Blackfacing:Die Empörung über Trudeau ist unverhältnismäßig

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Kanadas Premierminister Justin Trudeau (Foto: REUTERS)

Leider trifft der totale Anspruch an eine makellose Lebensführung gerade nicht die Trumps und Orbáns, die Putins und Johnsons.

Kommentar von Sonja Zekri

Der kanadische Premier Justin Trudeau kämpft um seine Wiederwahl, und seit ein paar Stunden sind seine Chancen deutlich gesunken. Die Zeitschrift Time hat ein Foto aus dem Jahr 2001 veröffentlicht, das Trudeau, damals 29 Jahre alt, auf der Abschlussgala einer exklusiven Privatschule in Vancouver zeigt, wo er als Lehrer unterrichtete. Darauf trägt er einen wulstigen weißen Turban mit keckem Federbusch zu einem irgendwie kaftanartigen Gewand. Gesicht und Hände sind dunkel geschminkt. Das Thema der Kostümpartie war "Arabische Nächte", Trudeau ging als Aladin.

Seitdem das Foto bekannt wurde, ist Trudeau sehr damit beschäftigt, sich in den Staub zu werfen, was seinen politischen Gegnern naturgemäß nicht imponiert. Trudeau habe sich des "Blackfacing" schuldig gemacht, sein Make-up sei rassistisch gewesen, so die Opposition. Dass Trudeaus teerschwarze Hand auf dem Alabaster-Dekolleté einer Frau ruhte, machte es nur schlimmer. Warum also sollten seine Gegner darauf verzichten, den Diversity-Euphoriker und Minderheiten-Liebling Trudeau als Heuchler zu entlarven?

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Der kanadische Premier will Ende Oktober wiedergewählt werden. Doch nun muss er sich für einen Auftritt aus dem Jahr 2001 rechtfertigen, bei dem er als braun angemalter Aladdin erschien.

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Der Fall ist mehr als nur eine Episode der kanadischen Innenpolitik. In der Rigorosität einer rückwärtsgewandten moralischen Erwartung hat der Angriff auf den kanadischen Premier durchaus etwas Exemplarisches - auch für die Erwartungen an Politiker hierzulande.

Moralische Maßstäbe ändern sich. Was gestern unmöglich oder undenkbar war, ist heute Ausdruck individueller Freiheit, was vor Jahrzehnten nur als geschmacklos galt, kann inzwischen Karrieren beenden. Zweifellos ist es ein zivilisatorischer Gewinn, dass "Blackfacing" aus der Mode gekommen ist und damit die Auffassung, dass eine dunkle Hautfarbe an sich bereits witzig, exotisch oder auf jeden Fall bemerkenswert ist. Auch weiße Othello-Darsteller in der Oper oder im Theater schminken sich nicht mehr. Selbstverständlich wäre es wünschenswert gewesen, dass sich diese Einsicht schneller durchsetzt, aber inzwischen hat sich immerhin herumgesprochen, dass, sagen wir, die Figur des Sarotti-Mohren auch problematische Züge hat.

Eine völlig andere Frage ist es allerdings, wie sehr das Licht heutiger Erkenntnis auch in die Vergangenheit strahlen kann. Natürlich hätte der 29-jährige Trudeau mehr Sensibilität für Fragen der Herkunft und der Hautfarbe an den Tag legen können, zumal in Kanada. Das sieht er ja selbst genauso. Aber er hat kein fremdes Land überfallen und niemanden vergewaltigt. Justin Trudeau hat sich vor fast 20 Jahren auf einer Kostümparty als Aladin geschminkt.

Nur wird dieser historische Abstand irrelevant, wenn soziale Medien die Verfehlungen von Politikern seit dem Teenageralter lückenlos abrufbar und politisch nutzbar machen, und ein weit zurückliegendes Fehlverhalten gegenüber Minderheiten, Frauen - dem Klima! - so unnachsichtig verurteilt wird wie eine Geheimdienstpanne im Kalten Krieg.

Der totale Anspruch an eine makellose Lebensführung trifft gerade nicht die Trumps und Orbáns, die Putins und Johnsons, sondern oft eben diejenigen, die sich für den Wandel einsetzen. Mit glaubwürdigem Engagement für sozialen Fortschritt hat er nichts mehr zu tun, denn er ist unerfüllbar - jedenfalls für Menschen ohne Wunderlampe.

© SZ vom 20.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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