Nato-Treffen:"Waffen, Waffen, Waffen"

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Dmytro Kuleba ist extra aus Kiew nach Brüssel gereist, um Unterstützung für seine Streitkräfte zu organisieren. (Foto: Olivier Matthys/AP)

Der ukrainische Außenminister Kuleba fordert von der Nato schnelle Unterstützung. Sonst könnte es angesichts des drohenden Angriffs Russlands in der Ostukraine zu spät sein.

Von Matthias Kolb und Paul-Anton Krüger, Brüssel/Berlin

Dmytro Kuleba kommt sofort zur Sache, als er kurz nach Sonnenaufgang die Nato-Zentrale in Brüssel betritt. "Meine Agenda für das Treffen hat drei Punkte: Es sind Waffen, Waffen, Waffen", sagt der ukrainische Chefdiplomat. Er hat Kiew verlassen, um die Nato-Außenminister zu bitten, seinem Land alles Notwendige bereitzustellen, um die russische Armee in der Ukraine zu besiegen. "Wir wissen, wie man kämpft, wir wissen, wie man gewinnt", sagt er und fordert Kampfflugzeuge, Anti-Schiff-Raketen, gepanzerte Fahrzeuge und Luftabwehrsysteme. Neben ihm steht Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der in einem Punkt zustimmt: Die Unterscheidung zwischen Defensiv- und Offensivwaffen hat im Verteidigungskrieg der Ukraine "keine wirkliche Bedeutung".

Kuleba wünscht sich auch von Deutschland, "angesichts seiner Reserven und Kapazitäten" in Sachen Waffenlieferungen mehr zu machen, sagt er. Gerade die Dauer der Verfahren und Entscheidungsfindung bereite ihm Sorgen: "Während Berlin Zeit hat, hat Kiew keine." Als kurz darauf Annalena Baerbock eintrifft, wird die Bundesaußenministerin gefragt, ob sie diese Kritik nachvollziehen könne. Ihre verschachtelte Antwort zeigt Verständnis. Es sei "fast unbegreiflich", wie es die Regierung in Kiew und die Menschen in der Ukraine ertragen können, dass "Familien, Alte, Junge bombardiert, erschossen und kaltblütig ermordet werden" und das russische Regime "bewusst auf eine Strategie des Aushungerns" sowie den Einsatz völkerrechtlich geächteter Waffen setze.

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Sie leitet daraus ab, dass die Nato-Mitglieder die Waffenlieferungen "intensiver und koordinierter" organisieren müssen. Die Grüne gibt keine klare Antwort auf die Frage, ob die Lieferung bestimmter Waffen tabu sei, um von Russland nicht als Kriegspartei angesehen zu werden: "Wir schauen uns gemeinsam all das an, was es zu einer besseren Verteidigung der Ukraine brauchen könnte." Zuletzt hatte Kiew etwa die Übergabe von Marder-Schützenpanzern gefordert, die jedoch erst in einigen Monaten zum Einsatz kommen könnten.

Bevor Baerbock vorzeitig nach Berlin fliegt, um im Bundestag über die Corona-Impfpflicht abzustimmen, kommt sie mit den Außenministern der G-7-Staaten und Kuleba zusammen. Auch hier geht es um die Frage: Was braucht die Ukraine, wenn der Krieg in eine neue Phase eintritt? Bereits in dieser Woche hatte das Nato-Mitglied Tschechien Kampfpanzer vom Typ T-72 geliefert - was sich als Kurswechsel der Nato-Staaten lesen lässt, die bislang bei Großgerät zurückhaltend waren. Der Schwenk hat auch mit den ermordeten Zivilisten zu tun, die nach dem russischen Abzug aus der ukrainischen Stadt Butscha gefunden wurden. Zudem gilt es angesichts der russischen Verluste als unwahrscheinlich, dass Moskau wegen der Waffenlieferungen einen Konflikt mit der Nato wagt. Prag übergab ebenfalls knapp 60 Schützenpanzer vom Typ BMP-1, die aus Beständen der Nationalen Volksarmee stammen. Dem hatte Berlin zugestimmt.

Auch die militärischen Ambitionen Chinas beschäftigen die Nato

Die ukrainische Führung und westliche Geheimdienste erwarten, dass Russland nun versucht, mit einer massiven Offensive in der Ostukraine die entlang der Kontaktlinie zu den besetzten Gebieten im Donbass stationierten ukrainischen Truppen einzukesseln und abzuschneiden. Das dürfte heftige Gefechte zwischen großen militärischen Verbänden mit schweren Waffen nach sich ziehen. Für die Ukraine ist dies eine andere Herausforderung als die Bekämpfung der russischen Offensive auf Kiew. Dort reichten Angriffe vor allem mit Panzerabwehrwaffen und Drohnen aus, um den logistisch überdehnten russischen Truppen schwere Verluste zuzufügen, die zum Rückzug führten.

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Das Land solle zunehmend mit Material direkt über die Rüstungsindustrie versorgt werden, sagt Verteidigungsministerin Lambrecht. Nach ukrainischen Angaben wurden mehr als 130 tote Zivilisten in einem Massengrab bei Kiew gefunden.

In seiner Pressekonferenz äußert Kuleba die Befürchtung, dass die Kämpfe im Donbass Erinnerungen "an die Schlachten des Zweiten Weltkriegs" wecken würden: "mit groß angelegten Manövern mit Tausenden Panzern, gepanzerten Fahrzeugen, Flugzeugen und Artillerie". Er habe "keine Zweifel", dass die Ukraine die nötigen Waffen erhalten werde, entscheidend sei nur der Zeitpunkt. An die Nato-Partner appelliert er: "Entweder helft ihr uns jetzt, innerhalb von Tagen, oder es wird zu spät sein." Wenn der Westen nicht reagiere, würden Tausende Zivilisten sterben.

US-Außenminister Antony Blinken spricht von einem großen Bewusstsein für die Dringlichkeit weiterer Hilfe, das bei allen spürbar gewesen sei. Die USA haben der Ukraine seit dem 24. Februar bereits Waffen und Material für mehr als 1,5 Milliarden Euro bereitgestellt, so Blinken: "Wir hören ihnen zu, wenn sie uns sagen, was sie brauchen."

Nach einigen Sondertreffen war diese Sitzung der Nato-Außenminister eine turnusmäßige. Mit Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland wurde über Chinas militärische Ambitionen sowie die Folgen des russischen Angriffs auf die globale Sicherheitslage diskutiert. Der Aufstieg der Volksrepublik gehört neben Klimawandel, Terrorismus und Energiesicherheit zu jenen Herausforderungen, auf die die Nato in ihrem neuen "strategischen Konzept" reagieren will.

Es soll bis zum Gipfel Ende Juni fertig und zehn Jahre gültig sein. Zentral wird die Positionierung der Allianz gegenüber Russland. Dass Moskau nicht mehr wie im seit 2010 geltenden Strategie-Konzept als "Partner" angesehen wird, ist klar. Die Verbündeten müssen auch entscheiden, wie viele Soldaten sie in Osteuropa stationieren wollen, und ob diese zur Abschreckung Moskaus permanente Stützpunkte brauchen. Bisher prägten drei Begriffe den Umgang mit Russland: Abschreckung, Verteidigung und Dialog. Zu diskutieren ist, ob Dialog noch möglich ist und nicht eher Konzepte wie Eindämmung wieder relevant werden. Um diese Fragen tiefer diskutieren zu können, wird Baerbock Mitte Mai ein informelles Außenministertreffen ausrichten.

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