Carles Puigdemont:"Wollen Spanien nicht den Rücken kehren, sondern die besten Nachbarn sein"

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Carles Puigdemont spricht auf einer Kundegebung in der katalanischen Stadt Tarragona. (Foto: REUTERS)

Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont hält trotz Drohungen am Unabhängigkeits-Referendum fest - und wirbt dafür, die Region im Falle einer Abspaltung schnell zum EU-Mitglied zu machen.

Interview von Thomas Urban

Der Streit um das katalanische Unabhängigkeitsreferendum hat sich in den vergangenen Tagen noch einmal verschärft. Kataloniens Ministerpräsident Carles Puigdemont und das Regionalparlament in Barcelona widersetzen sich dem Entscheid des spanischen Verfassungsgerichts, der die für den 1. Oktober angesetzte Abstimmung verbietet. Die Zentralregierung in Madrid hat Justiz und Polizei in Marsch gesetzt, um die Katalanen an der Stimmabgabe zu hindern. Den Initiatoren des Referendums drohen hohe Geld- und sogar Gefängnisstrafen. Mehr als 700 Bürgermeister hat die Staatsanwaltschaft bereits zu Anhörungen vorgeladen, weil sie die Abstimmung unterstützen.

SZ: Herr Ministerpräsident, werden Sie am 1. Oktober noch im Amt sein?

Carles Puigdemont: Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Der Regierungschef Kataloniens wird vom Parlament in Barcelona bestimmt. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass sich dort jemand anschickt, ein Misstrauensvotum gegen mich zu beantragen.

Katalonien
:Spaniens Justiz schlägt zurück

Im Streit um ein Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien droht die spanische Justiz 742 Bürgermeistern eine Hafstrafe an.

Ihr Schicksal hängt aber auch von Madrid ab. Ihre Regierung strebt ein Unabhängigkeitsreferendum an. Das spanische Verfassungsgericht hat aber die Abstimmung und alle Vorbereitungen für illegal erklärt; die Generalstaatsanwaltschaft ermittelt gegen Sie und Ihr Kabinett wegen versuchten Staatsstreichs. Sie könnten von Madrid abgesetzt werden.

Es ist ein Unding, dass der Wunsch nach einem demokratischen Votum kriminalisiert wird. Seit vielen Jahren versuchen wir, uns mit Madrid darüber zu einigen, auf welche Weise der politische Wille der Bürger Kataloniens festgestellt werden kann. Alle unsere Bemühungen, darüber zu sprechen, sind gescheitert. Alle Umfragen zeigen, dass die überwältigende Mehrheit sehr wohl ein Referendum möchte, sogar viele Gegner einer Loslösung von Madrid. Im Übrigen erlaubt die spanische Verfassung eine derartige Abstimmung. Es fehlt nur am politischen Willen, dies zuzugestehen.

Madrid argumentiert: Wenn schon Referendum, dann müssten alle Spanier über den Fortbestand des Landes in seinen heutigen Grenzen abstimmen. Und da wäre das Meinungsbild sehr klar: Die überwältigende Mehrheit der übrigen spanischen Bevölkerung möchte den Katalanen keine Abspaltung erlauben.

Dieses Argument widerspricht der Idee der Selbstbestimmung. Im Übrigen würde sich dann ein grundlegendes Problem stellen: Könnte diese Mehrheit wirklich auf ihrem Nein beharren, wenn es in Katalonien ein klares Votum für die Unabhängigkeit gäbe?

Vor zehn Jahren waren die Verfechter einer staatlichen Unabhängigkeit in Katalonien eine Splittergruppe, heute sind sie im Parlament von Barcelona in der Mehrheit. Was ist passiert?

Das ist die Schlüsselfrage, die sich aber niemand stellt von den Regierenden in Madrid. Historisch betrachtet gab es unter den Katalanen immer das Bestreben, selbst über ihre politischen Verhältnisse zu bestimmen. Es gab nach dem Ende des Franco-Regimes vor vier Jahrzehnten lange die Hoffnung, dass ein demokratisches Spanien, das den Regionen eine weitgehende Autonomie zugesteht, die besten Voraussetzungen dafür bietet. In den vergangenen Jahren haben wir aber erlebt, dass die Tendenz zum Zentralstaat wieder stark zugenommen hat. Es war ein Einschnitt, als das Verfassungsgericht auf Betreiben der jetzt in Madrid regierenden konservativen Volkspartei vor sieben Jahren das Autonomiestatut für Katalonien für ungültig erklärt hat, obwohl dieses bereits vom Parlament und auch vom König akzeptiert worden war. Für die Katalanen bedeutete der Schritt, dass sie sich erneut von Madrid zurückgesetzt fühlten.

Was fehlt denn den Katalanen im heutigen Spanien?

Entscheidungen über die Entwicklung Kataloniens werden nicht von uns getroffen, sondern in Madrid: über unser Bildungssystem, unser Sozialsystem, unsere Infrastruktur. Wir haben das Gefühl, dass wir die Dinge besser regeln würden, wenn wir selbst entscheiden könnten. Wir sind eine wirtschaftsstarke Region, wir würden unsere Steuermittel besser verwenden, als es jetzt geschieht, wo wir das Gros nach Madrid abführen müssen und nur ein kleiner Teil zu uns zurückfließt. Auch schauen wir anders auf viele Dinge, etwa auf das Problem mit den Flüchtlingen. Bei uns gibt es eine große Bereitschaft zu helfen. Sollten sich unsere Wähler mehrheitlich für die Unabhängigkeit entscheiden, werden wir auf eine enge Zusammenarbeit mit Madrid zum beiderseitigen Vorteil setzen. Wir wollen Spanien nicht den Rücken kehren, sondern die besten Nachbarn sein, es gibt so viele Verbindungen.

Aber so einfach ginge das ja nicht. Die Regierung in Madrid verweist darauf, dass eine Republik Katalonien nicht automatisch Mitglied der Europäischen Union bleiben könnte, sondern sich darum bewerben müsste.

Diesen Automatismus gibt es nicht, weil dieser Fall nicht geregelt ist. Niemand kann bestreiten, dass Katalonien Teil Europas ist. Wir sind sogar ein überaus dynamischer Teil. Dank unserer Wirtschaftskraft gehört unsere Region schon jetzt zu den Nettozahlern in der EU. Wir sind keine Nationalisten, sondern für die Stärkung der europäischen Strukturen. Unsere jetzige Regierung steht für die Tradition der spanischen Republik, die im Bürgerkrieg von der Armee Francos zerschlagen wurde. Wir haben nicht vergessen, dass damals ein Teil unserer politischen Elite ermordet und ein anderer Teil ins Exil getrieben wurde. Und wir wissen auch, wo der Ursprung der konservativen Volkspartei liegt, die das Referendum blockieren möchte: Sie ist aus einer franquistischen Gruppierung entstanden.

Doch das ist die Vergangenheit. Heute droht man in Madrid, den Verbleib eines unabhängigen Kataloniens in der EU zu blockieren.

Sollte bei dem Referendum der Unabhängigkeitsplan eine Mehrheit bekommen, so werden sich alle Seiten rasch auf eine pragmatische Lösung verständigen. Die Regierungen der anderen EU-Staaten werden selbstverständlich ein klares demokratisches Votum anerkennen. Die Vorstellung, dass unsere Region, die bereits voll in die europäischen Strukturen integriert und deren Bevölkerung überaus proeuropäisch eingestellt ist, aus der Union ausgeschlossen werden sollte, gehört in das Reich des Surrealismus.

© SZ vom 15.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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