Syrien:Assads Truppen erobern große Teile Aleppos zurück

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  • Syrische Regierungstruppen nehmen immer größere Teile Aleppos ein, zuletzt hieß es, sie hätten die gesamte Altstadt erobert.
  • Etwa 30 000 Menschen flüchten in den Westen der Stadt - viele befürchten, von der Regierung verhaftet, umgebracht oder zwangsrekrutiert zu werden.
  • Rebellengruppen aus Aleppo haben in den vergangenen Tagen anscheinend Gespräche mit Russland geführt - die USA waren nicht beteiligt.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Syrische Regierungstruppen und mit ihnen verbündete Milizen haben seit Beginn ihrer Offensive in Aleppo am 20. November mehr als drei Viertel der einst von Rebellen gehaltenen Gebiete im Osten der Stadt eingenommen. Am Dienstag eroberten sie fünf weitere Viertel, wie Staatsmedien und die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte übereinstimmend meldeten.

In der Nacht zum Mittwoch nahmen sie nach jüngsten Meldungen auch die gesamte Altstadt ein, Vertreter von Rebellengruppen bestritten dies, räumten allerdings ein, dass die Armee in Viertel der Altstadt vorgerückt sei. Einwohner berichteten von heftigen Kämpfen, Artilleriefeuer und Luftangriffen. Die Armee geht nach eigenen Angaben davon aus, dass die vollständige Einnahme der Stadt nur noch eine Frage von Wochen ist.

Zehntausende Zivilisten in den belagerten Gebieten stehen vor der Wahl, über die Fronten auf Regierungsgebiet zu fliehen oder sich in der schrumpfenden Enklave der Rebellen zu verstecken, wo sie pausenloser Bombardierung ausgesetzt sind und selbst die elementare Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser, Strom und Medikamenten zusammengebrochen ist.

Mindestens 30 000 sind laut den Vereinten Nationen inzwischen in den von der Regierung kontrollierten Westteil geflüchtet, Einwohner von Aleppo berichteten am Dienstag aber, dieser Weg sei momentan versperrt.

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Noch mehr als 100 000 Menschen sollen in den Rebellengebieten sein

Die Flucht in die Regierungsgebiete bedeutet, vom Regime registriert zu werden. Viele Regierungsgegner, auch solche, die sich nicht an Kämpfen beteiligt haben, befürchten, verhaftet, umgebracht oder für die Armee zwangsrekrutiert zu werden. Es gibt Berichte, dass mehrere Hundert Männer verschwunden sind. Das Regime von Präsident Baschar al-Assad bestreitet dies.

Zwischen 6000 und 10 000 Zivilisten haben sich in von kurdischen Milizen gehaltene Gebiete gerettet, sagen die Kurden. Sie erhoffen sich dort Schutz vor dem Zugriff des Regimes. Tausende, wenn nicht Zehntausende Zivilisten folgten aber auch den Rebellen. Zuverlässige Zahlen gibt es nicht, weil niemand sie registriert.

Der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura sagte am Wochenende, dass sich noch mehr als 100 000 Menschen in den Rebellen-Gebieten aufhalten würden, zu denen dicht besiedelte Viertel der Altstadt zählen. Nach Schätzungen aus Kreisen der Opposition könnten es auch doppelt so viele sein. Die Beobachtungsstelle hat den Tod von 341 Zivilisten im Rebellengebiet dokumentiert, die tatsächliche Zahl der Opfer dürfte aber weit höher liegen. Viele Leichen sind noch unter den Trümmern eingestürzter Gebäude begraben.

Die Zivilschutzorganisation Weißhelme sprach von 600 Toten. Durch Beschuss, maßgeblich mit Mörsergranaten, aus den Rebellengebieten sind im gleichen Zeitraum mindestens 81 Zivilisten im Westen von Aleppo getötet worden. Die Regierung in Moskau warf den Rebellen vor, ein russisches Feldlazarett mit einer Granate getroffen zu haben. Dabei seien zwei Ärztinnen der Armee sowie mehrere syrische Zivilisten getötet worden.

Rebellen-Gruppen aus Aleppo haben in den vergangenen Tagen, vermittelt über den türkischen Geheimdienst, Gespräche mit Russland geführt, an denen die USA nicht beteiligt waren - ein Zeichen für Washingtons schwindenden Einfluss in Syrien. Teilnehmer berichteten, dabei sei es um den Abzug der Kämpfer der als terroristisch eingestuften Gruppe Jabhat Fateh al-Scham aus Aleppo gegangen, der einstigen Nusra-Front. Fortschritte gab es nicht. Versuche der lokalen Räte, mit dem Regime zu verhandeln, blieben ebenfalls ohne Erfolg.

Nach den Worten von Russlands Außenminister Sergej Lawrow hätten am Dienstag in Lausanne Gespräche zwischen den USA und Russland beginnen sollen; die USA hätten ihre Teilnahme jedoch kurzfristig abgesagt mit der Begründung, noch Dokumente überarbeiten zu müssen. Eine Bestätigung des Treffens aus Washington hatte es nicht gegeben.

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Klar war aber, dass es dabei nur um den Abzug aller Rebellen und die Übernahme der Stadt durch die Regierung gehen würde, wie dies zuvor schon etliche Male bei lokalen Waffenstillständen der Fall war, de facto Kapitulationen der Rebellen, denen freier Abzug gewährt wurde. Vertreter islamistischer Rebellen-Gruppen hatten jedoch wiederholt deutlich gemacht, dass sie nicht bereit seien, die Stadt kampflos aufzugeben. Für sie wäre das die schwerste in einer Serie von Niederlagen, für das Assad-Regime und den russischen Präsidenten Wladimir Putin ein zumindest symbolisch bedeutender Erfolg.

Erst Anfang der Woche hatten Russland und China einen Waffenstillstand blockiert

Russland und China hatten in der Nacht zum Dienstag mit ihrem Veto im UN-Sicherheitsrat einen Resolutionsentwurf für eine siebentägige Waffenruhe in Aleppo blockiert. Er war von Ägypten, Neuseeland und Spanien eingebracht worden und forderte ungehinderten Zugang für Hilfslieferungen der UN.

Die syrische Regierung teilte mit, sie werde einer Feuerpause nur zustimmen, wenn alle Aufständischen abziehen; anders lautende Vereinbarungen anderer Parteien werde sie nicht akzeptieren - eine klare Anspielung auf mögliche Gespräche zwischen Russland und den USA. Lawrow machte sich diese Haltung am Dienstag zu eigen und sagte, die Rebellen im Osten Aleppos stünden vor der Wahl, die Stadt zu verlassen oder ausgelöscht zu werden. "Es gibt keinen anderen Weg", sagte er.

Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierte auf dem CDU-Parteitag, wenn ein Freihandelsabkommen mit den USA Hunderttausende in Deutschland auf die Straße bringe, aber "die so grausamen Bombardierungen auf Aleppo so gut wie keinen öffentlichen Protest auslösen, dann stimmt irgendwas mit den politischen Maßstäben nicht mehr". Zehn westliche und arabische Staaten wollen am Samstag in Paris auf Einladung von Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault beraten. Er sagte, Frankreich, Deutschland und andere europäische Staaten müssten das Thema zurück auf den Verhandlungstisch bringen.

Während auch in Paris der Fokus auf Aleppo liegen wird, setzen regierungstreue Kräfte - maßgeblich schiitische Milizen aus dem Irak, aus Libanon und iranische Revolutionsgardisten - mit Unterstützung der russischen Luftwaffe Offensiven gegen andere Rebellengebiete in Syrien fort, maßgeblich in der südwestlich von Aleppo gelegenen Provinz Idlib. Sie ist die wichtigste noch verbliebene Bastion der Rebellen.

Islamistische Gruppen dominieren dort, die terroristische Fateh al-Scham ist stellenweise stark vertreten. Bei Luftangriffen in der Region starben in den vergangenen Tagen mehr als 70 Menschen; die Zahl der Todesopfer seit Beginn der Offensive stieg damit auf über 300. Kürzlich waren Tausende Rebellen und Zivilisten aus einem Vorort von Damaskus nach Idlib abgezogen; auch Rebellen aus Aleppo sollten dorthin gehen. Luftangriffe gab es auch bei Homs, im Umland von Damaskus und im Süden Syriens.

© SZ vom 07.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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