Auf den ersten Blick wirkt das Szenario absurd. Die Grünen wählen eine neue Partei- und Fraktionsspitze. Cem Özdemir aber, einer ihrer bekanntesten Vertreter, geht leer aus. Parteichef will Özdemir nicht mehr sein. An der Spitze der Bundestagsfraktion will man ihn nicht haben. Für Özdemir ist das bitter. Eine Überraschung aber ist die Sache nicht und auch kein grüner Königsmord.
Cem Özdemir hat alles darangesetzt, Jamaika-Minister zu werden. Dass daraus nichts wurde, verdankt er seinem Duzfreund Christian Lindner von der FDP, nicht den eigenen Leuten. Einen Plan B nach Jamaika hatte Özdemir nicht, nun hat seine Partei auch keinen für ihn. Das festzustellen, hat nichts mit Häme zu tun.
Außerdem bietet Özdemirs Abschied auch die Chance auf einen Anfang. Die Grünen brauchen neue Gesichter so dringend wie eine inhaltliche Frischzellenkur. An der Parteispitze ist schon Erneuerung in Sicht: Annalena Baerbock und Robert Habeck als Vorsitzende, das wäre ein Gewinn. Neben diesen beiden Realos auch an der Fraktionsspitze zwei Realos installieren zu wollen, nämlich Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, das wäre weder realistisch noch erstrebenswert gewesen.
Bei den Grünen zählt dankenswerterweise weniger Bedeutungshuberei als Meinungsvielfalt. Dazu gehört auch die Selbsterfindung. Sie ist mühsam, sie tut weh, aber sie hält eine Partei am Leben. Frischer Wind würde aber auch an der Fraktionsspitze nicht stören. Es ist Zeit für einen Aufbruch.