Ukraine:Nach dem Staudamm-Bruch

Lesezeit: 2 min

Die Wasserpegel steigen weiter in der Nähe von Cherson. (Foto: Stringer/Reuters)

Überflutete Orte, kein Trinkwasser und eine Landwirtschaft ohne Bewässerung - die Katastrophe ist riesig. Die Auswirkungen für die Umwelt sind kaum abzusehen, Menschen werden durch freigespülte Minen gefährdet.

Von Katja Guttmann

Bereits im vergangenen Herbst stand die Frage im Raum, welche Auswirkungen eine mögliche Zerstörung des Kachowka-Staudamms durch das Kriegsgeschehen in der Ukraine haben könnte. Damals beschuldigten sich Russland und die Ukraine gegenseitig, den Damm sprengen zu wollen. Eine Gruppe schwedischer Ingenieure entwarf daraufhin ein Szenario, das sich furchterregend liest: Das Wasser würde schneller aus dem Stausee strömen als die Niagarafälle; innerhalb von 19 Stunden würde eine vier bis fünf Meter hohe Wasserwelle die Großstadt Cherson treffen. Das sagte die von der Firma Dämningsverket veröffentlichte Studie voraus. Nun hat die Realität die Berechnungen überholt. "Es sieht so aus, als ob das Realszenario noch schlimmer war als in meinem Modell", sagt Henrik Ölander-Hjalmarsson, einer der Ingenieure, der Washington Post. Der Grund: "Der Wasserstand im Stausee war deutlich höher als in meinem Modell", so der Ingenieur.

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Dass die Modelle der schwedischen Wissenschaftler nicht ausreichen, um die Katastrophe zu erfassen, deutet sich an. Dennoch ist das genaue Ausmaß der Überschwemmungen noch nicht absehbar: Mehr als 30 000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde sollen aus dem Stausee strömen. Das ist in etwa so, als würde sich in nicht einmal drei Stunden der gesamte Tegernsee entleeren. Die Wasserpegel rund um den Kachowka-Staudamm bewegen sich stetig nach oben. Bis Donnerstagvormittag werde das Wasser noch um einen Meter ansteigen, sagte der Sprecher der Chersoner Militärverwaltung, Oleksandr Tolokonnikow, am Mittwoch im ukrainischen Fernsehen. Außerdem bestehe die Sorge, dass der Staudamm auf noch größerer Breite als bisher kollabiere.

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Gleich nach der Invasion im Februar 2022 sollen russische Truppen den Staudamm am Kachowka-See vermint haben. Vieles spricht dafür, dass sie die Sprengladungen jetzt gezündet haben. Die Überschwemmungen dürften das ukrainische Militär bei einem Vormarsch massiv behindern.

Von Florian Hassel

Mehr als 42 000 Menschen auf beiden Uferseiten des Dnjepr (Dnipro) sind von Überschwemmungen bedroht, so heißt es von Präsident Wolodimir Selenskij, Hunderttausende sind demnach ohne Trinkwasserversorgung. 80 Ortschaften sind möglicherweise von Überflutungen betroffen. Darunter auch die kleine Stadt Oleschky, die nach Angaben des von Russland eingesetzten Statthalters nahezu vollständig überschwemmt ist. In der russisch besetzten Stadt Nowa Kachowka sind russischen Angaben zufolge rund 100 Menschen in den Wassermassen eingeschlossen. Die Stadt liegt direkt neben dem Staudamm. Rettungseinsätze für diese Menschen liefen, sagte der von Moskau eingesetzte Bürgermeister Wladimir Leontjew der russischen Nachrichtenagentur Tass.

Auswirkungen für Ackerbau und Umwelt

Vor allem für die Landwirtschaft in der Südukraine wird der Staudamm-Bruch verheerende Auswirkungen haben, denn die Felder wurden seit den 50er Jahren durch Kanäle bewässert, die sich auch aus dem Stausee speisen. Diese Felder könnten sich im kommenden Jahr in Wüsten verwandeln, weil die Wasserversorgung in den Gebieten Dnipropetrowsk, Cherson und Saporischschja gekappt worden sei, heißt es von Seiten der ukrainischen Regierung.

Die landwirtschaftliche genutzte Fläche in der Region ist riesig: Auf 584 000 Hektar seien rund vier Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten geerntet worden. Rund 10 000 Hektar Felder seien allein auf der rechten, von der Ukraine kontrollierten Uferseite in der Oblast Cherson überflutet würden. Deutlich mehr Anbauflächen würden auf der linken, von Russland kontrollierten Seite unter Wasser stehen.

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Nach Informationen der ukrainischen Regierung sind außerdem mindestens 150 Tonnen Maschinenöl in den Dnjepr gelangt. 300 weitere Tonnen Öl drohten noch auszulaufen. Welche Auswirkungen das für die Umwelt haben wird, ist noch nicht abzusehen. Aber die Liste der Risiken wird immer länger: Die ukrainische Umweltbewegung Ecoaction hat in einer Zusammenfassung auf die vielen Probleme hingewiesen, die durch die Überflutungen von Abwassersystemen entstehen können: So könnten etwa Schadstoffe aus Industriebetrieben in der Nähe des Dnjepr ins Schwarze Meer gespült werden. Mehrere Nationalparks seien von der kompletten Zerstörung bedroht, darunter der Oleschky-Sande-Nationalpark und das Biosphärenreservat Schwarzes Meer.

Eine Gefahr kommt noch dazu: überflutete Minenfelder. Teile der Oblast Cherson sind vermint, weil Russland sich dort auf ukrainische Gegenangriffe vorbereitet. Minen können von den Wassermassen unkontrolliert verbreitet werden und beim Aufprall auf Bäume oder Gebäude detonieren.

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