Toter Häftling in Kleve:"Letztmalig im Rahmen der Abendkostausgabe gesehen"

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Blick in eine Zelle in der Klever Justizvollzugsanstalt. Die Zelle ist baugleich mit der Zelle, in der es am 17.09.2018 gebrannt hat. (Foto: dpa)
  • Ein 26-jähriger Syrer saß wegen einer Verwechslung mehr als zwei Monate unschuldig in einem Gefängnis im nordrhein-westfälischen Kleve.
  • Er starb durch ein Feuer in seiner Zelle. Einem Bericht der Polizei zufolge soll er es selbst gelegt haben.
  • Neben der Verwechslung könnten die NRW-Behörden einen weiteren exklatanten Fehler gemacht haben: Der psychisch kranke Mann hätte wohl nie ohne Bewachung in einer Einzelzelle landen dürfen.

Von Jana Stegemann, Düsseldorf

Der unschuldig Inhaftierte Amed Amed, der in der JVA Kleve durch einen Zellenbrand gestorben ist, litt offenbar an schweren psychischen Erkrankungen und soll das Feuer selbst gelegt haben. Er saß wegen einer Verwechslung mehr als zwei Monate lang unschuldig ein. Beim Brand seines Haftraums zog sich der 26-jährige Syrer schwere Verletzungen zu, denen er im Krankenhaus erlag.

Mit Feuerzeug und Toilettenpapier soll Amed seine Matratze wahrscheinlich vorsätzlich angezündet haben. Das Feuer am 17. September habe "seinen Ausgang in dessen Haftraum im Bereich der Matratze" genommen, teilte der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach (CDU) mit. Er berief sich auf das Ergebnis einer Brandschau durch Polizeibeamte. Eine technische Ursache wird demnach ausgeschlossen. In der Mitte der Matratze des Häftlings war ein Feuerzeug "in stark verbranntem Zustand" gefunden worden. Die Spurenlage spreche "in höchstem Maße dafür", dass der Inhaftierte das Feuer absichtlich gelegt habe, so Biesenbach. Das Gutachten eines externen Brandsachverständigen steht allerdings noch aus.

Unklar ist, ob sich Amed mit dem Brand tatsächlich selbst umbringen oder nur auf sich und die Verwechslung aufmerksam machen wollte.

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Am Abend des 17. September wurde der Häftling um 18 Uhr "letztmalig im Rahmen der Abendkostausgabe durch den Abteilungsbeamten gesehen", um 19.20 Uhr befreiten JVA-Mitarbeitern ihn schwer verletzt aus dem brennenden Haftraum. 40 Prozent seiner Hautoberfläche waren verbrannt, als er seinen Rettern entgegen taumelte. Wie viel Zeit zwischen dem Ausbruch des Feuers und der Befreiung Ameds verging, ist unklar. Den Alarmknopf in der Zelle soll er nicht ausgelöst haben, teilte das Justizministerium mit. In der Zelle selbst habe es keine Rauchmelder gegeben.

Zwei Wochen nach dem Tod des 26-Jährigen in der Obhut der Behörden sind noch viele Fragen offen, mehrmals war der Tod des Flüchtlings bereits Thema im Landtag. Am Donnerstag drohten AfD und SPD in einer Aktuellen Stunde mit einem Untersuchungsausschuss. SPD-Fraktionsvize Sven Wolf warf den Ministern für Inneres und Justiz, Herbert Reul und Peter Biesenbach (beide CDU) vor, mit "reiner Salami-Taktik" nur scheibchenweise aufzuklären. Zu dem Polizei- und Justizskandal gebe es immer wieder widersprüchliche Angaben. Auch die Grünen sehen zahlreiche Ungereimtheiten."Hier stimmt etwas gewaltig nicht", sagte Grünen-Abgeordneter Stefan Engstfeld. Biesenbach widersprach den Vorwürfen und versicherte: "Wir legen alles offen."

Die drängendste Frage ist mittlerweile: War der junge Syrer überhaupt hafttauglich? Möglicherweise war der eklatanteste Fehler der NRW-Behörden nicht die Verwechslung, sondern das Nicht-Erkennen seiner posttraumatischen Belastungsstörung bei Haftantritt. Darauf deutet die Aussage eines Anwalts hin.

Der Büroleiter der Kanzlei, die den Syrer bei seinem Asylverfahren vertrat, sagte der Rheinischen Post, dass Amed nie hätte inhaftiert werden dürfen, weil er suizidgefährdet und depressiv gewesen sei.

Eine Anstaltspsychologin in Kleve hatte eine gesonderte Überwachung des Syrers nicht für nötig erachtet und auch nicht ernst genommen, dass Amed von einer Verwechslung gesprochen und beteuert hatte, die Diebstähle, für die er einsaß, nicht begangen zu haben. Ein mit zwei Haftbefehlen wegen Diebstählen gesuchter Straftäter aus Mali hatte Ameds Namen als Alias-Namen benutzt.

Nach einem Gespräch mit Amed am 3. September notierte die Frau in ihrem Bericht an den JVA-Leiter: "Angesprochen auf die Suizidäußerungen zu Beginn der Haft erklärte Herr A. authentisch, dass er sich davon eine zügige Entlassung versprochen habe. Er habe nie an Suizid gedacht und sich auch noch nie selbst beschädigt."

Amed sah einmal eine Psychologin und nie einen Anwalt

Daraufhin kam Amed ab dem 13. September ohne Überwachung in eine Einzelzelle, wo am 17. September das Feuer ausbrach. Zuvor hatte er unter regelmäßiger Beobachtung gestanden, wurde mindestens alle 15 Minuten kontrolliert.

Amed war zwar polizeibekannt, aber noch nicht vorbestraft. Er war im Juli an einem Badesee in Geldern festgenommen worden, weil vier junge Frauen ihn der sexuellen Beleidigung beschuldigten. Es könnte sein, dass er zu Beginn seiner Haftstrafe davon ausging, für ein älteres Körperverletzungsdelikt inhaftiert worden zu sein, für das er 2017 bereits sechs Tage in Untersuchungshaft kam, aber nicht verurteilt worden war.

Die Gesundheitsakte des Syrers liegt dem Justizministerium erst seit dem 9. Oktober vor. Darin steht, dass der Inhaftierte abhängig von Cannabis war, viel getrunken habe und eine Persönlichkeitsstörung hatte. Außerdem wurde bei einer Zugangsuntersuchung durch den Anstaltsarzt in Kleve festgehalten, dass Amed Schnittverletzungen am rechten Unterarm aufgewiesen habe, die aber "aufgrund ihres Erscheinungsbildes" nicht in Verbindung mit einer mutmaßlichen Suizidalität zu bringen gewesen seien, sondern "eher vergleichbar mit psychisch entlastenden Schnittverletzungen im Rahmen einer Borderline-Störung". Dennoch sah der junge Syrer in den 70 Tagen Haft nur einmal eine Psychologin - und nie einen Anwalt.

Laut dem Bericht habe Amed um keinen Rechtsbeistand gebeten. Weil er sich nicht verständigen konnte? Eines Dolmetschers habe es nicht bedurft, heißt es aus der Haftanstalt, Amed habe sich "ausreichend in deutscher Sprache" unterhalten können.

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