Türkei:Das deutsch-türkische Drama setzt sich fort

Lesezeit: 2 min

Verzichtsgeste - und weitere Drohungen an Europa: Recep Tayyip Erdoğan. (Foto: AP)

Plötzlich will der türkische Präsident von Auftritten in Deutschland nichts mehr wissen. Kein Wunder, das Ziel ist erreicht. Doch nun scheint Erdoğan eine neue Hexenjagd zu eröffnen.

Kommentar von Christiane Schlötzer

Jetzt also doch. Kein türkischer Minister soll mehr nach Deutschland kommen und den Türken hier erklären, warum sie unbedingt Recep Tayyip Erdoğan zur absoluten Macht in Ankara verhelfen müssen. Auch kein Abgeordneter der türkischen Regierungspartei AKP soll das tun, nicht in Deutschland und auch nicht in den Niederlanden. Aus, basta! Dies wurde nicht in Berlin oder Den Haag auf einmal so entschieden, sondern in Ankara, von der AKP - für ganz Europa.

Hat Merkels Drohung mit einem Verbot der Wahlkampfauftritte bei fortgesetzten Nazi-Vergleichen also gefruchtet? Gut möglich. Ankara musste zuletzt fürchten, dass die Abstimmung über die neue Erdoğan-Verfassung, die für die Türken in Deutschland ja schon am kommenden Montag beginnen soll, von Berlin im letzten Moment untersagt würde.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat am Dienstag sehr deutlich auf die juristischen Daumenschrauben hingewiesen, die ihm zur Verfügung stehen. Schließlich war die Abstimmung von der Bundesregierung nur unter der Voraussetzung erlaubt worden, dass sich Ankara an deutsches Recht hält. Nazi-Vorwürfe gegen die Kanzlerin aber könnte man vor Gericht bringen, das gäbe das Strafgesetzbuch durchaus her.

Nach Ankündigung der AKP
:Deutsche Politiker erleichtert über Absage türkischer Wahlkampfauftritte

Vor dem Verfassungsreferendum in der Türkei soll es keine Auftritte türkischer Politiker in Deutschland mehr geben, teilt Erdoğans AKP mit. SPD-Chef Schulz spricht von einem "Zeichen der Vernunft".

Die AKP will die Europa-Auftritte stoppen, sie hat ihr Ziel erreicht

Zwar hätte Erdoğan bei einer Absage der Abstimmung in letzter Minute wohl erst recht alle Register der Beleidigung gezogen. Aber dies wäre für den Autokraten in Ankara auch eine hochnotpeinliche Angelegenheit gewesen. Denn nach Umfragen halten sich Befürworter und Gegner der Selbstermächtigungs-Verfassung bislang in etwa die Waage. Erdoğan ist daher auch auf möglichst viele Stimmen der knapp 1,5 Millionen Wähler in Deutschland angewiesen.

Allerdings ist der Präsident auch ein Meister darin, aus Schwächen eine Stärke zu machen. Geplant waren in Deutschland ohnehin nur noch Auftritte unterer AKP-Chargen, Erdoğan selbst wollte angeblich nie selbst anreisen, sagt die AKP jetzt. Das dürfte sogar stimmen.

Denn schon die Drohung mit einem möglichen Auftritt hat im Sinne Erdoğans ihren Zweck erfüllt: Sie hat die Türken in Deutschland polarisiert, isoliert, viele aufgeputscht, und wird sie in großer Zahl an die Wahlurnen treiben - was wiederum Erdoğan helfen dürfte, der in der Diaspora beliebter ist als im eigenen Land. Dort schlägt sein hartes Regime zu viele Wunden.

Gelöst ist mit der Verzichtsgeste aus Ankara gar nichts. Das deutsch-türkische Drama setzt sich fort, Erdoğan droht weiter. Am Dienstag sagte er bei einem Auftritt in der Türkei, nach dem Referendum am 16. April werde sein Land die Beziehungen zur Europäischen Union überdenken. Man werde keine Europäer mehr auf türkischem Boden dulden, die sich unter allen möglichen Vorwänden als "Spione" betätigten.

Das klingt nach einer neuen Hexenjagd, nun auf EU-Bürger. Erdoğan will sich offenbar selbst endgültig von Europa verabschieden. Der türkische Präsident wird von einem Wahn getrieben, und er reißt sein Land mit in den Abgrund.

© SZ vom 22.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Türkei
:Gegen Erdoğan ist Härte nötig

Der türkische Präsident stichelt und beleidigt. Was ist die beste Gegenwehr? Nur Gelassenheit? Damit könnte Deutschland als schwächlich dastehen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: