Ukraine-Krieg:Angriff auf eine Insel des Friedens

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"Brutaler Angriff": Rettungskräfte und zivile Helfer suchen in den Trümmern des Restaurants Ria in Kramatorsk nach Überlebenden. (Foto: Genya Savilov/AFP)

Mindestens zehn Menschen, unter ihnen vier Kinder, werden beim Einschlag eines russischen Marschflugkörpers in ein beliebtes Restaurant in der ostukrainischen Stadt Kramatorsk getötet.

Von Sonja Zekri

In jedem Krieg gibt es Lokale, in denen sich alle treffen: Soldaten, Journalisten, Interviewpartner, Familien der Soldaten auf Heimaturlaub. In Kramatorsk, nein, eigentlich im ganzen Donbass war es das Ria, eine Mischung aus Pizzeria, Schischa-Club und Lounge. Wer unterwegs war nach Bachmut oder von dort zurückkehrte, schätzte das Ria als frontferne Zuflucht.

Am Dienstagabend aber hat ein russischer Marschflugkörper das Ria getroffen, mindestens zehn Menschen wurden getötet, mehr als 61 wurden nach Angaben der ukrainischen Polizei verletzt, weitere Menschen sind noch unter den Trümmern verschüttet. Ein acht Monate altes Baby überlebte ohne größere Verletzungen, aber 14-jährige Zwillingsschwestern und ein 17-jähriges Mädchen sowie ein Junge waren unter den Getöteten.

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Verletzt wurden überdies der kolumbianische Schriftsteller Héctor Abad sowie der ehemalige Friedensbeauftragte Kolumbiens, Sergio Jaramillo, berichtet die kolumbianische Tageszeitung El Tiempo. Abad wurde unter anderem bekannt durch das Buch "Brief an einen Schatten". Darin setzt er sich mit der Ermordung seines Vaters auseinander, der sich in Medellín als Arzt gegen die Drogengewalt engagiert hatte und von unbekannten Auftragskillern erschossen worden war. Später arbeitete Abad als Journalist, unter anderem für den von Gabriel García Márquez herausgegebenen Cambio, dann für die in Bogotá erscheinende Tageszeitung El Espectador. Schwer verletzt wurden außerdem die ukrainische Schriftstellerin Victoria Amelina sowie die kolumbianischen Journalistin Catalina Gómez und eine Kollegin.

Ukrainische Medien zeigen Videos mit Szenen der Verwüstung. Die weißen Loungemöbel sind voller Blut, die Terrasse eingestürzt, in den Trümmern suchen Rettungskräfte hektisch nach Überlebenden, Feuerwehrautos und Krankenwagen transportieren Verletzte ab. Auch die Fensterscheiben in den umliegenden Häusern sind zerstört, obwohl kein weiteres Gebäude eingestürzt ist.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij sprach am Dienstagabend in seiner täglichen Videobotschaft von einem "brutalen Angriff". Jede derartige "Ausübung von Terror" beweise "wieder und wieder", dass Russland nichts anderes verdiene als eine Niederlage, ein internationales Tribunal und Verfahren gegen "alle russischen Mörder und Terroristen".

Auch John Kirby, der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, sprach von einem "brutalen Angriff" und versicherte die Ukraine erneut des amerikanischen Beistandes. Die USA würden die Ukraine weiterhin mit Waffen und Ausrüstung beliefern, damit sie sich gegen die russische Aggression behaupten könne, sagte Kirby.

Russland greife keine zivilen Ziele an, sagte demgegenüber Dmitrij Peskow, der Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin: "Angriffe werden nur auf Objekte ausgeführt, die in irgendeiner Weise mit der militärischen Infrastruktur verbunden sind", so Peskow.

Die Großstadt Kramatorsk nimmt militärisch eine Schlüsselstellung im Kampf um den Donbass ein. Die monatelangen verlustreichen Gefechte um Bachmut wurden von Beobachtern stets mit dem Schutz von Kramatorsk und der Nachbarstadt Slowjansk erklärt. Dann fiel Bachmut an die russische Seite, seit Beginn der Gegenoffensive aber macht die ukrainische Armee wieder kleinere Geländegewinne um Bachmut herum.

Die Attacke habe einem "Bankett ukrainischer Offiziere" gegolten, behauptet ein russischer Blogger

Auch früher schon war Kramatorsk Ziel von Angriffen geworden, vor allem, so berichtet die New York Times, der Stadtteil, in dem das Ria lag. Dort sei im vergangenen Sommer beispielsweise das Hotel Kramatorsk in der Nähe von einer Rakete schwer beschädigt worden. Nicht nur Restaurants, sondern auch Hotels in der Ukraine werden häufig von Soldaten frequentiert, vor allem im Donbass. Im Januar war eine Rakete vor einem Wohnblock in Kostjantyniwka in der Nähe von Bachmut eingeschlagen. Drei Menschen starben. Anwohner vermuteten, dass der Beschuss dem gegenüberliegenden Hotel galt, in dem lange Zeit Soldaten logierten und vor dem Militärfahrzeuge auf der Straße zu sehen waren. Nicht alle Einwohner in den mit Soldaten und Panzern überfüllten Frontstädten sind deshalb froh über das Militär in ihrem Ort.

Der russische Kriegsblogger Dmitrij Steschin schrieb auf Telegram, Kramatorsk habe wegen seines Flughafens und seiner Zugverbindungen an Bedeutung gewonnen, nachdem die russische Armee Bachmut eingenommen habe, es gelte als "letzte Befestigung der Ukraine im Donbass", so Steschin. Die Rakete auf das Ria habe ein "Bankett ukrainischer Offiziere und ihrer Söldner" getroffen: "Mir tut es um niemanden leid. Nicht mal um die Pizzeria."

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