Dokumente zum Krieg veröffentlicht:War es ein US-Leck? Was das Auftauchen der geheimen Papiere bedeutet

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Ukrainische Soldaten feuern mit einer 105-mm-Feldhaubitze auf russische Stellungen in der Nähe von Bachmut. (Foto: -/dpa)

Im Internet kursieren mutmaßliche US-Geheimpapiere zum Krieg in der Ukraine. Washington untersucht den Fall. Fragen und Antworten zum Thema.

Schon seit Wochen kursieren in sozialen Netzwerken im Internet offensichtlich geheime Dokumente von US-Stellen zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine. In den USA berichten Medien über das sensible Material zu beiden Kriegsparteien, ohne die heiklen Dokumente selbst zu veröffentlichen.

Unklar ist weiter, wer die Dokumente veröffentlicht hat. Das Investigativnetzwerk Bellingcat wies nach, dass die Dokumente teils im Nachhinein manipuliert wurden. Einige Fragen und Antworten zu dem Leak.

Was genau steht in den Veröffentlichungen?

Die veröffentlichten geheimen Dokumente beinhalten US-Medienberichten zufolge unter anderem Informationen zu Waffenlieferungen an die Ukraine und Angaben zum Munitionsverbrauch. Es gibt auch Landkarten, auf denen der Frontverlauf eingezeichnet ist, und Standorte russischer und ukrainischer Truppenverbände und deren Mannschaftsstärken. Einige der als "geheim" gekennzeichneten Schriftstücke stammten vom Februar und März, wie das Nachrichtenportal Politico berichtete.

Informationen gab es demnach auch zu Plänen der Nato und der USA, wie das ukrainische Militär auf eine bevorstehende Frühlingsoffensive vorbereitet und bewaffnet werden soll. Darüber hinaus seien Details zu Anzahl und Art geplanter Waffenlieferungen sowie die voraussichtlichen Lieferdaten vermerkt. Analysen und Informationen zu anderen Ländern, wie zum Beispiel China oder Israel, seien ebenfalls in den Dokumenten enthalten, schrieb die Zeitung Washington Post.

Auch lasse sich teilweise erkennen, mit welchen Methoden die US-Geheimdienste die Informationen gesammelt hätten und wer die Quellen seien. Die Unterlagen stammten offensichtlich von verschiedenen US-Geheimdiensten und sogar vom Oberkommando der US-Streitkräfte, berichtete das Wall Street Journal. Es scheine sich um Briefing-Unterlagen zu handeln, hieß es.

Sind die Dokumente echt?

Der Experte Aric Toler vom Investigativ-Netzwerk Bellingcat hat herausgefunden, dass die Dokumente auf der bei Gamern beliebten Plattform für Videospiele Discord die Runde machten, dann auf dem Imageboard 4Chan auftauchten, bevor sie über Telegram, Twitter und weitere Seiten verbreitet wurden. Demnach könnten sie echt sein, er wies aber auch nach, dass einige Dokumente im Nachhinein klar manipuliert wurden. Der US-Sender CNN berichtete, Regierungsmitarbeiter hätten die Echtheit der Unterlagen bestätigt.

Die US-Behörden scheinen die Sache sehr ernst zu nehmen. Sowohl das Pentagon als auch das Justizministerium untersuchten die Vorfälle, berichteten Medien übereinstimmend. US-Präsident Joe Biden sei "besorgt" über die Menge der Dokumente, die an die Öffentlichkeit gelangt sei, bestätigte ein hochrangiger Regierungsmitarbeiter Politico.

Viele der Dokumente schienen nicht gefälscht zu sein und glichen im Format denjenigen des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, bestätigten Regierungsmitarbeiter der Washington Post. Die Unterlagen des Oberkommandos der Streitkräfte sähen authentisch aus, berichtete die New York Times unter Berufung auf Regierungsmitarbeiter.

Wer steckt hinter dem Leck?

Unklar ist, wer die Dokumente veröffentlicht hat. Der Maulwurf wird jetzt fieberhaft gesucht. US-Regierungskreisen zufolge deutet die Vielfalt der in den Papieren angesprochenen Themen, die sich auf den Krieg in der Ukraine, China, den Nahen Osten und Afrika beziehen, darauf hin, dass sie eher von einem US-Amerikaner als von einem Verbündeten weitergegeben wurden. "Der Fokus liegt jetzt darauf, dass es sich um ein US-Leck handelt, da viele der Dokumente nur in US-Händen waren", sagte Michael Mulroy, ein ehemals hoher Beamter im Verteidigungsministerium, der Nachrichtenagentur Reuters. Das Ministerium bekräftigte, man habe das Justizministerium formell um eine Untersuchung gebeten.

Im Internet sind Fotografien von Ausdrucken der geheimen Dokumente zu sehen. "Das Verteidigungsministerium prüft die Echtheit der fotografierten Dokumente, die in den sozialen Medien kursieren und offenbar sensibles und streng geheimes Material enthalten", teilte das Pentagon am Sonntag mit. Eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe bewerte die Auswirkungen der durchgesickerten Geheimdienstdokumente auf die nationale Sicherheit der USA sowie auf deren Verbündete und Partner.

Hunderte, vielleicht Tausende Mitarbeiter und Außenstehende mit der entsprechenden Sicherheitsstufe hätten Zugang gehabt, sagte ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums der Washington Post. Solche Verstöße gehörten zu den schwersten Verbrechen, die es in Bezug auf die nationale Sicherheit der USA gebe, sagte eine ehemalige Anwältin der US-Luftwaffe der Zeitung.

Wie könnte sich das Leak auf den Krieg auswirken?

Die Dokumente könnten der Ukraine und den USA gleich in mehrfacher Hinsicht schaden. Zwar seien sie schon einige Wochen alt, dennoch könnten sie Moskau wertvolle Informationen liefern, sagte Dmitri Alperovitch, Vorstand der Denkfabrik Silverado Policy Accelerator, der Washington Post. Auch wenn sie keine konkreten Schlachtpläne enthielten, zeigten sie doch Art und Menge der westlichen Waffen, die auf den Schlachtfeldern der Ukraine angekommen seien, wie viele Soldaten sie bedienen könnten und wie sich die Ukraine gegen russische Angriffe verteidigen wolle.

Außerdem machten die Dokumente deutlich, wie weitgehend Russlands Sicherheitsapparat von US-Geheimdiensten durchdrungen sei, schrieb die New York Times. Das gebe Moskau Informationen darüber, wo seine Schwachstellen lägen.

Wie reagierten die Ukraine und Russland auf die Veröffentlichung?

Die Ukraine behauptet seit Tagen, es handele sich um von Russland gefälschte Dokumente. "Es ist ein gewöhnliches Geheimdienstspiel", meinte der Berater des Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, auf CNN. Die russischen Geheimdienste hätten die Dokumente selbst erstellt mit dem Ziel, unter den Verbündeten der Ukraine Zweifel und Zwietracht zu säen und von den nächsten Etappen im Krieg abzulenken. Dennoch hieß es am Montag, dass Kiew als Reaktion auf die Veröffentlichung einige seiner militärischen Pläne geändert habe. Das berichtete CNN unter Berufung auf das Umfeld des ukrainischen Präsidenten Wolodmir Selenskij.

Russland hingegen sieht durch die Berichte in den USA einmal mehr die Verwicklung Washingtons im Konflikt in der Ukraine bestätigt.

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"Die Leaks sind einigermaßen interessant, alle studieren, analysieren und erörtern sie breit", sagte Kremlsprecher Dmitrij Peskow am Montag. Das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) stellte nach Veröffentlichung der Dokumente Angst und Nervosität unter russischen Kriegsbloggern fest.

Was bedeutet das Leak für die Partner der USA?

Wie aus den Unterlagen hervorgeht, spionierten die US-Dienste auch in den Reihen der eigenen Verbündeten. Das könnte für Verstimmungen zwischen den Alliierten sorgen. Auch werfen die Veröffentlichungen neue Fragen darüber auf, wie sicher Geheimdienstinformationen sind, die andere Länder an die USA weiterleiteten, hieß es mit Blick auf den weitreichenden Austausch von geheimen Informationen zwischen den sogenannten Five-Eyes-Staaten USA, Großbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada.

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