Es hieß, der Präsident sei nach Lattakia an der Küste geflüchtet, in die Heimat seiner Väter. Schließlich hatte man Baschar al-Assad seit dem Anschlag vom Mittwoch nicht mehr gesehen. 24 Stunden später tauchte er im Fernsehen auf, bei der Vereidigung des neuen Verteidigungsministers. Ein Berater erklärte, Assad sei in seinem Palast. Inzwischen kämpfen die Aufständischen vor dessen Toren in Damaskus. "Eigentlich ist er ein armer Hund. Er kann nirgendwohin, niemand will ihm helfen. Ihm bleibt nur Lattakia", sagt ein Aktivist aus Sabadani an der libanesischen Grenze, der sich Farid Mohammed nennt, im Telefonat mit der SZ.
Damaskus steht unter Beschuss. Und obwohl niemand weiß, ob der Anschlag auf hochrangige Sicherheitsbeamte das Regime sehr schnell wird einbrechen lassen oder ob er erst einmal nur eine weitere Eskalation in der militärischen Auseinandersetzung bedeutet, spielt Syrien, spielt die Welt Szenarien für die Zeit nach Assad durch.
Eines geht so: Die Alawiten, jene schiitische Sekte, der der Assad-Clan, große Teile der militärischen Eliten und insgesamt zehn Prozent der Bevölkerung angehören, ziehen sich auf die Westseite des Flusses Orontes zurück, in eine Art Rumpfstaat zwischen türkischer und libanesischer Grenze. Es heißt, die Schabiha, die regierungstreuen Killerkommandos, verschanzten sich an der Küste. Im Osten wiederum nutzten die Kurden die Gunst der Stunde, planten eine eigene Sicherheits- und Außenpolitik - verärgert über die Hoheitsansprüche der sunnitischen Assad-Gegner. Der große Rest bliebe unter sunnitischer Herrschaft. Doch ganz gleich, was die nächsten Tage bringen - nach den Anschlägen in Damaskus ist der Zerfall Syriens ein wenig näher gerückt.
Noch ist Damaskus nicht befreit, sondern in jenem quälenden Stadium zwischen Aufruhr und Unterdrückung, das schlimmstenfalls Monate anhalten kann. Baschar al-Assad aber ist fast schon ein Gejagter. Er kann weder den reichen sunnitischen Geschäftsleuten noch den Hauptstädtern, nicht mal seinem engsten Kreis noch Sicherheit bieten. Der Bombenanschlag auf jenes Krisenzentrum, das doch die Niederschlagung des Aufstandes beraten sollte, hat das Regime ins Herz getroffen. Damaskus war lange Zeit der Beweis, dass das Regime den wichtigsten Ort des Landes kontrolliert. Nun beweist Damaskus das Gegenteil.
Versorgungslage in Damaskus verschlechtert sich
Sami al-Schami, der in Wahrheit anders heißt, organisiert gerade vom Ausland aus per Internet und Telefon die Verlegung der Verwundeten aus der Hauptstadt nach Duma und Harasta. Am Mittwoch, nach dem Anschlag, seien Schabiha-Horden im besonders umkämpften Viertel Midan von Haus zu Haus gezogen und hätten allein sieben Menschen mit Messern abgeschlachtet, berichtet er der SZ. 18 Tote habe es in Damaskus gegeben. Am Donnerstagmorgen seien die Märkte leer gewesen, auf den Straßen kaum Autos, die Universität geschlossen. Medien berichten, die Versorgungslage verschlechtere sich. Unternehmer, die den Aufstand unterstützt haben, seien inzwischen selbst pleite.
Sami ist sicher: Dies ist der Anfang vom Ende. Den Fastenmonat Ramadan, der in den nächsten Tagen beginnt, könne Assad nicht mehr überstehen. Die Republikanische Garde riegle den Präsidentenpalast ab. In umliegenden Orten wie Erbin und Harasta seien die Kontrollposten abgezogen worden, anstelle der Infanterie kämpfe die Armee nun aus der Luft, von Hubschraubern aus. "Das Blatt hat sich definitiv gewendet", sagt Sami. Assad vertraue seinen - meist sunnitischen - Bodentruppen nicht mehr, einzig die Luftwaffe sei noch loyal.
Dann unterbricht er das Gespräch. Gerade bekommt er eine Meldung, dass ein Hubschrauberpilot den Schießbefehl verweigere. Die Aufständischen hören den Militärfunk ab. Assads Armee ist den bewaffneten Aufständischen technisch noch immer weit überlegen, aber viele Soldaten wollen nicht mehr kämpfen.
Damaskus bereitet sich seit Langem auf die entscheidenden Tage vor. "Die medizinischen Komitees sind bereit und warten auf ein Zeichen", so Sami, vor allem nachts versorgten sich die Kämpfer mit Waffen, wenn die Kontrollpunkte praktisch verlassen seien. In Ermangelung schwerer Waffen, so hat die New York Times berichtet, seien die Assad-feindlichen Kämpfer inzwischen versierte Bombenbauer geworden.
Sprengstoff ist billiger als Munition, die Wirkung aber kann gewaltiger sein, das zeigte der Anschlag am Mittwoch. Noch ist nicht klar, ob die Tat durch einen Selbstmordattentäter begangen oder die Bombe mit einer Fernsteuerung gezündet wurde, nachdem der Sprengstoff in den Raum geschmuggelt worden war.
Der Aufstand begann als Erhebung der Provinz, Damaskus muss nun von außen befreit werden. Es war ja fast ein Zufall, dass der Kampf nun begann: Vor einigen Wochen hat die Armee begonnen, Duma im Norden der Hauptstadt zu beschießen. Die bewaffneten Aufständischen mussten sich nach Süden zurückziehen, nach Harasta und Erbin, über die Felder: 5000 Kämpfer zogen so offenbar nach Damaskus.
Für einige Stadtviertel wie Messe im Westen oder Tadamon im Süden hat die Armee nun offenbar ein Ultimatum ausgesprochen: 48 Stunden blieben den Einwohnern, die Stadt zu verlassen. Die "Terroristen", so das Regime, würden versuchen, Einwohner als "menschliche Schutzschilde" zu benutzen. Noch zwei Tage werde es schwere Gefechte geben, da die Armee Damaskus vor Beginn des Ramadan von Terroristen "säubern" wolle.
Das syrische Staatsfernsehen strahlte eine Warnung aus, dass "Bewaffnete", also Aufständische, in den Uniformen der Republikanischen Garde durch die Viertel Tadamon, Maidan, Qaa und Nahr Aischa zögen. Sie planten Verbrechen, indem sie "das Vertrauen der Bürger in unsere mutigen Streitkräfte" ausnutzten. Für Oppositionelle ein beunruhigendes Zeichen: Die Sicherheitskräfte könnten Morde begehen und diese später den Aufständischen anlasten.
Unterdessen hat Generalmajor Robert Mood, der Leiter der UN-Beobachter in Syrien, seine Mission als "sinnlos" bezeichnet, solange es keinen politischen Prozess zur Lösung des Konfliktes gebe. Syrien, so Mood in Damaskus, sei "nicht auf dem Weg zum Frieden".