Unabhängigkeitsreferendum:EU sollte im Streit um Katalonien vermitteln

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In Barcelona wird für ein Referendum protestiert. (Foto: AFP)

Spaniens Zentralregierung fährt schwere Geschütze gegen die Separatisten auf - und vergiftet das Klima. Aber auch die Führung in Barcelona macht einige Fehler. Brüssel muss den Zusammenprall verhindern.

Kommentar von Thomas Urban, Madrid

Strafverfahren gegen Parlamentarier wegen einer Debatte, Versammlungsverbote, Unterbindung des Postverkehrs, Blockade von Internetseiten - in diesen Tagen ist klar geworden, dass der Konflikt um die wirtschaftstarke Region Katalonien kein innerspanisches Problem ist. Der Streit betrifft die gesamte EU, denn er berührt die Grundfrage, auf welche Weise in einer Demokratie fundamentale Interessengegensätze aufzulösen sind.

Die Konfliktlage ist klar: Die Regionalregierung in Barcelona strebt die Loslösung von Spanien an, die Zentralregierung in Madrid versucht energisch, dies zu verhindern und hat dabei das Verfassungsgericht auf seiner Seite. Damit ist auch für Brüssel eine rote Linie gezogen: Die Entscheidung der Verfassungsrichter in einem demokratischen Staat darf nicht ignoriert werden. Die Katalanen haben dies naiv unterschätzt.

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Von Thomas Urban

Sie haben noch einen zweiten Kardinalfehler begangen. Für das Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober haben sie keine Mindestwahlbeteiligung für die Gültigkeit vorgesehen. Überdies ist die formal korrekte Durchführung der Abstimmung nicht garantiert, da Polizei und Staatsanwaltschaft die Wahl verhindern sollen. Vor allem aber steht das gesamte Vorgehen der Führung in Barcelona politisch auf schwachen Füßen. Denn bei den letzten Regionalwahlen bekamen die Parteien, die kompromisslos die Loslösung von Madrid anstreben, 48 Prozent der Stimmen. Zwar erreichten ihre Gegner nur rund ein Drittel; doch kann hier von einem klaren Wählerauftrag nicht die Rede sein.

Auf einem völlig anderen Blatt steht, dass die konservative Zentralregierung unter Mariano Rajoy versucht, mit Polizeimethoden und juristischen Repressionen eine demokratische Massenbewegung zu zerschlagen. Zwar deklarieren sie die Konfrontation als "Verteidigung der Demokratie", aber so lässt sich eben keine Demokratie verteidigen. Vielmehr ist zu befürchten, dass die junge Generation in Katalonien noch stärker von Spanien wegstreben wird. Das Klima könnte auf Jahre vergiftet sein.

Dem aktuellen Konflikt liegt eine lange Kette schwerer Fehleinschätzungen Rajoys zugrunde, der sich eigentlich in den vergangenen Jahren internationales Ansehen erworben hat, weil er mit ruhiger Hand versucht, die schwere Wirtschaftskrise des Landes in den Griff zu bekommen. Aber offenkundig hat er nie die Bedeutung von Empathie und Dialogbereitschaft in der Politik begriffen. So hat seine Partei vor einem Jahrzehnt das bereits vom Parlament und den Katalanen in einem Referendum angenommene Autonomiestatut für die Region wegen einiger Nebenaspekte vom Verfassungsgericht kippen lassen. Das war die Initialzündung für die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, die bis dahin kaum mehr als zehn Prozent bei Regionalwahlen erreicht hatte.

Der zweite fundamentale Fehler von Rajoy war es, das Anliegen der Katalanen, die Neuverhandlung des Finanzausgleichs zwischen den Regionen, öffentlich abzuschmettern. Die Katalanen führen keineswegs grundlos an, dass sie nur einen kleinen Teil der von ihnen erbrachten Steuermittel zurückbekommen; das Schlagwort von der "Ausplünderung der Region" hat längst große Wirkung erzielt. Die Konservativen in Madrid haben nicht begriffen, dass in der republikanisch-bürgerlichen Gesellschaft Kataloniens Politik stets als Interessenausgleich verstanden wurde. So hat Rajoy nie versucht auszuloten, welche Kompromisse unterhalb der staatlichen Unabhängigkeit für die Katalanen akzeptabel wären.

Spanien benötigt im Streit der Regionen dringend EU-Hilfe

Zehn Tage vor dem geplanten Referendum steht nun die EU vor dem Problem, wie sie den großen Zusammenprall noch verhindern kann, obwohl sie formal nicht dafür zuständig ist. EU-Politiker müssen Rajoy vermitteln, dass er den Katalanen etwas anbieten muss, politisch wie emotional. Naheliegend wäre in der Tat eine Neuregelung des Finanzausgleichs, was zumindest einen Teil der Sezessionisten zufriedenstellen würde. Hinzu kommen sollten unbedingt geschichtspolitische Gesten, die ein weiteres überaus kontroverses Thema entschärfen könnten: die Repression der Katalanen unter dem Franco-Regime.

Ein Weg aus der verfahrenen Situation wird sich auch nur eröffnen, wenn die strafrechtliche Verfolgung katalanischer Politiker beendet wird. Sie berufen sich auf ein demokratisches Grundrecht, was im Übrigen im Zeitalter von Brexit- und Schottland-Referendum durchaus naheliegend ist. Und in Barcelona sollte man sich ebenfalls kompromissbereit zeigen. Das jetzige Projekt ist nämlich schlecht vorbereitet und hat auch deshalb in Europa keine Chance.

© SZ vom 21.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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