Selbst ein Bündnis, das sich selbst Unteilbar nennt, muss im Angesicht der Corona-Pandemie eine gewisse Teilung in Kauf nehmen. Um Sicherheitsabstände zu wahren, hat das Organisationsteam die Großdemo am Samstag in Berlin in 16 Blöcke geteilt, die die gesamte Bandbreite linker Themen abbilden sollen: von Antirassismus über Arbeitskampf, Gesundheitsversorgung und Umverteilung bis zu Demokratie, Menschenrechten und Klimagerechtigkeit. Ganz hinten versammeln zudem SPD, Grüne und Linke ihre Anhängerinnen und Anhänger - über zwei Kilometer Länge verteilen sich die Demonstrierenden im Regierungsviertel.
Entsprechend fragmentiert wirkt der Zug zu Beginn, das Gefühl einer Großdemonstration will so nicht überall aufkommen. Jeder Block bietet ein eigenes Programm aus Reden und Musik an, entlang der Strecke sorgen verschiedene Trommelgruppen in bunten Outfits für eine gute Stimmung.
Vor drei Jahren waren noch mehr als 200 000 Protestierende gekommen
Etwa 30 000 Menschen kann das Bündnis aus mehr als 340 linken Initiativen, Bewegungen und Parteien laut eigenen Angaben mobilisieren, die Polizei spricht von gut 10 000. "Angesichts der Pandemie und des GDL-Streiks sind wir mit der Demo absolut zufrieden", sagt Helen Deffner, eine der Sprecherinnen des Bündnisses. Mit den Lokführerinnen und Lokführern erklärt sich das Bündnis dabei mehrfach solidarisch.
Zur ersten Unteilbar-Demonstration waren vor drei Jahren noch mehr als 200 000 Protestierende gekommen, damals aufgeschreckt von den rechtsextremen Protesten rund um einen Mord in Chemnitz. Allerdings hat die jetzige Demo auch weniger den Charakter eines wütenden "Wir sind mehr!" als den eines linken Familientreffens kurz vor der Bundestagswahl. "Das ist das Schöne, die Stärke von 'Unteilbar', dass wir themen- und organisationsübergreifend solidarisch sind, dass hier alle einen Platz haben", sagt Deffner.
Tatsächlich ist das Teilnehmerfeld sehr divers: Jugendliche, Familien mit Kindern, Seniorinnen, Punks. "Besonders gefreut hat mich, dass viele migrantische Personen hier waren und gesprochen haben. Viele Betroffene haben heute eine Bühne bekommen und das Wort ergriffen", sagt Deffner.
An der Spitze der Demo sammelt sich ein großer Block, der lautstark Parolen gegen Rassismus und für das Recht auf Asyl durch die Berliner Mitte rief. Die meisten nicht organisierten Teilnehmenden laufen hier mit. Weiter hinten sammeln die Organisationen und Parteien ihre Anhänger. Parolen hört man dort weniger, im Vordergrund stehen die Redebeiträge. Zum Beispiel die der Spitzenkandidaten für die Berliner Abgeordnetenhauswahl, die am 26. September gleichzeitig mit der Bundestagswahl stattfindet. Franziska Giffey (SPD), Bettina Jarasch (Grüne) und Klaus Lederer (Linke) nutzen die Chance, um für sich und zumindest teilweise für eine Fortführung des Bündnisses der drei Parteien im Abgeordnetenhaus zu werben. Mehrere Politiker kritisieren zudem CDU und FDP dafür, sich nicht an Unteilbar zu beteiligen und sich damit nicht klar nach rechts abzugrenzen. Viele Menschen sammeln sich zudem bei den Gewerkschaften und bei "Fridays for Future" sowie in einem Block, in dem Arbeitsbedingungen im Medizin- und Pflegesektor im Fokus stehen.
"Eine gelungene Veranstaltung", sagt die Polizei
Ein großer Teil der Teilnehmenden kommt mit dem Fahrrad und nutzt dieses coronakonform als Abstandshalter. Maskenpflicht und Abstandsregeln werden fast vollständig eingehalten, sagt Anja Dierschke von der Berliner Polizei: "Das war auf die Straße getragene Meinungsfreiheit, so wie wir uns das vorstellen - eine gelungene Veranstaltung."
Die Polizei hatte sich eigentlich auf einen schwierigen Einsatztag vorbereitet. Parallel zu Unteilbar hatten auch die AfD sowie mehrere Bündnisse von Corona-Leugnern zu Demonstrationen und Veranstaltungen aufgerufen. "Unser Fokus liegt daher auf dem Schutz von Medienhäusern und Regierungsgebäuden", so Dierschke. Etwa 1000 Einsatzkräfte kommen insgesamt zum Einsatz.
Gegen 15.40 Uhr erreicht die Spitze des Unteilbar-Zuges den Strausberger Platz in Friedrichshain und wird von der Berliner Punkband ZSK empfangen. Auch die folgende Abschlusskundgebung spiegelt die Vielfalt linker Themen wieder. Zu den prominentesten Rednerinnen und Rednern gehören Carla Reemtsma von "Fridays for Future", der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Werneke und per Video der Whistleblower Edward Snowden. Letzterer spricht in seiner Funktion als Präsident des Vereins "Freedom of Press" über digitale Sicherheit, die Gefahr digitaler Spionage und Meinungsmanipulation. Zudem erinnern zwei Enkel an die kürzlich verstorbene Holocaust-Überlebende Esther Bejarano, die im Laufe des Nachmittags vielfach zitiert wird.
Am meisten Eindruck hinterlassen aber Said Edris Hashemi und Mirkan Unvar, Überlebende des Anschlags in Hanau und Brüder von Opfern des rechten Attentäters. "Stellt euch vor, ihr trefft euch mit euren Jungs wie jeden Abend. Doch dein Bruder kommt nicht mehr zurück, weil jemand es nicht ertragen konnte, dass manche Menschen braune Augen haben", sagt Unvar. Und Hashemi berichtet, dass sie selbst zu Ermittlern werden mussten, um alle Hintergründe zu erfahren. Unvars abschließender Appell, sich weder von Rechten spalten noch von Polizei und Bürokratie kleinkriegen zu lassen, erhält den längsten und lautesten Applaus des Nachmittags. Viele der noch Anwesenden erheben sich von ihren mitgebrachten Picknickdecken. Ein verbindendes Erlebnis unter der noch aufgetauchten Spätsommersonne als Abschluss - ganz im Stile eines Familientreffens.