Türkei:Erdoğans Spionage ist ein Bruch des allgemeinen Landfriedens

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Der türkische Geheimdienst versucht, schikanöse Repressionsmaßnahmen aus der Türkei nach Deutschland zu tragen. Das ist inakzeptabel - und strafbar.

Kommentar von Heribert Prantl

Der Generalbundesanwalt ermittelt wegen Spionage. Diese Ermittlungen sind richtig, wichtig und notwendig; dass sie nur "gegen unbekannt" gerichtet sind, ist falsch. Die Verdächtigen sind sehr wohl bekannt. Es handelt sich zuallererst um Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes MİT.

Sie waren so töricht, naiv oder dreist, dem deutschen Geheimdienst BND eine lange Liste der Leute zu übergeben, die sie in Deutschland ausspioniert haben - offenbar in der Hoffnung, bei weiteren Spitzeleien Amtshilfe zu erhalten. Das ist fast so, als hätte einst Markus Wolf, Leiter der "Hauptabteilung Aufklärung" des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, den BND-Chef Klaus Kinkel gebeten, ihm bei der Bekämpfung von DDR-Gegnern in der BRD zu helfen. Damals hat die Stasi gegen Deutsche in der Bundesrepublik spioniert. Heute spioniert der türkische MIT gegen Türken, Deutschtürken und Politiker hierzulande. Hauptaufgabe des MfS war die "Bearbeitung feindlich negativer Bürger" und die "Bekämpfung politisch-ideologischer Diversion", wie das im Sprachgebrauch der Stasi hieß. In der Erdoğan-Türkei heißt das anders, aber das Ziel ist ähnlich: Opposition gegen Erdoğan soll mundtot gemacht werden. Der Täter hinter den Tätern heißt also Erdoğan.

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Der türkische Geheimdienst MİT versucht, die schikanösen Repressionsmaßnahmen, die in der Türkei praktiziert werden, nach Deutschland zu tragen - und kennt dabei offenbar wenig Hemmungen. Die Spitzeleien in Deutschland sollen Erdoğan-Kritiker verunsichern, einschüchtern. Das ist inakzeptabel und strafbar.

"Verunsicherung" ist zwar, solange sie nicht nötigenden Charakter hat, kein Straftatbestand. "Geheimdienstliche Agententätigkeit", vulgo Spionage, schon. Dieser Tatbestand erfasst jede konspirative Informationsbeschaffung für einen anderen Geheimdienst; es drohen bis zu fünf Jahren Haft, in besonders schweren Fällen bis zu zehn. Der Tatbestand ist nicht erst dann erfüllt, wenn Staatsgeheimnisse verraten werden, sondern schon dann, wenn mit geheimdienstlichen Mitteln gegen die Interessen der Bundesrepublik agiert wird. Der innere Friede in Deutschland ist nun von allergrößtem Interesse; er wird mit den Spitzeleien gegen Türken und Deutschtürken sowie gegen Politikerinnen und Politiker in Deutschland gefährlich gestört. Es handelt sich um einen Bruch des allgemeinen Landfriedens.

Der türkische Geheimdienst verfügt offenbar über ein gewaltiges Netz von Informanten und Zuträgern in Deutschland. Im Zuge der Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen bekannt und unbekannt wird auch aufgeklärt werden müssen, wo die Knoten dieses Netzes sind und welche Strukturen vom türkischen Geheimdienst in Deutschland genutzt werden; diese Strukturermittlungen können dann weitere Ermittlungsverfahren nach sich ziehen.

Man wird gewiss nicht einfach auf gut Glück gegen Imame und Gemeindevorsteher ermitteln; aber ein strafrechtliches Ausrufezeichen wird es geben müssen.

© SZ vom 30.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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