Ukraine nach der Wahl:Ein Wechsel, mehr nicht

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Mit dem Sieg von Janukowitsch in der Ukraine ist die orangene Revolution beendet und die Demokratie besiegelt. Das Land steht auf stabiler Grundlage - und braucht deutsche Hilfe.

Joschka Fischer

Revolutionen, sagt man, fressen für gewöhnlich ihre Kinder. Dieser Satz trifft ganz offensichtlich auch für die in Georgien und nunmehr auch in der Ukraine zu. Denn Präsident Viktor Juschtschenko, der Held der orangenen Revolution von 2004, wurde schon vor wenigen Wochen im ersten Wahlgang abgewählt. Und am vergangenen Sonntag wurde mit der Niederlage von Julia Timoschenko, der zweiten Hoffnungsträgerin von 2004, und dem Sieg von Wiktor Janukowitsch im zweiten Wahlgang, jetzt das Ende der orangenen Revolution endgültig besiegelt.

Die Demokratie hat gesprochen: Janukowitsch-Anhänger in Kiew (Foto: Foto: dpa)

Diese Entwicklung war seit längerem absehbar. Auf den ukrainischen Frühling der Freiheit folgte eine offensichtliche Entwicklungsblockade, verursacht durch eine Mischung aus Inkompetenz und Korruption, die nach Veränderung schrie. Statt das Land zu modernisieren, haben Juschtschenko und Timoschenko ihre Energien in endlosen Rivalitäten erschöpft. Zuletzt kam noch die Weltwirtschaftskrise hinzu, welche die Ukraine hart traf.

Der Kreis schließt sich

Mit dem Sieg von Janukowitsch, dem Verlierer von 2004, schließt sich der Kreis - Zeit für einen Rückblick auf die Erwartungen, die mit jenen wunderbaren Tagen und Nächten auf dem Kiewer Maidan-Platz und dem Wahlsieg Juschtschenkos verbunden waren.

Es war ein Sieg der Demokratie und der Unabhängigkeit über die Wahlfälschung und die Macht gewesen. Aber im Dezember 2004 ging es nicht nur um das Selbstbestimmungsrecht des ukrainischen Volkes und seine Unabhängigkeit, sondern auch um die Zukunft der europäischen Ordnung, wie sie nach dem Ende des Kalten Krieges entstanden war. Die EU, die erst wenige Monate zuvor ihre Erweiterung um zehn Mitgliedstaaten hinter sich gebracht hatte, verstand diese Herausforderung damals sofort und reagierte wirkungsvoll. Die Wahlen mussten wiederholt werden, und am Ende siegte die Demokratie.

War nun im Rückblick alles vergeblich? Keineswegs! Die Ukraine steckt in großen ökonomischen und sozialen Schwierigkeiten, aber es sei darüber nicht vergessen, dass ihr bis heute das Schicksal einer "gelenkten" Demokratie à la Russland erspart geblieben ist. Freie Medien und die Freiheit der Meinungsäußerung sind in diesem Land nicht eingeschränkt worden, und auch die jüngsten Wahlen wurden von internationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft. Dies alles sind keine Selbstverständlichkeiten im östlichen Teil Europas.

Europa hat sich abgewandt

Und es wird wohl auch unter Janukowitsch - anders als 2004 - keine Versuche geben, die Unabhängigkeit der Ukraine einzuschränken. Trotz der schweren ökonomischen und sozialen Krise und zahlreicher anderer Herausforderungen für das Land steht es dennoch auf einer stabilen demokratischen Grundlage mit gestärktem nationalen Selbstbewusstsein.

Dies alles sind nicht zu unterschätzende Fortschritte, und Julia Timoschenko würde dem Vermächtnis der orangenen Revolution und ihrem Land den besten Dienst erweisen, wenn sie ihre Niederlage in freien und fairen Wahlen akzeptieren und eine starke demokratische Opposition gegen den neuen Präsidenten organisieren würde. Denn Demokratie heißt Wechsel sowie Machtausübung nur für eine begrenzte Zeit - und genau darum ging es in der orangenen Revolution von 2004.

Europa hat sich, frustriert von Starrheit und Korruption, seit längerem schon von der Ukraine abgewandt, aber diese Haltung könnte sich noch als großer Fehler erweisen, wenn sie nicht korrigiert wird. Denn die Ukraine ist einer der Ecksteine, auf denen die europäische Ordnung nach dem Kalten Krieg ruht.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was die Ukraine für das Verhältnis Europas zu Russland bedeutet.

Wahl in der Ukraine
:Janukowitsch gewinnt

Der Antiheld von 2004 hat gewonnen: Viktor Janukowitsch heißt der neue Präsident der Ukraine. Seine Gegnerin Julia Timoschenko, einst Heldin der Orangenen Revolution, hat ihre Niederlage noch nicht akzeptiert.

In diesem Land begegnen sich Europa und Russland, und das künftige Schicksal der Ukraine wird nicht nur die europäische Sicherheit ganz entscheidend mit definieren, sondern auch einen ganz wesentlichen Teil der künftigen europäisch-russischen Beziehungen. Mit einer unabhängigen, demokratischen Ukraine werden diese einen völlig anderen, sehr viel positiveren Charakter annehmen, als wenn sich die Rolle der Ukraine fundamental verändern und das Land sich historisch zurückentwickeln würde. Die Zukunft dieses großen Landes ist für Europa also von sehr großer Bedeutung, und Reaktionen auf der Basis von Emotionen und Frust kann sich die EU angesichts ihrer Interessen eigentlich nicht erlauben.

Joschka Fischer, 61, war von 1998 bis 2005 Bundesaußenminister und Vizekanzler. Er schreibt exklusiv für Project Syndicate und dieSüddeutsche Zeitung. (Foto: Foto: dpa)

Das Gegenteil wäre vielmehr geboten, nämlich massive wirtschaftliche und politische Investitionen in die Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine und eine verstärkte Zusammenarbeit mit Kiew. Der Umgang mit der Ukraine wird Geduld, Verständnis und Ausdauer verlangen, aber es geht dort um sehr viel für Europa. Dies gilt jetzt, nach dem Wahlsieg von Viktor Janukowitsch, mehr denn je.

Wenn man in der EU von einer "neuen Ostpolitik" spricht, dann muss diese vor allem die Ukraine im Blick haben. Gerade die nach Osten blickenden Mitgliedstaaten der Europäischen Union dürfen ihr Interesse an der Zukunft der Ukraine nicht verlieren, weil sich ansonsten die EU als Ganzes ein solches Desinteresse zu eigen machen würde.

Ein neues Dreieck?

Und dabei spielen Deutschland und Polen eine zentrale Rolle, denn beide gehören zu den sechs großen Mitgliedstaaten der EU, und sie verfügen beide über das notwendige Bewusstsein, welche Bedeutung die Ukraine für Europa hat. Weder die Interessen Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und Spaniens weisen hingegen in diese Richtung. Auch dies war eine Erfahrung aus dem Jahr 2004.

Wenn sich Deutschland und Polen gemeinsam für eine solche Ost- oder Nachbarschaftspolitik der EU gegenüber der Ukraine einsetzen, dann - und nur dann! - wird die Politik Brüssels über die nötige Kraft und Ausdauer verfügen. Es wird also ganz zentral von der Abstimmung zwischen Berlin und Warschau abhängen, gemeinsam dann auch mit Brüssel und den anderen Mitgliedstaaten, ob die EU ihre Interessen in Osteuropa wirksam wahrnehmen wird oder nicht, und ob es dadurch auch in den EU-Russland- Beziehungen zu einer neuen Dynamik kommen kann.

Dass sich das zentrale europäische Interesse an einer unabhängigen demokratischen Ukraine gegen kein anderes Land richtet - auch dies sollten Berlin und Warschau gemeinsam vertreten, gewiss gegenüber dem Präsidenten in Kiew, aber warum nicht auch in Moskau? Am Ende ließe sich mit Russland vielleicht sogar ein neues Dreieck entwickeln, das wirklich Sinn machen und einer europäischen Ostpolitik tatsächlich neue Impulse geben könnte.

© SZ vom 11.2.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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