Kohleförderung:Ukraine: Nach dem Krieg droht die Umweltkatastrophe

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Schlag gegen das Herz der ukrainischen Industrie: Die Trudowskaj-Mine im Gebiet Donezk wurde bei Kämpfen beschädigt. (Foto: imago/ITAR-TASS)
  • Durch den Krieg sind die Geschäfte im ukrainischen Bergbau völlig zusammen gebrochen.
  • Viele Bergwerke sind geflutet, gesprengt, vermint oder dienen als Lagerstätten für Waffen.
  • Durch die Überlastung der Atomkraftwerke und die brachliegenden Kohlebergwerke droht der Ukraine nun eine Umweltkatastrophe.

Von Cathrin Kahlweit, Kiew

Dmitrij Sacharuk ist ungehalten. "Wollen wir miteinander Handel treiben, oder wollen wir gegeneinander Krieg führen", fragt er und lässt keinen Zweifel daran, dass er für Handel ist. Sacharuk, Top-Manager im Kohle- und Stahl-Imperium des ukrainischen Oligarchen Rinat Achmetow, stellt damit die zentrale Frage im Krieg gegen die von Russland gestützten Separatisten: umarmen oder abschotten?

Es gibt darauf mehrere Antworten: eine ideologische, eine diplomatische und eine pragmatische. Der Manager in seinem Hochhausbüro weit oben über den Dächern von Kiew, Geschäftsführer bei DTEK-Energie, nennt die Frontlinie eine "chinesische Mauer". Bis zu zwei Tage, manchmal mehr, brauche man an den Checkpoints, um auf die andere Seite zu kommen; die Eisenbahn sei aufgrund einer Streikwelle wochenlang nicht gefahren, Geldtransfers in die von Separatisten kontrollierten Gebiete seien nicht mehr möglich - und all das aufgrund des "fehlenden politischen Willens, die Probleme zu lösen, vor die dieser Krieg das Land gestellt hat".

Offiziell spricht die Regierung nicht mit den Regimes in Donezk und Luhansk. Gleichzeitig gilt der unter Moskaus Einfluss stehende Teil des Donbass aber bis heute als ukrainisches Territorium und läuft unter "nicht regierungskontrolliertes Gebiet". Allerdings verhandelt die Regierung in Kiew durchaus mit den Separatisten - etwa in der Arbeitsgruppe "Wirtschaft und Energie" unter dem Dach der Minsker Trilateralen Kontaktgruppe.

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Der Ausfall der Kohle wurde vor allem durch Kernkraft kompensiert

Und gehandelt wird mit ihnen auch. Diplomaten verweisen darauf, dass das "statusneutral" geschehe, also keine Annäherung oder gar Anerkennung bedeute - nach dem Vorbild des innerdeutschen Handels zwischen DDR und BRD. Nur spricht man nicht laut darüber. Das kann im Zweifel kleine Erfolgsgeschichten über eine stille Verständigung jenseits der politischen Propaganda bewirken, macht die Sache aber je nach Standpunkt komplex, oder verlogen.

Am besten lässt sich dies am Beispiel eines für die Ukraine lebenswichtigen Produkts erklären: Kohle. Die meisten Kohlebergwerke der Ukraine, sowohl staatliche als auch private, liegen auf den Gebieten der sogenannten Volksrepubliken. Alle zusammen produzieren heute ein Drittel weniger, als sie könnten, und durchschnittlich 50 Prozent (die staatlichen sogar 80 Prozent) weniger als vor fünf Jahren. Das besagt eine Statistik des ukrainischen Energieministeriums.

Kompensiert wurde der Ausfall vorwiegend durch Kernkraft; Experten warnen aber davor, dass die permanente Überlastung der Atomkraftwerke in der Ukraine jederzeit zu einer Katastrophe führen könne. Aber das ist nur einer der vielen wenig beachteten Aspekte in diesem ökonomischen und ökologischen Krimi.

Die Gründe dafür, dass weniger Kohle gefördert wird, sind politische Korruption und fehlende Investitionen vor dem Krieg, der Krieg selbst, die Rezession, die Zerstörung: Viele Bergwerke sind geflutet, gesprengt oder vermint, dienen als Lagerstätten für Waffen oder werden illegal betrieben. Hinzu kommen enorme Umweltschäden und Gefahren, von denen noch zu sprechen sein wird.

Rolf Petry könnte die Kohleförderung in der Ukraine wieder voranbringen

Die Kohle ist also ein Sinnbild für den Konflikt: Wem gehört sie? Wer fördert sie? Wer transportiert sie, wer bezahlt sie, und wie wird sie bezahlt? Wer profitiert, wer leidet, wer hat einen Plan für die Zukunft? Zumindest über den Status quo kann Rolf Petry Auskunft geben, Kohle-Experte und Ex-Manager der Ruhrkohle AG.

Er hat im vergangenen Jahr, finanziert vom deutschen Außenministerium, unterstützt von Kiew und interessanterweise auch von Moskau und den Separatisten, einen Bericht über diesen Status quo erstellt. "Gutachten zur Wiederaufnahme der Kohleförderung in der Ukraine" lautet der sperrige Titel, dessen Ergebnisse und Folgen nun, im besten Falle, im Rahmen der Minsker Gespräche zu einer erweiterten Kooperation aller Beteiligten führen könnten. Denn die Separatisten sitzen auf Kohle, und die Ukraine braucht Kohle.

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Alles begann mit einer verweigerten Unterschrift. Seit der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch das Assoziierungsabkommen mit der EU ablehnte, kommt die Ukraine nicht zur Ruhe. Im Osten der Ukraine stellen sich die Minenarbeiter gegen die Separatisten.

Die Importe, mit denen sich Kiew eine Weile über die Lieferengpässe aus dem Donbass gerettet hatte, sind viel teurer als Kohle aus heimischer Förderung. Und Überflutungen und Sprengungen stellen alle Parteien vor enorme Herausforderungen. Auch Moskau. Denn bekanntlich enden die Flöze von Bergwerken nicht direkt an Staatsgrenzen, und das in hundert Jahren gewachsene Geflecht unter Tage, das bis nach Russland hineinreicht, stellt ein Spiegelbild der Lage über Tage dar.

Rolf Petry hat insgesamt 85 Bergwerke besucht, davon 56 im Konfliktgebiet. Dabei haben ihn häufig Trupps der OSZE-Mission begleitet - aus Sicherheitsgründen. Einige Bergwerke konnte er nicht besichtigen, weil es zu gefährlich war, oder weil die Manager der Staatsbetriebe sich nicht in die Karten schauen lassen wollten; überhaupt hat er auf beiden Seiten der Front vor allem privat geführte Bergwerke, unter anderem die der DTEK, in einem guten Zustand vorgefunden.

Das kann man darauf zurückführen, dass die Werke des Kohle-und Stahlpapstes Achmetow nicht von den Separatisten überfallen wurden, weil sie nach wie vor etwa 35 000 Bergleute in Lohn und Brot halten - in einer Region, die ansonsten fast nur noch Jobs bei Miliz und Polizei zu bieten hat und hohe Preissteigerungen verzeichnet.

Achmetow lässt auch nach wie vor täglich Zehntausende Hilfspakete an die desillusionierte Bevölkerung in den "Volksrepubliken" liefern. Aber: Er hat eben, wie viele Mittelständler auch, in moderne Geräte und Arbeitssicherheit investiert, während man die meisten staatlichen Bergwerke, so Petry, "umstandslos in die Technikabteilung des Deutschen Museums in München" stellen könnte.

Nun ist der Multimilliardär vor allem Unternehmer und nicht Philantrop, aber Achmetows Politik nützt der Regierung in Kiew. Dmitrij Sacharuk ist zuständig für elf Bergwerke im Separatistengebiet, die hochwertige Anthrazit-Kohle fördern. Registriert sind die Minen allerdings im regierungskontrollierten Teil, weil es sonst heiße, man arbeite mit "Terroristen" zusammen, sagt er, und weil man mit den Separatisten möglichst wenig Kontakt haben wolle: Man zahle keine Steuern an Männer mit Gewehren und ohne Moral.

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Auch einige ehemals staatliche Bergwerke auf dem Separatistengebiet sind bis heute in Betrieb; die Regimes in Donezk und Luhansk bezeichnen sie als Volkseigentum, aber mehrere Minister und Manager wurden schon verhaftet oder sind verschwunden, weil sie in die eigene Tasche wirtschafteten. Zumindest die Selbstbereicherung ist auf beiden Seiten der Front gleichermaßen Teil des Systems.

Die Regierung in Kiew will nun ein neues Konzept für die Kohleindustrie vorlegen

In Kiew immerhin will man nun vieles ändern. Ein Drittel des Primärenergie-Bedarfs wird in der Ukraine aus Kohle gewonnen, ein Drittel des Energieverbrauchs aus Kohle gespeist. Der Ausbau erneuerbarer Energien steht nur auf dem Papier, die politische Verantwortung für die Kohleindustrie hat in Kiew seit dem Maidan-Aufstand mehrmals gewechselt. Aber: Ein Konzept des neuen Ministers sieht die Stilllegung ineffektiver Minen und die Privatisierung der wenigen lukrativen staatlichen vor.

Vor einem Jahr hieß es noch, die Ukraine stehe wegen des kriegsbedingten Rückgangs der Kohleförderung vor einer "beispiellosen Energiekrise". Das zumindest ist vorbei - auch weil Kiew wieder die Kohle aus den besetzten Gebieten nutzt. Der ausufernde Schmuggel, mit dem Donbass-Kohle entweder über Russland aus- und in die Ukraine eingeführt oder auf dem Schwarzen Meer in teurere Importkohle umetikettiert wurde, soll dadurch zurückgedrängt werden. Aber hundert praktische Probleme bleiben, die auch politische Probleme sind.

Die Transporte aus den Separatistengebieten etwa laufen über die Eisenbahn, eine der letzten Lebensadern zwischen "Volksrepubliken" und regierungskontrolliertem Gebiet. Als Donezk und Luhansk die Eisenbahngesellschaft auf ihrer Seite verstaatlichten, stellte Kiew die Lohnzahlungen ein. Folge war ein langer Streik; erst seit Anfang Juli fließt wieder Geld.

Im Donbass droht eine ökologische Katastrophe

Und nicht nur die Eisenbahner haben gestreikt. Der Chef der Unabhängigen Bergarbeitergewerkschaft, Michael Volynetz, der mit Bergarbeitern vor dem Kiewer Parlament demonstrierte, ist über deren Arbeitsbedingungen so empört wie über ausbleibende Löhne. Seine Wut richtet sich gegen die "korrupte Regierung in Kiew", denn die sei sein Ansprechpartner. Obwohl letztlich alle Fragen, die die Menschen in den "Volksrepubliken" angingen, in Moskau entschieden würden, wie er zugibt. Und in Moskau denke man nicht "an die Menschen".

Aber in einem Punkt, ruft Volynetz, müsse schnellstens eine Einigung her: in der Umweltfrage. Denn im Donbass drohe eine ökologische Katastrophe. In zahlreichen verlassenen oder gesprengten Bergwerken liefen die Pumpen nicht mehr, der Wasserpegel steige stetig, Methangas trete an die Oberfläche, wabere durch die Keller. Gifte, Schwermetalle, nukleare Altlasten aus Uran-Sprengungen - all das werde nach oben geschwemmt, fließe ins Grundwasser, in die Flüsse, ins Trinkwasser. "Niemand weiß, wann uns das alles um die Ohren fliegt, das kann in zwei Jahren, aber auch schon in sechs Monaten sein."

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Brandbriefe werden geschrieben: vom Kohle-Konzern DTEK unter Verweis auf die Recherchen von Petrys Team an das deutsche Wirtschaftsministerium. Vom Gouverneur des Luhansker Gebiets an die OSZE-Mission. Alle fürchten die Verseuchung von Gewässern, die Überflutung von Dörfern und Straßen, epidemiologische und sanitäre Probleme größten Ausmaßes. Eine Sprecherin von Präsident Petro Poroschenko hat angedeutet, dass man in dieser Frage bereit sei, mit Russland zu kooperieren. Es ist ein Anfang.

Auch Petry spricht von einer Zeitbombe. Als junger Mann hat er die Entstehung der Montanunion erlebt, nun träumt er von einer Kooperation Kiews, Moskaus und des Westens im Donbass. Aber er sei Ingenieur, sagt er, kein Politiker. In Berlin ist man erfreut, dass in dieser Causa überhaupt geredet wird. Beteiligte der Minsker Arbeitsgruppe denken, dass die ökologische "Zeitbombe" eines Tages ein Druckmittel sein könnte, alle Konfliktparteien - also auch die Russen, die offiziell gar keine sind - zu Zugeständnissen zu bewegen. Zahlen müsste das Rettungsprojekt aber letztlich wohl der Westen.

© SZ vom 20.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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