Fall Amri:Opposition kritisiert schnelle Abschiebung von Amris Kontaktpersonen

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Fahndungsfotos von Anis Amri hängen an der Tür der Weihnachtsmarktwache. (Archivbild) (Foto: dpa)
  • Im Untersuchungsausschuss des Bundestages zeigt sich, dass die deutschen Behörden sehr schnell die Kontaktpersonen von Attentäter Anis Amri abschieben wollten.
  • Die FDP kritisiert, bis heute sei nicht klar, was dabei im Vordergrund gestanden habe: Sicherheitsinteressen oder der Versuch, die These vom "Einzeltäter" um jeden Preis aufrechtzuerhalten.
  • Die Grünen-Obfrau im Ausschuss, Irene Mihalic, spricht von einer "politischen Einflussnahme auf die Ermittlungen".

Nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 haben Bundesregierung und Sicherheitsbehörden mit Hochdruck die Abschiebung von Bekannten des Attentäters Anis Amri vorangetrieben. Das zeigen Dokumente und Aussagen von Mitarbeiterinnen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf), die jetzt im Untersuchungsausschuss des Bundestages zu dem Anschlag als Zeuginnen vernommen wurden.

Amri war am 19. Dezember 2016 mit einem gekaperten Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt gerast. Der Tunesier tötete dabei zwölf Menschen. Er floh und wurde später in Italien von der Polizei erschossen.

Der FDP-Abgeordnete Benjamin Strasser zitierte im Ausschuss aus Emails vom Frühjahr 2017. Daraus geht hervor, dass sich die damalige Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Emily Haber, persönlich um die Rückführung von Karim H. alias Montasser nach Tunesien gekümmert hat. Haber hatte auch die rasche Abschiebung von Bilal ben Ammar dorthin vorangetrieben.

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Der Innenminister reagiert auf zuletzt aufgekommene Gerüchte um das Breitscheidplatz-Attentat und sagt, eine weitere Inhaftierung des Mannes sei "rechtlich nicht möglich" gewesen.

Am Abend vor dem Anschlag aß Amri mit seinem Freund Bilal Ben Ammar in einem Imbiss. Ben Ammar wurde am 1. Februar 2017 - sechs Wochen nach dem Anschlag - abgeschoben. Dem islamistischen Gefährder hatte nach offiziellen Angaben damals keine direkte Tatbeteiligung nachgewiesen werden können. Er sitzt derzeit - so die letzte Auskunft aus Tunesien - in seiner Heimat im Gefängnis. Der Ausschuss würde ihn gerne befragen.

Eine Bamf-Mitarbeiterin hatte am 14. Februar 2017 das Bundeskriminalamt eilig um Informationen zu Montasser gebeten. Sie schrieb, Bundeskanzlerin Angela Merkel wolle am Rande eines Treffens mit Vertretern Tunesiens diesen und andere Abschiebefälle ansprechen. Montasser und Amri waren beide an einer Schlägerei mit mutmaßlichen Dealern in einer Berliner Shisha-Bar im Juli 2016 beteiligt gewesen. Dabei stach Montasser einen Mann nieder. Er wurde letztlich im Mai 2017 wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt und erst im Frühjahr 2019 abgeschoben. Zuvor wurde er vom Ausschuss des Bundestages hinter verschlossenen Türen vernommen.

Im April 2017 schrieb eine Bamf-Mitarbeiterin aus Berlin an eine Bamf-Verbindungsbeamtin in Rom, sie solle sich prioritär um den Fall Montasser kümmern. Der Fall solle im Beisein von Haber im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum von Bund und Ländern besprochen werden.

"Nach dem Anschlag waren offenbar alle Ebenen bis hin zur Bundeskanzlerin damit befasst, jeden aus dem Land zu kriegen, der etwas mit Anis Amri zu tun hatte", sagte Strasser. Bis heute sei nicht klar, was dabei im Vordergrund gestanden habe: Sicherheitsinteressen oder der Versuch, die These vom "Einzeltäter" um jeden Preis aufrechtzuerhalten.

Dass Haber damals nicht nur an der "Turboabschiebung" von Ben Ammar, sondern auch an entsprechenden Bemühungen zu Montasser mitgewirkt habe, belege "einmal mehr die bisher stets bestrittene politische Einflussnahme auf die Ermittlungen der Sicherheits- und Justizbehörden", sagte die Grünen-Obfrau im Ausschuss, Irene Mihalic. Haber soll demnächst auch als Zeugin vernommen werden. Sie ist aktuell Botschafterin in Washington.

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