Frauenrechte in den USA:Texanisches Abtreibungsverbot wankt

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Demonstranten in Washington protestieren gegen das strenge Abtreibungsgesetz in Texas. (Foto: Joshua Roberts/AFP)

Ein Bundesrichter hat das neue Gesetz gestoppt. Doch nun steht ein Grundsatzentscheid bevor.

Von Fabian Fellmann, Washington

Frauen sollten in Texas theoretisch ab sofort wieder abtreiben können. Bundesrichter Robert L. Pitman hat am Mittwochabend ein Gesetz des Staats außer Kraft gesetzt, das seit dem 1. September die meisten Abtreibungen de facto verbietet. Es hindere Frauen illegal daran, selbst über ihr Leben zu bestimmen, obwohl das durch die Bundesverfassung garantiert werde, schrieb der Richter in seiner Stellungnahme. Sie geht auf eine Beschwerde des amerikanischen Justizministeriums zurück. Richter Pitman verbot staatlichen Angestellten in Texas, das Gesetz anzuwenden oder anderen dabei zu helfen.

Verfechterinnen von Frauenrechten schöpfen nun wieder Hoffnung, nachdem sie zuvor zahlreiche Rückschläge hinnehmen mussten. Sie hatten sich schon im politischen Prozess gegen das texanische Gesetz gewehrt, vergeblich angesichts der republikanischen Mehrheit in dem konservativ geprägten Staat. Auch vom Obersten Gericht der USA wurden sie enttäuscht: Mit 5:4 entschied der Supreme Court, das Gesetz nicht zu stoppen. Den Ausschlag gab die konservative Mehrheit in dem Gericht, die Donald Trump kurz vor seinem Abtritt noch abgesichert hatte, indem er Amy Coney Barrett als Nachfolgerin der liberalen Ruth Bader Ginsburg installierte.

Die Passivität des Obersten Gerichts hat Frauenrechtsgruppen alarmiert. Sie sehen darin ein Warnsignal, dass die konservativen Richterinnen und Richter das Abtreibungsrecht demnächst fundamental einschränken könnten. Gelegenheit dazu werden sie schon bald erhalten. Am 1. Dezember wird das Gericht einen Fall aus Mississippi diskutieren. Die republikanische Mehrheit in dem Staat hat ein Gesetz erlassen, das Schwangerschaftsabbrüche nach der 15. Woche unter Strafe stellt; in Kraft getreten ist es wegen verfassungsrechtlicher Bedenken bisher nicht.

Das Gesetz in Mississippi steht in offensichtlichem Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung in den USA, die seit 1973 Bestand hat. Damals entschied das Oberste Gericht im Fall Roe v. Wade, dass Frauen das Recht auf straflose Abtreibungen bis etwa zur 24. Schwangerschaftswoche hätten. Dieser Grundsatz ist in keinem nationalen Gesetz festgeschrieben, sondern lediglich durch die Tradition der Rechtsprechung abgesichert. Nun könnte die konservative Mehrheit im Gericht die Tradition kippen, befürchten Aktivisten.

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Ihr Auftritt ist sehr gut vorbereitet: Die 37-Jährige argumentiert sachlich und drückt sich präzise, gewählt und sehr verständlich aus. Die Abgeordneten scheinen sich dankbar auf die Machenschaften Facebooks zu stürzen.

Von Fabian Fellmann

Demokraten versuchen, das Thema für ihre Wahlkämpfe zu nutzen

Der Erfolg in Texas kommt den Frauenrechtsgruppen darum sehr gelegen. Allerdings könnte auch er von kurzer Dauer sein. Die Justizbehörden von Texas haben bereits angekündigt, Berufung einzulegen, ein neues Urteil ist binnen weniger Tage möglich. Die Wahrscheinlichkeit einer neuerlichen Wendung ist hoch, denn zuständig ist eine zweite Bundesgerichtsinstanz in Texas, die als streng konservativ gilt. Sollte sie das Urteil von Robert L. Pitman stürzen, sind alle wieder zurück auf Feld eins: Das Oberste Gericht müsste erneut entscheiden, ob es die Verfassungsmäßigkeit des texanischen Gesetzes überhaupt überprüfen will.

Die Unsicherheit bei Frauen und Abtreibungsmedizinern in Texas ist darum groß. Zwei Klinikbetreiberinnen teilten mit, sie würden so bald wie möglich wieder Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Über ihnen hängt jedoch ein Damoklesschwert: Sollte das texanische Gesetz später doch wieder in Kraft treten, könnten die Kliniken rückwirkend verklagt werden. Betroffenen Frauen bleibt damit vorerst oft doch nur die Reise in einen anderen Staat für eine legale Abtreibung, was gerade für sozial Benachteiligte schwierig ist.

Zahlreiche Staaten mit konservativer Mehrheit haben in den vergangenen Jahren versucht, den Zugang zu Abtreibungen einzuschränken. Die Demokraten versuchen nun, daraus wenigstens politisch Kapital zu schlagen: Gemäß Umfragen unterstützen rund 60 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner das Recht auf Abtreibungen. Gerade demokratische Wähler lassen sich mit dem Thema sehr gut mobilisieren, in den vergangenen Wochen protestierten landesweit Tausende Frauen. Entsprechend offensiv setzt die Demokratische Partei das Thema im Wahlkampf ein.

In Virginia etwa, einem südlichen Staat in unmittelbarer Nachbarschaft der Hauptstadt Washington, liefern sich die Spitzenkandidaten ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das im November entschieden wird. Die Anhänger des Demokraten Terry McAuliffe mobilisieren mit einer Aufnahme des Republikaners Glenn Youngkin: Darauf sagt er, er wolle im Wahlkampf nicht über Abtreibungen reden, weil ihm das schaden würde. Einmal im Amt, werde er die Abtreibungsrechte dann schon einzuschränken wissen.

Das Weiße Haus nimmt den Ball ebenfalls dankbar auf. Die Zwischenwahlen im kommenden Jahr werden darüber entscheiden, ob Biden weiterhin mit einer knappen Mehrheit regieren kann, und bisher hat seine Regierung noch wenig geliefert, was seine Wählerschaft begeistert und an die Urnen lockt. Ein Thema mit hohem Mobilisierungspotenzial ist da hochwillkommen. Bidens Sprecherin Jen Psaki schrieb als Reaktion auf das jüngste Urteil zu Texas, Biden werde einen neuen Versuch unternehmen, die Grundsätze von Roe v. Wade in ein Gesetz zu gießen: "Der Kampf hat erst begonnen, sowohl in Texas als auch in vielen anderen Staaten im ganzen Land, in dem Frauenrechte derzeit attackiert werden."

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