Sie stehen aufgereiht vor einer gelben Wand, verschleiert, die Blicke nach unten gerichtet. Fast ausdruckslos wirken die Gesichter der 15 Mädchen. Nacheinander sagen sie ihre Namen, dass sie aus Chibok seien, dass sie 2014 entführt wurden - von Kämpfern der islamistischen Terrormiliz Boko Haram. Der US-amerikanische Nachrichtensender CNN, der das Video veröffentlicht hat, spricht von einem "Lebenszeichen" der vor knapp zwei Jahren im Nordosten Nigerias entführten Schulmädchen - einige Mütter hätten die Mädchen in dem Video erkannt.
Über das Schicksal der mehr als 200 Mädchen, die sich noch immer in der Hand von Boko Haram befinden, war lange kaum noch etwas bekannt. Am 14. April 2014 hatten Kämpfer der Terrorgruppe 276 überwiegend christliche Schülerinnen aus den Schlafsälen ihrer Schule in Chibok gezerrt und verschleppt - ein paar Dutzend gelang seither die Flucht.
Missbraucht als Sex-Sklavinnen und zu Kämpfern gemacht
Seit der Veröffentlichung eines Videos vor etwa einem Jahr gibt es über die verbleibenden Geiseln aber kaum noch Informationen. Auf den Aufnahmen waren damals zahlreiche verschleierte Mädchen zu sehen, auf dem Boden sitzend. Boko-Haram-Anführer Abubakar Shekau hatte in dem Internetfilm behauptetet, die Mädchen würden verkauft und verheiratet. Geschehen war danach nichts - man wisse nicht, wo die Entführten seien, hieß es immer wieder von der nigerianischen Regierung. Trotz des Versprechens, die Mädchen zurückzuholen. Vor allem der damalige Präsident Goodluck Jonathan stand daher immens in der Kritik, auch sein Nachfolger Muhammadu Buhari hat wenig erreicht. Noch immer demonstrieren daher beinahe täglich Eltern in der nigerianischen Hauptstadt Abuja und fordern: "Bring back our girls" - bringt unsere Mädchen zurück.
Das nun aufgetauchte Video könnte nach Angaben von CNN und der Nachrichtenagentur AP ein Nachweis für das Leben der Mädchen sein, gerichtet an die nigerianische Regierung. Wohl im Dezember hätten Vertreter von Boko Haram die Regierung kontaktiert, um über einen Austausch der Geiseln gegen Gefangene zu verhandeln. Das Video werde nun analysiert, heißt es. Senator Shehu Sani, der an Verhandlungen mit der Terrormiliz beteiligt ist, sagte der Nachrichtenagentur AP, er halte das Video für echt.
Nigeria:Terrormiliz Boko Haram missbraucht Kinder als Attentäter
Kinder, die sich in die Luft sprengen - oft nicht älter als acht Jahre: Immer häufiger üben Minderjährige in Nigeria Selbstmord-Anschläge aus. Dahinter steckt eine perfide Strategie.
Das Schicksal der Schulmädchen von Chibok ist wohl nur ein Ausschnitt der harten Realität des Konflikts. Hunderte weitere Kinder und Frauen haben Boko-Haram-Milizen seit Chibok verschleppt - von bis zu 2000 Entführungsopfern spricht beispielsweise das Kinderhilfswerk Unicef. "Kinder, die fliehen konnten, berichten davon, dass sie zwangsverheiratet wurden, als Sex-Sklavinnen missbraucht und von den Kämpfern gewaltsam festgehalten werden", sagt Ninja Charbonneau, Sprecherin von Unicef Deutschland.
Tausende leiden unter der Gewalt von Boko Haram
Immer mehr Minderjährige werden wohl außerdem als Kämpfer eingesetzt, indoktriniert und für Selbstmordattentate missbraucht, zeigt ein aktueller Bericht des Kinderhilfswerks Unicef. Von vier Anschlägen im Jahr 2014 auf 44 im Jahr darauf hat sich die Zahl der von Kindern verübten Anschläge in dieser Region erhöht. In zwei Dritteln der Fälle waren es Mädchen, die sich selbst in die Luft jagten, offenbar von Boko Haram dazu instrumentalisiert.
"Es geht aber um weit mehr als um die Schulmädchen von Chibok", sagt Charbonneau. Und spricht davon, dass Tausende Kinder wegen der Gewalt durch die Terrormiliz nicht mehr zur Schule gehen können oder von dramatischer Mangelernährung bedroht sind. "Die Krise wird international sehr wenig beachtet - obwohl das eine der am schnellsten wachsenden Flüchtlingskrisen in Afrika ist", sagt die Sprecherin.
Seit sechs Jahren kämpft Boko Haram im Nordosten Nigerias für die Errichtung eines muslimischen Gottestaates - mittlerweile hat die Gruppe ihre brutalen Angriffe auch auf die angrenzenden Länder Kamerun, Tschad und Niger ausgeweitet. In dem Konflikt wurden bisher mindestens 20 000 Menschen getötet, etwa 2,6 Millionen Menschen sind vor der Gewalt auf der Flucht.