Tunesien:Ein Besuch und eine Festnahme

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Nach der Festnahme Rached Ghannouchis - auf dem Monitor zu sehen - forderten Vertreter seiner Partei in Tunis, ihn freizulassen und die Unterdrückung Oppositioneller zu beenden. (Foto: Hasan Mrad/Imago/Zuma Wire)

Mit der Verhaftung von Oppositionsführer Rached Ghannouchi erreicht die Säuberungswelle in dem nordafrikanischen Land einen Höhepunkt. Just im Moment der Wiederannäherung mit Syrien.

Von Mirco Keilberth, Tunis

Die Anhänger von Präsident Kais Saied hatten am Wochenende gute Nachrichten noch vor dem baldigen Ende des Ramadan versprochen. Politische Beobachter glaubten zunächst, gemeint sei der Besuch des syrischen Außenministers in Tunis. Und so waren am Montagabend alle Kameras der tunesischen Medien darauf gerichtet, wie der Syrer Faisal Mekdad und sein tunesischer Amtskollege Nabil Ammar die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen beider Länder feierten. Wegen des brutalen Vorgehens von Baschar al-Assads Regime gegen die eigene Bevölkerung hatten die Tunesier vor elf Jahren jeglichen Kontakt mit Damaskus eingestellt.

Fast zeitgleich mit dem Handschlag zwischen den Außenministern Ammar und Mekdad fuhr am Montagabend eine Kolonne der Antiterroreinheit BAT vor dem Haus von Rached Ghannouchi vor, dem Chef der moderat islamistischen Ennahda-Partei. Ohne einen Haftbefehl oder Durchsuchungsbeschluss zu zeigen, seien 50 bewaffnete Beamte eingedrungen und hätten Ghannouchi mitgenommen, sagte sein Schwiegersohn Rafik Abdessalam. Parallel durchsuchten Polizeieinheiten den Sitz der Ennahda, der auch am Dienstag noch abgeriegelt war, und aus Kreisen der Ennahda war zu hören, man rechne mit einem Verbot der Partei.

Der Parteiführer setzte sich für die Opposition in Syrien ein

Ghannouchi war Anfang 2011 aus dem Exil in London nach Tunesien zurückgekehrt, wo im Vergleich zu den anderen Staaten des Arabischen Frühlings der Machtwechsel relativ unblutig verlief. Mit seinen Mitstreitern machte Ghannouchi in den Jahren danach aus der kleinen Bewegung politisch Verfolgter die beliebteste Partei des Landes. Der nun 81-Jährige setzte sich jahrelang persönlich ein für die Unterstützung der syrischen Opposition. Über Ennahda-Netzwerke reisten auch Tausende junger kampfwilliger Tunesier nach Syrien.

Der Grund der Verhaftung des wohl bekanntesten Politikers in der Region wurde bis Dienstag offiziell nicht bekannt gegeben, aber tunesische Medien spekulierten, es könne ein Video sein. Es zeigt, wie Ghannouchi über die politische Krise in Tunesien mit Vertretern der "Nationalen Heilsfront" debattiert. Diese Initiative verschiedener politischer Parteien wurde nach dem Putsch von Kais Saied im Sommer 2021 gegründet.

Saied setzte damals Parlament und Regierung ab und regiert seitdem mit Präsidialdekreten und einer von ihm selbst eingesetzten Regierung. Die Mehrheit im Land steht trotz seines autoritären Regierungsstils weiter hinter dem Präsidenten. Die Umfragewerte der Ennahda und der Nationalen Front sinken hingegen weiter, trotz der Verhaftung einiger ihrer Funktionäre.

Während sich der tunesische Außenminister Nabil Ammar (re.) und sein syrischer Kollege Faisal Mekdad die Hand gaben, wurde Ghannouchi festgenommen. (Foto: -/Tunesisches Außenministerium/AFP)

Ghannouchi platzte bei dem Treffen der Nationalen Heilsfront am Wochenende der Kragen: "Jeder Versuch, eine der politischen Komponenten auszuschalten, wird nur zu einem Bürgerkrieg führen", sagt er dem Video zufolge. Die Saied-nahe Zeitung La Presse und Kommentatoren des staatlichen Fernsehens Watania erinnerten nach Ghannouchis Drohung an die Folgen der Morde an Mohamed Brahmi und Shokri Belaid 2013.

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Unbekannte hatten diese beiden prominenten Aktivisten auf offener Straße erschossen, Tunesien brachte das an den Rand eines Bürgerkrieges. Hunderttausende gingen auf die Straße und forderten den Rückzug der Ennahda aus der Regierung - wegen ihrer Nähe zu radikalen Gruppen. Auch Ghannouchi mobilisierte seine Anhänger, am Ende war er als einziger Anführer des politischen Islam in der Region kompromissbereit.

Ghannouchi gilt als Intimfeind des Staatspräsidenten

Mit Ghannouchis Festnahme hat die von Kais Saied bereits in seinem Wahlkampf 2019 angekündigte "Säuberung Tunesiens von Korruption und radikalen Staatsfeinden" nun den Höhepunkt erreicht. Mehr als 30 Richter und Journalisten wurden in den vergangenen Monaten festgenommen. Die Anklagen reichen von Korruption bis zu herablassenden Äußerungen über den Präsidenten oder Sicherheitskräfte.

Ghannouchi jedoch gilt als Intimfeind des ebenfalls religiös konservativen Präsidenten. So sehr sie sich in religiösen Fragen ähneln, so unterschiedlich ist ihre Ideologie. Ghannouchi schaffte es, mit Vertretern des politischen Islam in Libyen, Ägypten und Katar eine internationale Bewegung schaffen, die trotz eines archaischen Wertesystems westlichen Medien und Diplomaten als Vorreiter der Demokratie in der Region galt. Saied setzt hingegen auf eine Allianz arabischer Autokratien, er nennt politische Parteien Lobbygruppen korrupter Geschäftsleute und lehnt das Diktat westlicher Organisationen ab.

In Tunis wird derweil unweit der von Polizei umstellten Zentrale der Ennahda-Partei in der syrischen Botschaft Tag und Nacht an deren Wiedereröffnung gearbeitet.

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