Ostasien:Taiwans Opposition schließt Wahlbündnis gegen die Regierung

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Will den abgerissenen Gesprächsfaden zwischen Peking und Taipeh wieder aufnehmen: Hou Yu-ih, Chef der taiwanesischen Oppositionspartei Kuomintang (KMT). (Foto: SAM YEH/AFP)

Überraschend wollen die bislang zerstrittenen Parteien Kuomintang und TPP einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten aufstellen. Sie setzen beide auf Entspannung mit China.

Von Kai Strittmatter, München

Taiwan ist eine noch junge Demokratie und lebt im Schatten der Bedrohung durch den Nachbarn China. Gerade erst informierte Chinas starker Mann Xi Jinping den US-Präsidenten Joe Biden beim Treffen der beiden in San Francisco, dass seine Volksrepublik China sich eines Tages Taiwan einverleibe, das sei "unaufhaltsam". Wahlen auf Taiwan können sich deshalb schicksalshafter anfühlen als anderswo, für das Land selbst, aber auch für die internationale Gemeinschaft, zuvörderst den Taiwan-Alliierten USA.

Am 13. Januar wählt Taiwan einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament, und wieder wird es "eine kritische Wahl" sein, sagt Wu Jieh-min, ein Forscher an der Academia Sinica in Taipeh. "Wir haben kritische Wahlen alle vier Jahre, und keine ist einfacher als die letzte: Wir erleben immer noch den enormen Druck aus China, und wir kämpfen immer noch jeden Tag um Solidarität innerhalb unserer Gesellschaft."

Für Xi Jinping und Chinas KP ist das eine gute Nachricht

Als diese Woche die zwei führenden Oppositionskandidaten verkündeten, sie wollten bei den Wahlen als Team antreten, schlug die Nachricht deshalb große Wellen: Das neue Bündnis - wenn es denn hält - hat das Zeug, die bisherigen Umfrageergebnisse, die bei der Präsidentschaftswahl die regierende Demokratische Fortschrittspartei (DPP) vorn sehen, auf den Kopf zu stellen. Ein Sieg des Oppositionsbündnisses aber, dessen Partner Peking viel mehr entgegenkommen wollen, wäre eine gute Nachricht für Xi Jinping und Chinas KP. Die Folgen wären wohl eine zumindest vorübergehende Entspannung im Verhältnis, womöglich aber auch mehr Einfluss Chinas auf Taiwan, wovor die regierende DPP in schärfsten Tönen warnt.

Es sind zwei sehr ungleiche Partner, die sich da zusammentun wollen: Auf der einen Seite die mehr als 100 Jahre alte Kuomintang (KMT), die 1949 auf dem Festland den Bürgerkrieg gegen Mao Zedongs Kommunisten verlor und danach die Reste ihrer "Republik China" auf Taiwan verteidigte - in den ersten Jahrzehnten als nationalistische Einparteiendiktatur. Auf der anderen Seite die junge Taiwanische Volkspartei (TPP), die gerade mal vier Jahre alt ist.

Der Populist Ko Wen-je kommt bei jungen Männern gut an

Vor allem aber könnten die Galionsfiguren der beiden Parteien unterschiedlicher kaum sein. Der KMT-Mann Hou Yu-ih, ein ehemaliger Polizist und späterer Bürgermeister von Neu-Taipeh, wirkt eher blass. TPP-Gründer Ko Wen-je hingegen, ein ehemaliger Star-Chirurg und Bürgermeister von Taipeh, zieht alle Register des Populismus und kommt vor allem bei jungen Männern gut an.

In den Umfragen war TPP-Chef Ko zuletzt mit 24 Prozent vor KMT-Mann Hou mit 22 Prozent gelegen, beide aber jeweils abgeschlagen hinter dem Kandidaten der Regierungspartei DPP, William Lai. Er ist bislang Vizepräsident Taiwans. Verschiedene Umfragen sahen ihn zwischen 30 und 38 Prozent, zuletzt fielen seine Werte etwas.

Taiwan aber kennt keine Stichwahlen. Es gewinnt der, der im ersten Wahlgang vorn liegt. DPP-Kandidat Lai profitierte also bislang von der Spaltung der Opposition, zumal noch ein dritter Oppositioneller seinen Hut in den Ring geworfen hatte: der schwerreiche Unternehmer Terry Gou, Chef des in China operierenden Foxconn-Konzerns, der unter anderem fast alle iPhones herstellt. Gou ist chancenlos, zieht in Umfragen aber noch einmal acht Prozent der Oppositionswähler auf sich.

Wenn alter Ekel im Angesicht der Macht verfliegt

Es ist kein Geheimnis, dass Peking sich eine Einigung der Opposition wünschte gegen die regierende DPP, die ihre Wurzeln im Kampf gegen die KMT-Diktatur und in der Unabhängigkeitsbewegung hat. Chinas KP-Vertreter belegen William Lai regelmäßig mit Schimpfwörtern wie "Unabhängigkeitslügner". Die KMT hingegen verspricht schon lange, den abgerissenen Gesprächsfaden zwischen Peking und Taipeh wieder aufzunehmen.

Die KMT bekennt sich zu dem von ihr selbst einst ausgehandelten "Konsensus von 1992", einer vagen Abmachung, wonach sich beide Seiten dazu bekennen, dass es nur ein China gibt, ohne dass definiert wird, wie genau dieses eine China nun auszusehen hat. Der Populist Ko Wen-je wiederum sagte, Taiwan und China seien Teil "einer Familie", und verspricht "Abschreckung und Kommunikation" gleichzeitig. Bei aller Sehnsucht nach Entspannung: Dass Taiwans Wähler nicht die geringste Lust haben, in Xi Jinpings Reich aufzugehen, ist allen Kandidaten klar.

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Wie belastbar das neue Bündnis ist, wird sich erstmals am Samstagmorgen zeigen: Dann soll feststehen, welche der beiden Parteien nun den Präsidentschaftskandidaten stellt. Zur Entscheidung sollen Umfrageergebnisse der letzten zehn Tage herangezogen werden. Details des Prozesses sind unklar, einige Kommentatoren sehen den KMT-Mann im Vorteil und unken, TPP-Chef Ko habe sich bei den Verhandlungen "überrollen" lassen.

Unklar auch, ob Kos Anhänger den Schwenk mitmachen. Der ehemalige Arzt Ko war als Anti-Establishment-Kandidat angetreten und musste sich kurz nach der Einigung mit der KMT auf ein Bündnis eines seiner alten Zitate vorhalten lassen, wonach er "nichts im Leben" so sehr hasse wie "Moskitos, Kakerlaken und die Kuomintang". Warum er nun ausgerechnet mit dieser KMT gemeinsame Sache macht? Kos Erklärung: Die regierende DPP hasse er halt "noch mehr."

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