Ukraine:Russischer Angriff tötet mehr als 50 Menschen

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Unter den Toten, die Rettungskräfte in Hrosa bergen, gehört auch ein sechsjähriger Junge. Die Rakete traf zur Mittagszeit ein Café. (Foto: Ukrainisches Polizei-Presseamt/AP/dpa)

Die Opfer in einem Dorf der Region Charkiw sind zu einer Trauerfeier versammelt, als die Rakete in einem Lokal einschlägt.

Von Florian Hassel, Belgrad

Bei einem Raketentreffer auf das Dorf Hrosa in der Ostukraine sind am Donnerstag mindestens 51 Menschen ums Leben gekommen - es ist der offenbar tödlichste einzelne russische Angriff in diesem Jahr in der Ukraine. In dem Dorf in der Region Charkiw, das etwa 30 Kilometer von der Frontstadt Kupjansk entfernt ist, lebten bis zum Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine rund 500 Menschen, heute waren es dem ukrainischen Innenminister Ihor Klymenko zufolge noch 330.

Klymenko sagte im ukrainischen Fernsehen, am Donnerstagmittag hätten sich in Hrosa mindestens 60 Einwohner nach einer Beerdigung im Dorfrestaurant zu einem Essen im Gedenken an den zu Grabe getragenen Nachbarn getroffen. Nach dem mutmaßlichen Abschuss einer russischen Rakete lösten die Behörden Luftalarm aus - diesen beachten die meisten Ukrainer wegen der Häufigkeit der Alarme freilich längst nicht mehr.

Selenskij spricht von einem "absichtlichen Akt des Terrorismus"

Acht Minuten nach Beginn des Alarms sei um 13.24 Uhr Ortszeit offenbar eine von russischen Einheiten abgeschossene Rakete in dem Restaurant eingeschlagen - Innenminister Klymenko zufolge handelte es sich wahrscheinlich um eine Iskander-Rakete. Dem Minister zufolge hatten Dutzende Polizisten, Feuerwehrleute und Mediziner bis zum späten Nachmittag 51 Tote aus den Trümmern geborgen, darunter ein sechs Jahre alter Junge. Weitere Verletzte würden in Krankenhäusern behandelt.

"Die Terroristen haben den Angriff absichtlich zur Zeit des Mittagessens ausgeführt, um eine maximale Zahl von Opfern sicherzustellen", sagte der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow. In dem Dorf habe es keine militärischen Ziele gegeben. "Dies ist ein schändliches Verbrechen, das die Ukrainer einschüchtern soll." Auch der zu politischen Gesprächen nach Spanien gereiste Präsident Wolodimir Selenskij beschuldigte Russland des Angriffes und nannte ihn einen "absichtlichen Akt des Terrorismus". Selenskij will bei seinen Gesprächen am Rande eines Treffens von EU-Führern unter anderem weitere Raketenabwehrsysteme für sein Land erreichen - die ukrainische Flugabwehr kann derzeit nur rund 85 Prozent der von Moskau abgeschossenen Raketen und Drohnen abfangen.

Es ist in diesem Jahr bisher die tödlichste russische Attacke auf ein ziviles Ziel

Der Angriff ist der bislang tödlichste auf ein ziviles Ziel in diesem Jahr - im Januar 2023 starben in der Großstadt Dnipro 46 Einwohner, als ein russischer Marschflugkörper ein Wohngebäude mit mehreren Etagen traf und 17 Wohnungen sofort in Asche verwandelte. Wegen ihrer Nähe zur Front gehören Städte und Dörfer im Osten der Ukraine zu den häufigsten Zielen russischer Raketen. Am 27. Juni etwa schlugen zwei russische Raketen im Zentrum der Garnisonsstadt Kramatorsk über der Pizzeria Rio ein. Mindestens 13 Menschen starben, möglicherweise waren es aber deutlich mehr.

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In der Pizzeria, einem der wenigen geöffneten Restaurants der Stadt, trafen sich nicht nur verbliebene Bürger Kramatorsks, sondern auch dort stationierte Soldaten. Unter den Fotos der Toten vor der zerstörten Pizzeria, vor denen Trauernde Blumen und Kerzen abstellten, sah die SZ bei einem Besuch in Kramatorsk auch das eines US-Soldaten in Uniform. Bei einem früheren russischen Raketentreffer in Kramatorsk wurden wenige Wochen nach Beginn der russischen Invasion am 8. April 2022 mindestens 62 Zivilisten bei einem Angriff auf den Bahnhof der Stadt getötet, wo Hunderte Menschen auf einen Zug warteten.

Erst am 6. September starben in der ebenfalls frontnahen Stadt Kostjantyniwka mindestens 15 Menschen beim Einschlag einer Rakete. Eine unter Mitwirkung von ehemaligen Offizieren und Munitionsspezialisten entstandene Rekonstruktion der New York Times ergab indes, dass es sich in diesem Fall offenbar um ein Unglück handelte, weil eine vom ukrainischen Militär abgeschossene Rakete zum Abfangen einer von Russen abgeschossenen Rakete offenbar ihr Ziel verfehlte und im Zentrum von Kostjantyniwka abstürzte. Ukrainische Behörden bestritten, die Rakete abgefeuert zu haben.

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