Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte:Keine Abschiebung um jeden Preis

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  • Der Europäische Gerichtshof beschließt, dass Flüchtlingsfamilien mit minderjährigen Kindern nur unter bestimmten Voraussetzungen nach Italien abgeschoben werden dürfen.
  • Eine afghanische Familie mit sechs Kindern hatte gegen eine Abschiebung geklagt.
  • Das Gericht stellte wegen der mangelhaften Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge in Italien eine Verletzung des Paragraphen 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention fest.

Europäischer Gerichtshof beschränkt Abschiebung ins Ersteinreiseland

EU-Mitgliedstaaten dürfen nicht mehr uneingeschränkt Flüchtlinge nach Italien abschieben. Das geht aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hervor. Demnach dürften Familien nur dann in ihr Ersteinreiseland - in diesem Fall Italien - abgeschoben werden, wenn garantiert werde, dass die Kinder eine ihrem Alter entsprechende Betreuung erhalten und die Familie gemeinsam untergebracht werde. Die Große Kammer des Menschenrechtsgerichtshofs stellte mehrheitlich fest, dass eine Rückführung ohne individuelle Garantien gegen Artikel 3 zum Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen würde.

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Von Martin Anetzberger

Familie fürchtet erniedrigende Behandlung in Italien

Auf diesen Artikel unter anderem hatte sich eine afghanische Familie mit sechs Kindern in ihrer Klage berufen und geltend gemacht, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien mangelhaft seien und sie nach einer Abschiebung dorthin ohne individuelle Garantien hinsichtlich ihrer Betreuung einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wären. Die Schweiz wollte die Familie nach Italien abschieben. Die Familie war 2011 über Italien in die EU gekommen. Nach Ablehnung eines Asylantrags in Österreich wollten die Mitglieder der Familie in der Schweiz als Flüchtlinge anerkannt werden. Die dortigen Behörden berufen sich aber auf die Dublin-Verordnung der EU, wonach Flüchtlinge nur in dem EU-Staat, in den sie zuerst eingereist sind, einen Asylantrag stellen können.

EGMR könnte damit Zustände in Italien generell in Frage stellen

Die Grünen im Europäischen Parlament (EP) erklärten, der Menschenrechtsgerichtshof verbiete mit seinem Urteil de facto Abschiebungen nach Italien, weil die Zustände insbesondere für Flüchtlingskinder in Italien untragbar seien. Das Gericht stelle damit generell in Frage, ob Italien in der Lage sei, Flüchtlinge aus anderen EU-Ländern zurückzunehmen, erklärte die Vize-Fraktionschefin und migrationspolitische Sprecherin der Grünen im EP, Ska Keller. "Dieses Urteil zeigt, dass die Dublin-Regelung vorne und hinten nicht mehr funktioniert", hob Keller hervor. Nötig sei ein "echtes, gemeinsames Asylsystem in der EU", denn die südlichen EU-Staaten seien offensichtlich überfordert.

© Süddeutsche.de/dpa/AFP/dayk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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