Transitzonen:Wenn das Schließen der eigenen Reihen wichtiger ist als Ergebnisse

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Als versprochen wurde, dass die Koalition "große Aufgaben" für Deutschland meistern würde: Sigmar Gabriel, Angela Merkel und Horst Seehofer am 27.11.2013 in der Bundespressekonferenz. (Foto: AFP)

Die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD beenden ihren Gipfel, ohne auch nur ein einziges Ergebnis zu präsentieren. Warum? Weil nicht die Lösung des Flüchtlingsproblems das Dringendste war.

Kommentar von Robert Roßmann

Normalerweise ist Angela Merkel keine Frau, die durch großspurige Ankündigungen auffällt. Dieses Geschäft überlässt sie gerne ihren beiden Koalitionspartnern. An diesem Tag überkam es die Kanzlerin aber doch. Rechts von ihr saß Sigmar Gabriel, links von ihr Horst Seehofer - und vor ihr die versammelte Hauptstadtpresse.

In der Nacht zuvor hatten sich CDU, CSU und SPD auf den Koalitionsvertrag verständigt. Jetzt waren die drei Vorsitzenden in die Bundespressekonferenz gekommen, um das Ergebnis zu präsentieren. Und Merkel versprach gleich zum Auftakt vollmundig, der "Geist dieses Vertrages" sei, dass "wir eine große Koalition sind, um auch große Aufgaben für Deutschland zu meistern".

Dem großen Tamtam folgt kein einziges Ergebnis

Das war im November 2013. Inzwischen ist November 2015 - und die große Aufgabe ist da. Aber die Koalition wird ihr trotz aller Ankündigungen nicht gerecht. Am Sonntag trafen sich Merkel, Gabriel und Seehofer, um Wege aus der Flüchtlingskrise zu beschließen. Bis Silvester werden vermutlich mehr als eine Million Asylbewerber nach Deutschland kommen, viele Kommunen sind schon jetzt überfordert - und an der Grenze zu Österreich herrschen regelmäßig menschenunwürdige Zustände. Und was machen die drei Parteivorsitzenden? Sie beenden ihr mit großem Tamtam angekündigtes Gipfeltreffen, ohne auch nur ein einziges Ergebnis präsentieren zu können.

SPD-Chef Gabriel
:"Unsinnig, vermutlich rechtswidrig und auch noch unnötig"

Die Union einigt sich auf Transitzonen für Flüchtlinge. Der SPD-Chef hält davon nichts. Er will nicht nur zustimmen, damit "Seehofer eine Trophäe mit nach München nehmen kann".

Von Christoph Hickmann und Daniela Kuhr

Das alleine wäre angesichts der Not der Flüchtlinge und der Last der Kommunen schon unbefriedigend genug. Besonders ärgerlich ist das Scheitern des Treffens aber, weil es dazu nicht hätte kommen müssen.

Dass sich CDU, CSU und SPD auf nichts verständigen konnten, lag nicht nur an erheblichen inhaltlichen Differenzen. Es lag auch - wenn nicht sogar vor allem - daran, dass es den drei Vorsitzenden mehr um die Lösung parteiinterner Spannungen ging als um die Lösung der Probleme des Landes.

Der Union war das Schließen der Reihen wichtiger als Ergebnisse

Der Vorwurf trifft nicht nur die Union, sondern auch die SPD. Gabriel hat bereits vor einem Monat kundgetan, dass sich Deutschland "mit rasanter Geschwindigkeit den Grenzen seiner Möglichkeiten" nähere. Jetzt bleibt er aber Vorschläge schuldig, mit denen die Zuwanderung wirksam begrenzt werden kann.

Im Streit um die von der Union gewünschten Transitzonen haben manche Sozialdemokraten jedes Maß verloren: Der Berliner SPD-Chef Jan Stöß erklärt, die Vorschläge der Union hätten "mehr mit Guantánamo zu tun als mit dem Rechtsstaat". In dem amerikanischen Lager wurden Gefangene in Käfigen gehalten und gefoltert. Wer mit derartigen Vergleichen operiert, erschwert jeden Kompromiss.

Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten wie Serbien, die nach dem Wunsch der Union in den Transitzonen auf das Ende ihres Asylverfahrens warten müssen, dürfen sich zwar aus den Zonen nicht entfernen, können aber in ihre Herkunftsstaaten ausreisen - das ist keine klassische Haft. Man kann das trotzdem für unzumutbar oder unpraktikabel halten. Solche Zonen aber so zu stigmatisieren, wie es viele Sozialdemokraten tun, ist falsch.

Papiere statt Ergebnisse

Den Großteil der Schuld am Fiasko vom Sonntag trifft jedoch die Union. Merkel und Seehofer war das Schließen der eigenen Reihen wichtiger als Ergebnisse. Das zeigt schon ein Blick auf das Papier, auf das sie sich verständigt haben. Es ist vor allem ein Dokument zur Befriedung Seehofers und der vielen Zweifler an Merkels Asylkurs in der CDU. Der Kanzlerin verschafft es im Streit mit ihrer Basis Zeit - und der CSU-Chef kann in Bayern so tun, als ob er Merkel etwas abgerungen habe. Doch den Passauern und Wegscheidern hilft das Papier herzlich wenig. Sie hatten sich von dem Treffen Ergebnisse statt Papiere erwartet. Doch die haben sie trotz Merkels Versprechen von den großen Aufgaben, die ihre Koalition schultern werde, nicht bekommen.

© SZ vom 03.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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