Taliban in Afghanistan:Wie die USA ihre Feinde bewaffnet haben

Lesezeit: 3 Min.

Talibankämpfer am Flughafen von Kabul. (Foto: Rahmat Gul/AP)

Gewaltige Mengen an Kriegsgerät sind in die Hände der Sieger in Afghanistan gefallen. Wird aus der Streitmacht islamistischer Sandalen-Krieger nun eine richtige Armee?

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Die Taliban verstehen sich nicht nur aufs Kämpfen, sie verstehen sich auch auf die Show und die Bilder. Der US-Fernsehsender CNN zeigte jüngst ein Video von Taliban-Kämpfern, die mit US-Gewehren und schusssicheren Westen paradieren. Die Kämpfer sind, mit dem für militante Islamisten typischen Dschihadisten-Pathos, ganz in Weiß gekleidet: Weiß ist die Farbe des Leichentuchs.

Neben diesem makaberen Totentanz zukünftiger "Märtyrer" zeigte der Sender Bilder, auf denen die afghanischen Islamisten kistenweise fabrikneue Sturmgewehre, Maschinenpistolen und andere Handfeuerwaffen auf Lastwagen laden. Den Taliban ist offenbar fast das gesamte Arsenal der früheren Regierungsarmee und der Polizei in die Hände gefallen.

Um welche Mengen es geht, ist zwar im Bericht des "US-Special Inspectors für den Aufbau Afghanistans" vom Juni 2021 aufgelistet. Aber um welche Stückzahlen es sich genau handelt, weiß in Washington derzeit keiner. Laut CNN sagte eine Quelle im US-Verteidigungsministerium: "Es gibt keine genaue Buchführung darüber, was alles dort geblieben ist."

Das Kriegsgerät einer Armee von etwa 180 000 Mann sowie die Waffen von 120 000 Polizisten- besonders gut bewaffnet waren die afghanischen Special Forces, die gern mit Totenkopf-Strumpfmasken kämpften -, stehen zur Verfügung der Taliban, ihren Dschihadisten und Al-Qaida-Verbündeten. Von 2005 bis 2019 gaben die USA für die afghanische Armee knapp 50 Milliarden Dollar aus. Es ist ein Desaster für sie und ihre Afghanistan-Verbündeten, sie haben ihre Feinde bewaffnet.

Ein Arsenal, über 20 Jahre lang aufgehäuft

Grundsätzlich hatte Washington bei der Aufrüstung der Kabuler Regierung ein vernünftiges Konzept. Die Afghanen sollten eine zahlenmäßig relativ starke Streitkraft bekommen, die beweglich ist und auf einen Werkzeugkasten einfacher Waffen zurückgreifen kann. Keine Hightech-Armee, aber doch moderne Sturmgewehre und MGs, etwas Artillerie, geländegängige Humvee-Jeeps, minensichere MRAPs -Truppentransporter. Keine echte Luftwaffe, sondern nur zwei Dutzend A-29 Tucano-Jets: Das Turbo-Prop-Flugzeug war geeignet, die Taliban anzugreifen, wenn sie Stützpunkte und Checkpoints der Armee attackieren sollten. Dazu Helikopter und Transportflugzeuge. Dem Wall Street Journal zufolge waren es bis 2016 mehr als 200 Maschinen.

Das Gerät sollte robust sein, leicht zu warten. Das kommt nun aber den Taliban zugute, die sich nach 20 Jahren Krieg auskennen. War in Afghanistan früher die Kalaschnikow die Waffe der Wahl, haben viele der Kämpfer längst US-Sturmgewehre. Auf den Videos und Selfies in den digitalen Medien halten die Kämpfer stolz M-4-Karabiner, M-16-Gewehre und amerikanische Scharfschützengewehre in den Händen. Sie hatten solche US-Waffen bereits während der jahrelangen Kämpfe erbeutet. Aber jetzt sind ihnen die Bestände aus den Armee-Lagerhäusern in die Hände gefallen: Ein Arsenal, über 20 Jahre angehäuft.

Ein Sprecher des Pentagon sagte vergangene Woche: "Wir wollen definitiv nicht, dass diese Waffen in den Hände derer landen, die sie gegen unsere Interessen oder die des afghanischen Volk einsetzen." Genau das aber werden die Taliban tun. Und die Zahlen sind bisher sehr unvollständig. Dem Wall Street Journal und CNN zufolge wurden allein zwischen 2003 und 2016 an Kabul 600 000 Sturmgewehre und andere Handfeuerwaffen geliefert. Dazu MGs, Pistolen, Minen, Mörsergranaten, kleinere Raketen, Panzerfäuste, Nachtsichtgeräte, Funkausrüstung, Helme, Schusswesten, Uniformen.

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Zwischen 2013 und 2017 sollen zudem 76 000 Fahrzeuge ins Land gekommen sein, so der Sender unter Berufung auf US-Behörden. In den nächsten zwei Jahren seien noch einmal fast 4700 Humvee-Geländewagen dazugekommen, 7000 MGs, Granaten. In den Depots müssen demnach auch Unmengen an Munition lagern: Allein in zwei Jahren kamen 18 Millionen Schuss nach Afghanistan.

Erinnerungen an den Irak

Das Ganze erinnert an den Irak und den "Islamischen Staat": Der IS konnte im Nordirak 2014 einen Teil der gut gefüllten Lagerhallen der Bagdader Regierungsarmee erbeuten. Da auch in Afghanistan niemand mit der Flucht der Armee gerechnet hatte, dürfte beim Zusammenbruch der afghanischen Truppen nur ein Bruchteil dieses Arsenals vernichtet worden sein. Zudem haben auch die US-Truppen bei ihrem schrittweisen Abzug in den letzten Monaten und aus anderen Landesteilen Waffen zurückgelassen: Für die Regierungsarmee.

Die Taliban können sich also noch besser bewaffnen und von ihren Pick-up-Trucks und Motorrädern umsteigen auf gepanzerte Geländewagen und Transporter. So könnte aus der leicht bewaffneten Streitmacht der Sandalen-Krieger so etwas wie eine kleine Armee werden: Selbst Teile der Luftwaffe sollen unzerstört stehen gelassen worden sein.

Die Frage ist, ob die neuen Herren des Landes all die Fahrzeuge warten können. Dies haben bisher private US-Firmen getan, im Auftrag Washingtons. Ebenso die Tucano-Jets und die etwa 150 Helikopter, die im Bericht des "US-Special Inspectors für den Aufbau Afghanistans" vom Juni 2021 genau aufgelistet sind. Ohne Techniker und ausgebildete Piloten können die Taliban, die sicher von einer eigenen Luftwaffe träumen, die Tucano-Jets und Black-Hawk-Hubschrauber nicht einsetzen. Aber sie könnten die früheren Regierungspiloten und Spezialisten zwingen, für sie zu arbeiten. Die Taliban kennen die Namen der Ex-Offiziere und scheuen vor Gewalt nicht zurück.

Eine von CNN zitierte Quelle im US-Kongress sieht neben den bestens bewaffneten Taliban noch eine Gefahr: Die Waffen könnten in die Hände anderer US-Gegner gelangen, etwa Russlands, Chinas oder Irans. "Wir müssen befürchten, dass Waffen an unsere Feinde oder an nicht-staatliche Akteure verkauft werden", hieß es. "Die können sie gegen uns und unsere Verbündeten einsetzen."

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