälfte davon schickte er nach Hause. Er fing sich Malaria ein und musste drei Wochen ins Lazarett. Da hatte er ein wenig Ruhe. "Und einmal hatte ich Urlaub", erzählt er. "Fünf Tage Erholung in Japan."

Korea-Veteran Richard Carter: "Was soll man nur antworten auf die Frage: Opa, hast Du jemanden getötet?" (Foto: Hubert Wetzel)

Einige Tage nach seiner Ankunft in Korea wurde Carter zu einem Wachposten vor der Front geschickt, der in einem halbzerstörten Gebäude lag. Ein paar Dutzend Amerikaner hatten sich dort verschanzt. "Es hieß, in dieser Nacht würden wir von tausend Nordkoreanern angegriffen werden. Und um elf Uhr abends kamen diese tausend Nordkoreaner und überrannten uns." Carter versteckte sich in einem Keller, er schoss in der Dunkelheit um sich und warf seine Handgranaten.

Bis heute ist er sich nicht sicher, ob er damals nicht auch auf die eigenen Leute gefeuert hat. Dann verkroch er sich in einem sumpfigen Graben. "Ich war hinter der feindlichen Linie, ich wusste überhaupt nicht, was ich machen sollte", erzählt er. "Ich bin einen Tag und eine Nacht lang herumgeirrt, bis ich die Jungs von der Fox Company gefunden habe." Carter war bereits als vermisst gemeldet worden, seine Einheit musste ein Telegramm an seine Eltern schicken, dass er noch am Leben war.

Andere hatten weniger Glück. "Ich habe da drüben viele Freunde verloren", sagt Carter. Fast 70 Jahre ist der Krieg jetzt her, aber Richard Carter hat die Namen der Toten nicht vergessen. Da waren die Blevins-Brüder, Herene und Lonie, mit denen er zur Schule gegangen ist, und da war sein Kumpel Charles Stotler - alle gefallen. Insgesamt starben im Koreakrieg 32 junge Männer aus Washington County, dem Landkreis, in dem Hagerstown liegt. Erst 2013 wurde in der Stadt eine kleine Gedenkstätte für sie errichtet.

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Manche von Carters Kriegserinnerungen klingen fast heiter. "Wir hatten einen Jungen aus Florida in der Kompanie, der bekam von daheim alle Zutaten zugeschickt, um Rosinenschnaps zu machen", erzählt er. "Wir haben den Krug zur Gärung in einem trockenen Flussbett vergraben. Dann kam der Monsunregen, und alles stand unter Wasser. Danach haben wir uns Sake besorgt und den getrunken."

Andere Erinnerungen sind grausig. Richard Carter erzählt sie sachlich, ohne äußere Regung. Manchmal benutzt er immer noch das alte Schimpfwort, wenn er von den Menschen redet, die damals seine Feinde waren: "gooks" - Schlitzaugen. "In der Kompanie gab es zwei Männer, die wir die ,Zahnfeen' genannt haben. Sie hatten immer kleine Zangen dabei. Nach einem Gefecht sind sie losgegangen und haben den toten Schlitzaugen die Goldzähne aus dem Mund gerissen", sagt Carter. "Ich habe das nie gemacht."

Die schlimmsten Wochen des Kriegs waren für Carter die am Chosin Reservoir. Die südkoreanischen und amerikanischen Truppen waren im September 1950 aus dem Brückenkopf von Busan ausgebrochen, gleichzeitig landeten Einheiten der US-Marineinfanterie in Inchon, in der Nähe von Seoul, im Rücken der Nordkoreaner.

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Die vom Nachschub abgeschnittene nordkoreanische Volksarmee kollabierte, nun jagten die Alliierten die Nordkoreaner vor sich her Richtung Norden. Seoul wurde befreit, nach wenigen Wochen standen die Amerikaner fast am Yalu, dem Grenzfluss zwischen Nordkorea und China.

Doch bevor die Verbündeten die Nordkoreaner endgültig besiegen konnten, griff Peking in den Krieg ein. Chinas Diktator Mao Zedong schickte Ende Oktober 1950 Hunderttausende "Freiwillige" über die Grenze, um das kommunistische Regime in Nordkorea zu retten.

Vom 27. November bis zum 13. Dezember kam es an einem Stausee im Norden der Halbinsel, dem Chosin Reservoir, zu einer der härtesten Schlachten des Kriegs. Etwa 30 000 alliierte Soldaten - vor allem Amerikaner, aber auch Südkoreaner und Briten - wurden dort von 120 000 Chinesen eingekesselt und abgeschnitten. "Sie wollten uns alle töten", sagt Carter.

Die chinesischen Truppen brandeten wie Wellen gegen die amerikanischen Stellungen an, und diese Wellen bestanden aus Menschen. Carter saß hinter seinem Maschinengewehr, einem .30-Kaliber Browning, das 450 Schuss pro Minute abgeben konnte, und feuerte und feuerte. An dem Stausee gab es Maisfelder, die nicht abgeerntet worden waren, und durch die hohen, verdorrten Maisstauden stürmten nun die Chinesen.

Sobald der Mais sich bewegte, schoss Carter. "Wir sahen sie kommen, wie sie auf uns zu rannten, sie kamen zu uns in die Löcher gesprungen, es war ein Nahkampf Mann gegen Mann. Mit dem MG konnte ich sie auf Abstand halten", erzählt er. "Sie waren schlecht ausgerüstet, manche hatten überhaupt keine Waffen, viele waren noch Kinder. Aber wir mussten um unser Leben kämpfen."

Einmal dauerte ein Feuergefecht einen ganzen Tag und eine ganze Nacht. Als es wieder ruhig war, zogen die Zahnfee-Männer mit ihren Zangen los. "Einer der Chinesen war noch am Leben und hat einen von ihnen erschossen", sagt Carter.

Fast so brutal wie die Kämpfe war die Kälte. Während der Schlacht sank die Temperatur am Chosin Reservoir auf fast minus 40 Grad Celsius, dazu lag mehr als ein Meter Schnee. "Das war wohl der kälteste Ort, an dem ich je gewesen bin", erzählt Carter. "Alles war gefroren. Die Essensrationen aus unseren Rucksäcken waren steinhart, wir mussten mit dem Löffel kleine Stückchen aus den Dosen hacken. Alle fünf Sekunden musste ich den Verschluss des Maschinengewehrs vor und zurück schieben, damit er nicht festfriert. Wir mussten uns dauernd bewegen, um am Leben zu bleiben."

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Carter wickelte sich lange Wollsocken um den Bauch, die ihn warm halten sollten. Ein bisschen Wärme gaben auch die Zigaretten, die in jeder Feldration steckten, vier wunderbare Chesterfields oder Lucky Strikes, dazu ein Briefchen Streichhölzer. "Trotzdem", sagt Carter, "sind sehr viele Männer erfroren."

Richard Carter verbrachte seinen 19. Geburtstag in der Eiswüste am Chosin Reservoir und das Thanksgiving-Fest 1950. "An Thanksgiving war ich draußen vor der Front auf Wachposten. Jemand brachte mir das Essen. Es gab Kartoffelbrei und schwarzen Kaffee und Cashewnüsse. Das hat so gut geschmeckt."

In den ersten Dezemberwochen durchbrachen die US-Truppen die chinesischen Linien am Reservoir und retteten sich nach Süden. Sie entkamen dadurch der Vernichtung, doch ihre Verluste waren erheblich - mehr als 17 000 Mann in knapp drei Wochen: 1000 Gefallene, fast 5000 Vermisste und 4500 Verwundete. Hinzu kamen 7000 Soldaten, die nicht bei den Gefechten verletzt wurden, sondern zum Beispiel Erfrierungen erlitten.

Die Chinesen verloren Schätzungen zufolge 60 000 bis 80 000 Soldaten. Richard Carter reagiert immer noch etwas empfindlich, wenn man den Ausbruch aus dem Kessel am Chosin als "Rückzug" bezeichnet. "Wir haben uns eben in die andere Richtung vorwärtsgekämpft", sagt er. "Und als wir draußen waren, haben wir angehalten und sind keinen Schritt weiter zurückgewichen."

Als Carter aus dem Kessel kam, sah er aus wie einer der Männer in dem Bildband - abgehetzt, verängstigt, erschöpft, hungrig, halb erfroren. Carter blättert langsam durch das Buch, er schaut sich die Fotos sorgfältig an, als suche er darauf nach lange vergessenen Bekannten. Aber in Wahrheit sieht er in den Bildern sich selbst - ein Neunzehnjähriger, der in Eis und Schnee dem Tod begegnet ist; der den Tod ausgeteilt hatte, tausendfach, verpackt in kleine Messinghülsen mit Bleispitzen; und der dem Tod entkommen ist. "Ich war ein erwachsener Mann damals", sagt Richard Carter. "Aber ich habe mich nicht geschämt zu weinen."

"Ich habe es gehasst, darüber zu reden. Ich musste es verdrängen."

Carter blieb ein Jahr in Korea. Nach der Schlacht am Chosin Reservoir hatte er zunächst etwas Ruhe, dann ging der Kriegsalltag weiter. Er machte eine zweite große Schlacht mit, im Spätsommer 1951, auf einem Gebirgsrücken namens Heartbreak Ridge. Danach fraß die Front sich in der Nähe des 38. Breitengrads fest, dort, wo der Krieg ein Jahr zuvor begonnen hatte und wo seit dem Kriegsende 1953 die Waffenstillstandslinie zwischen Nord- und Südkorea verläuft.

Im Herbst 1951 kehrte Carter heim, im November heiratete er seine Freundin Mary, die bis heute seine Frau ist. Sie haben zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn, und inzwischen auch einige Enkel. Mary Carter sitzt mit an dem Tisch in dem Veteranenverein in Hagerstown, in dem Richard seine Geschichte erzählt. "Richard war ganz schön kaputt, als er zurückkam", sagt sie. "Ja, ich hatte Malaria", sagt Carter. Mary schaut ihn an. "Ich meine: im Kopf kaputt", sagt sie.

Der Krieg hat Richard Carter nie losgelassen. Noch lange Zeit nach seiner Rückkehr hatte er Albträume. Einmal würgte er nachts im Schlaf seine Frau, die Kinder mussten ihn wegziehen. Carter hat auch nie viel über seine Erlebnisse im Krieg gesprochen, allenfalls mit anderen Veteranen, die in Korea waren. "Ich habe es gehasst, drüber zu reden", sagt er. Warum? "Ich musste es verdrängen."

Eins seiner Enkelkinder hat sich für die Vergangenheit des Großvaters interessiert und versucht, aus ihm etwas herauszubekommen: "Er hat gefragt: ,Opa, hast du jemanden getötet?' Was soll man darauf antworten?"

© SZ vom 04.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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