Türkei im Nahostkonflikt:Gegen Israel, jetzt wirklich

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Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat ein gutes Gespür dafür, mit welchen Positionen er die türkische Mehrheit für sich gewinnt. (Foto: Pavel Golovkin/DPA)

Keine Importe, keine Exporte: Nach fast sieben Monaten Gaza-Krieg stoppt die Türkei den Handel mit Israel komplett. Auch der südafrikanischen Völkermordklage will sie sich anschließen. Präsident Erdoğan dürfte das innenpolitisch nutzen.

Von Raphael Geiger, Istanbul

Der Präsident wusste, dass er unter Druck steht. Als er vor einigen Tagen in Ankara seinen deutschen Amtskollegen Steinmeier empfing, fragte ihn ein Journalist nach dem türkisch-israelischen Handel. Eine Frage, die auch die Opposition in der Türkei immer wieder gestellt hat: Wie es sein könne, dass Recep Tayyip Erdoğan den Israelis fast täglich "Massaker" im Gazastreifen vorwirft, während aus der Türkei nach wie vor Frachtschiffe nach Israel ablegen?

Mehr als sechs Milliarden Euro war der Handel zwischen Türkei und Israel im vergangenen Jahr wert, zum Großteil getragen von türkischen Exporten. Darunter waren so politische heikle Produkte wie Stacheldrahtzaun. Kein Thema vereint die Türken derzeit so wie die Solidarität mit den Palästinensern - und ihr Land verkauft Sicherheitszaun an Israel.

"Das ist vorbei", sagte Erdoğan in Anwesenheit von Frank-Walter Steinmeier, jeglicher türkischer Handel mit Israel sei nun verboten. Zu dem Zeitpunkt stimmte das noch nicht, die Türkei hatte Anfang April nur den Handel einzelner Produkte gestoppt - und das auch nur, solange Israel sich nicht auf einen Waffenstillstand mit der Hamas einlasse. Deren Führung empfing Erdoğan noch vor zwei Wochen in Istanbul.

Neben Erdoğans AKP hat sich erstmals eine islamistische Partei etabliert

Am Donnerstagabend ließ Erdoğan sein Handelsministerium dann verkünden, dass die Türkei ab sofort gar nichts mehr nach Israel exportiere und nichts mehr von dort kaufe - so lange, bis Israel genügend Hilfe in den Gazastreifen lasse. Man unterstütze "die gerechte Sache der palästinensischen Brüder", hieß es in der Mitteilung des Ministeriums.

Die israelische Seite reagierte scharf. Außenminister Israel Katz nannte Recep Tayyip Erdoğan einen "Diktator", der gegen die Interessen seines eigenen Volkes handle. Den türkischen Präsidenten wird das nicht gestört haben, im Gegenteil. Erdoğan weiß, dass er mit einem Streit mit Israel innenpolitisch nur gewinnen kann. Und er weiß, dass er bei den Kommunalwahlen am 31. März die größte Niederlage seines politischen Lebens erfahren hat. Auch wegen des Nahostkonflikts.

Zum ersten Mal, seit Erdoğan regiert, hat sich neben seiner AKP eine islamistische Partei etabliert, die Yeniden Refah Partisi, kurz YRP. Eine Wiedergängerin einer alten Partei, der Erdoğan selbst in den Neunzigerjahren angehört hat. Im Kommunalwahlkampf gab sich die YRP als Alternative für enttäuschte Fromme, die Erdoğan abstrafen wollten, die aber nie zur säkularen CHP wechseln würden. Ihre Themen: die Wirtschaftskrise und die aus ihrer Sicht zu moderate Haltung gegenüber Israel. Damit schaffte es die YRP auf den dritten Platz.

Südafrika hat Israel vor dem Internationalen Gerichtshof verklagt

Erdoğan ist zwar rhetorisch immer weiter gegangen, er verglich Israels Premier Netanjahu zuletzt wiederholt mit Adolf Hitler, aber er ließ sich auch eine Tür zu Israel offen. Das Handelsvolumen stieg nach dem 7. Oktober sogar noch, die diplomatischen Beziehungen zu Israel brach die Türkei nie ab. Im Konflikt zwischen Israel und Iran wirkte Erdoğan fast um eine neutrale Rolle bemüht, ließ wissen, dass er keiner der beiden Seiten traue. Gern würde er wohl immer noch zwischen Israel und der Hamas vermitteln, so wie er es zwischen Russland und der Ukraine getan hat.

Nun geht es dem Präsidenten aber offenbar zuerst um Innenpolitik. Er ist dabei, die Wahlniederlage seiner Partei aufzuarbeiten. Den Erfolg der islamistischen YRP scheint Erdoğan als Zeichen zu sehen, dass ihm die Kontrolle über den Israel-Diskurs in der Türkei entglitten ist. Vergangenes Jahr war er es, der sich an die Spitze der Proteste stellte und sein Land als Schutzmacht für die Palästinenser inszenierte. Das ist einige Monate her.

Jetzt, nach den Wahlen, geht es dem Präsidenten um deutliche Signale für ein Ende der Kompromissbereitschaft gegenüber Israel. Dazu zählen der betont herzliche Empfang der Hamas-Führung und das, was Außenminister Hakan Fidan am Mittwoch verkündete: Die Türkei wolle sich der südafrikanischen Klage gegen Israel anschließen. Südafrika hatte Israel schon im Dezember vor dem Internationalen Gerichtshof verklagt. Es wirft dem jüdischen Staat vor, in Gaza gegen die Völkermord-Konvention zu verstoßen.

Das Wort "Völkermord" benutzt Erdoğan oft, wenn er über den Krieg in Gaza spricht, ebenso wie "Massaker". Mit dieser Wortwahl hat der Präsident selbst dazu beigetragen, die öffentliche Meinung lagerübergreifend gegen Israel auszurichten. Erdoğan regiert auch deshalb schon seit zwei Jahrzehnten, weil er ein Gespür dafür hat, wo die Mehrheiten liegen. Und gerade spürt er offenbar, dass die Türkinnen und Türken beim Thema Gaza mehr als nur Rhetorik von ihm erwarten.

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