Wahlkampf in Spanien:"Herr Sánchez, lügen Sie die Spanier nicht an!"

Lesezeit: 3 min

Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez (l.) und sein Herausforderer Alberto Núñez Feijóo vor dem TV-Duell. Das entwickelte sich zur puren Konfrontation. (Foto: Juan Medina/Reuters)

Im TV-Duell trifft der konservative Kontrahent Feijóo bestens vorbereitet auf den sozialistischen Ministerpräsidenten. Der lässt sich erstaunlich leicht aus der Ruhe bringen.

Von Karin Janker, Madrid

Es war weniger ein Duell als vielmehr ein Boxkampf, den sich Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez und sein konservativer Herausforderer Alberto Núñez Feijóo am Montagabend im Fernsehen geliefert haben.

Die 100-minütige Debatte der beiden aussichtsreichsten Spitzenkandidaten für die Wahl am 23. Juli war geprägt davon, dass sich Sánchez und Feijóo wechselseitig der Lüge bezichtigten, ihre Slogans aus diversen Wahlkampfreden wiederholten und grundsätzlich am Gegenüber kein gutes Haar ließen. Etwa ein Drittel der Zeit redeten beide gleichzeitig aufeinander ein. Sánchez und Feijóo - zwei Boxer, im Nahkampf ineinander verhakt.

Dass sich die beiden Kandidaten in diesem Format trafen, entsprach dem Willen des Herausforderers. Sánchez hatte vorgeschlagen, in insgesamt sechs TV-Duellen in unterschiedlichen spanischen Sendern zu diskutieren, damit die Wähler sich "eine Meinung über die Vor- und Nachteile jeder Option" bilden könnten. Feijóo hatte das abgelehnt und sich stattdessen auf nur ein Duell in der privaten Sendergruppe Atresmedia eingelassen. Und dort gab es am Montag ab 22.30 Uhr, zur spanischen Primetime also, 100 Minuten pure Konfrontation.

Der Amtsinhaber sieht sich als Opfer einer miesen Kampagne

Das Format sah vor, dass die Kandidaten zu Themenblöcken Stellung bezogen, welche die beiden Moderatoren vorgaben: Wirtschaft, Soziales, Koalitionsoptionen, Innen- und Außenpolitik. Ansonsten hielten sich die Moderatoren weitgehend zurück.

Ein paar Mal versuchten die Journalisten, die Kampfhähne voneinander zu trennen, wenn sie wieder minutenlang im Split-Screen gleichzeitig redeten: So verstünden die Zuschauer zu Hause weder den einen noch den anderen. Besonders Pedro Sánchez ließ sich stellenweise kaum bremsen. Vor allem dann, wenn er offenbar das Gefühl hatte, dass ihm unrecht getan werde.

Ein Gefühl, das die gesamte Kampagne des Sozialisten prägt. Da geht es erstaunlich wenig darum, die wirtschaftspolitischen Erfolge, die gewachsene internationale Souveränität oder die Errungenschaften etwa in der Gleichstellungspolitik herauszustreichen. Sánchez agierte an diesem Montagabend wie so oft in diesen Tagen - aus der Defensive.

Seine Regierung habe schließlich mit der Pandemie und den Folgen des Angriffskrieges auf die Ukraine umgehen müssen, sagt er, und dafür "ihre Sache angesichts widriger Umstände gut gemacht". Das mag aufrichtig sein, aber es klingt wie eine Rechtfertigung.

Sánchez' zweite Verteidigungsstrategie ging auch im Fernsehstudio nicht auf: Immer wieder versuchte er, Feijóo vorzuhalten, dass dieser eine Kampagne gegen seine Person angezettelt habe, dass PP- und Vox-Politiker es darauf abgesehen hätten, ihn zu beleidigen und zu diskreditieren. Und überhaupt, dass PP und die rechtsextreme Vox im Grunde ein und dasselbe seien.

Ein Faktencheck fehlt, nachgereichte Richtigstellungen kommen zu spät

Das Problem daran: Den meisten Wählern dürfte ziemlich egal sein, ob sich Pedro Sánchez unfair behandelt fühlt. Und es gibt auch nicht wenige PP-Wähler, die in Vox einen völlig legitimen Partner sehen. Da kann Sánchez noch so sehr vor dem "düsteren Tunnel" in die Vergangenheit warnen, in den eine PP-Vox-Koalition das Land schicken würde.

Der Graben zwischen links und rechts ist in Spanien in diesen Tagen tiefer denn je. So tief, dass das TV-Duell zwischen den beiden Anwärtern auf das Amt des Ministerpräsidenten schon beinahe zur Karikatur geriet: Da redeten zwei Politiker auf zwei unterschiedlichen Ebenen der Wirklichkeit konsequent aneinander vorbei.

Der Versuch, die eigene Position mit Daten (Bruttoinlandsprodukt, Beschäftigtenquote, Kaufkraftverlust) zu stützen, misslang ebenso konsequent. Weil erstens der eine den anderen nicht ausreden ließ und zweitens sich immer wieder Fehler, respektive Falschbehauptungen, in die Argumentationen einschlichen.

Dass der Sender der Debatte keinen Live-Faktencheck an die Seite stellte, erweist sich als folgenschwer. Denn die nachgereichten Richtigstellungen in diversen Medien, die den Wahrheitsgehalt der Aussagen überprüfen, kommen zu spät. Da hatte Sánchez das Duell in den Augen der meisten Beobachter schon verloren. Wer würde diese Meinung revidieren, wenn er später liest, dass Feijóo öfter geschummelt hat? Zu hektisch, zu aufgebracht, zu wenig souverän sei der Ministerpräsident aufgetreten, hieß es am Morgen danach. Feijóo strahlte zumindest phasenweise eine Ruhe aus, die eigentlich dem Amtsinhaber zugekommen wäre und nicht dem Aspiranten.

Gewonnen hat Feijóo das Duell mit einer simplen Geste

Der PP-Chef war ganz offensichtlich bestens vorbereitet. Seine Schläge trafen tief: "Herr Sánchez, lügen Sie die Spanier nicht an." "Sie werden mich nicht einwickeln, Herr Sánchez." "Herr Sánchez, Wahrheit nicht von Lüge unterscheiden zu können, ist krankhaft." Es waren Sätze, gegen die jede Verteidigung hilflos wirkte.

Das Duell gewonnen hat Feijóo aber mit einer Geste, die so simpel wie bildstark war: Es war im letzten Drittel, da nahm er ein Papier aus seiner Mappe, kritzelte etwas drauf und hielt es Sánchez hin. "Ich unterschreibe in diesem Moment vor den Spaniern" das Angebot, dass der PP die Einsetzung einer sozialistischen Minderheitsregierung unterstütze, wenn die Sozialisten als Liste mit den meisten Stimmen aus der Wahl gehen. Frage an Sánchez: Unterschreiben Sie das Gleiche?

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Es war ein Zug, mit dem der Ministerpräsident offensichtlich nicht gerechnet hatte. Denn natürlich: Würden die Sozialisten eine PP-Regierung stützen, wäre dies ein Weg, wie sich eine Regierungsbeteiligung von Vox verhindern ließe. Aber eben auch ein Szenario, das das Land in die Unregierbarkeit stürzen und die Regierung zur Handlungsunfähigkeit verdammen könnte.

Erklärt hat Sánchez diese Gegenargumente allerdings nicht, er wehrte lediglich ab, offenkundig perplex. Und so blieb bei vielen Zuschauern am Ende des TV-Duells kurz vor Mitternacht nur ein Bild hängen - und das hatte Feijóo geliefert, bewaffnet mit einem Kugelschreiber und einem Blatt Papier.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSpanien
:Volle Kraft zurück

Die Ehe für alle, ein liberales Abtreibungsrecht, eine feministische Regierung: Lange dachte man, in Spanien hätten rechte Populisten keine Chance. Damit könnte nach der kommenden Wahl aber Schluss sein. Ein Besuch in Kastilien-León, wo der Rechtsruck längst zu spüren ist.

Von Karin Janker

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: