Unruhen im Jemen:Revolution, die dritte

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Auch im Jemen demonstrieren die Menschen, aber das Regime ist stabil. Solange Präsident Salih sich auf die Armee und die Präsidialgarde verlassen kann, wird er nicht gehen.

Rudolph Chimelli

Von Stabilität, dem proklamierten Ziel westlicher Freunde, konnte im Jemen schon keine Rede mehr sein, lange bevor das tunesische Beispiel auch dort eine Protestbewegung mobilisierte. Im vernachlässigten Norden des Landes befanden sich die Huthi-Rebellen der schiitischen Zaiditen fünf Jahre im Aufstand, bevor eine unsichere Waffenruhe eintrat. Zugleich festigten sich die Sezessionswünsche im südlichen Landesteil, der vormaligen mit der Sowjetunion verbündeten Volksrepublik Südjemen, wo die schwindenden Erdölvorräte und die anderen Ressourcen liegen.

Die allgemeine Armut bereitet den Nährboden für Extremisten, die Zuspruch in großen Teilen der Bevölkerung finden und die Sicherheitskräfte bereits vor Jahren infiltrieren konnten. Sie haben sich vor etwa zwei Jahren mit Gleichgesinnten aus Saudi-Arabien zur "al-Qaida der Arabischen Halbinsel" vereinigt.

Die Amerikaner helfen dem Präsidenten Ali Abdullah Salih mit Raketenangriffen auf angebliche Terroristen, die mit den Separatisten zusammenspielen, ohne sich zu dieser Unterstützung offen zu bekennen. Doch dies nutzt weder dem unpopulären Staatschef noch ihnen. Mit dem Elend wächst die anti-amerikanische Stimmung.

Das reiche touristische Potential des Jemen bleibt ungenutzt, seit die Regierung weite Gebiete im Lande nicht mehr kontrolliert. Die Räuberromantik, von denen früher die glimpflich endenden Entführungen begleitet waren, ist blutigem Ernst gewichen. Die Touristen kommen nicht mehr. An ihre Stelle sind Elendsflüchtlinge aus Somalia und Eritrea getreten.

"Schaut auf Tunesien!", rufen die Demonstranten in Sanaa. "Wir Jemeniten sind stärker!" Das stimmt numerisch, denn mit 23 Millionen hat der Jemen mehr als doppelt so viele Einwohner. Es entspricht der Lage auch insofern, als dass die Jemeniten latent auf Rebellion gegen die Zentralgewalt gestimmt sind. Kein Mann ging in alter Zeit ohne seinen Vorderlader aus dem Haus.

Heute trägt er meist eine Kalaschnikow, die überall zu volkstümlichen Preisen zu haben ist. Es war eine Herkulesarbeit für die Sicherheitsleute des Präsidenten, die Stammesleute durch rigorose Kontrollen wenigstens dahin zu bringen, dass sie ihre Waffen beim Betreten der Hauptstadt ablegen. Ob dies wirklich durchgehend der Fall ist, kann niemand sagen.

Auch in anderer Hinsicht ist das kleine Tunesien mit seiner relativ guten Infrastruktur und seinem hohen Bildungsstand kein Modell. Der Jemen ist unentwickelt, unwegsam und das Analphabetentum ist weit verbreitet. Ein Drittel des Volkes ist nach Untersuchungen ausländischer Experten ständig unterernährt. Die Hälfte der Jemeniten lebt von kaum mehr als einem Euro am Tag. Da es für die Jugend fast keine Arbeitsplätze gibt, sind alle einschlägigen Statistiken Makulatur. Salih, seine Familie, seine Begünstigten und führende Offiziere stehlen gemessen an den geringeren Ressourcen des Landes kaum weniger als die Leute Ben Alis.

Doch anders als in Tunis gibt es in Sanaa nicht einige Bastionen der Macht, durch deren Übernahme eine Revolution die Kontrolle über das Land bekäme. Vor Demonstrationen allein wird Salih kaum zurückweichen. Solange er sich auf die Armee und die von seinem Sohn kommandierte Präsidialgarde verlassen kann, wird er nicht gehen. Der Umsturz, falls er überhaupt kommt, kann nicht durch die Straße erfolgen, sondern allein durch eine Palastrevolution. Das innere Machtgefüge des Regimes bleibt indessen so undurchsichtig, dass Prognosen schwierig sind.

Eine Erneuerung von der Spitze abwärts braucht das Land mit Sicherheit, wenn die Verelendungsspirale aufgehalten werden soll. Zur Lösung der drückenden materiellen Probleme können Unruhen, die keine politische Veränderung bewirken, jedoch nicht beitragen.

© SZ vom 28.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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