Südkorea:Oppositionsführer zur Verhaftung freigegeben

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Die Abstimmung am Donnerstag im südkoreanischen Kabinett war ein Einschnitt für die Politik des Landes. (Foto: Ahn Young-joon/AP)

Die Demokratische Partei stimmt überraschend gegen ihren eigenen Chef Lee Jae-myung. Der Haftantrag der Staatsanwaltschaft wegen Korruption bleibt also bestehen. Das muss nichts Schlechtes heißen für Südkoreas Demokratie.

Von Thomas Hahn, Cairns

Bevor das Parlament in Seoul den Oppositionsführer Lee Jae-myung zur Verhaftung freigab, sprach Südkoreas Justizminister. Han Dong-hoon erklärte, warum die Staatsanwaltschaft schon wieder einen Haftbefehl gegen Lee Jae-myung erlassen hatte. Warum das Parlament also schon zum zweiten Mal in diesem Jahr über den Antrag abstimmen musste, die Immunität des Abgeordneten Lee aufzuheben, um dessen Verhaftung möglich zu machen. Das Plenum wurde laut, als Han sprach. Er musste seine Rede unterbrechen. Lees Anhänger aus der Demokratischen Partei (DP) waren empört wegen der Korruptionsvorwürfe gegen ihren Anführer im Zusammenhang mit einem Landerschließungsprojekt und illegalen Bargeldtransfers nach Nordkorea.

Aber dann fand die Abstimmung statt, ruhig und gesittet. Und als auf dem großen Bildschirm das Ergebnis aufleuchtete, wurde aus der Wut der Lee-Freunde wortlose Betroffenheit. Denn da stand die böse Überraschung: Ja für den Haftantrag gegen Lee Jae-myung mit 149 zu 136 Stimmen bei sechs Enthaltungen und vier ungültigen Stimmen - obwohl die DP mit 167 Sitzen die Mehrheit im 297-köpfigen Parlament hat. Es hatten also Dutzende Parteifreunde gegen den Chef gestimmt. "Wir stehen unter Schock", sagte DP-Sprecherin Lee So-young.

Dem Premier wird ein schlecht organisiertes Pfadfindertreffen vorgeworfen

Der Donnerstag war für Südkoreas Demokratie ein historischer Tag, der viel erzählte über die erbitterten politischen Grabenkämpfe im Land. Vor dem Votum für den Haftbefehl gegen Lee Jae-myung stimmte das Parlament nämlich auch mit 175 zu 116 Stimmen für die Entlassung von Premierminister Han Duck-soo. Der Premierminister ist in Südkorea der stellvertretende Regierungschef und hat die Aufsicht über die Ministerien. Die Opposition wirft Han Inkompetenz in diversen Fällen vor, unter anderem wegen des schlecht organisierten Welt-Pfadfindertreffens in Saemangeum. Einen Entlassungsantrag gegen den Premierminister gab es in Südkorea noch nie. Trotzdem konnte Han die Niederlage verkraften. Präsident Yoon Suk-yeol wird dem Antrag sicher nicht folgen.

Die Abstimmung gegen Lee Jae-myung ist dagegen ein Einschnitt - vielleicht sogar einer, der wieder etwas mehr Vernunft in die Krawall-Atmosphäre der südkoreanischen Politik bringt. Denn der DP-Chef Lee, 58, ein Populist mit linksnationalistischen Tendenzen, ist in seiner eigenen Partei umstritten. Das war er im Grunde schon, als er die Präsidentschaftskandidatur für die Wahl gegen Yoon Suk-yeol im März 2022 eroberte. Und als Lee nach einem schmutzigen Wahlkampf knapp verloren hatte, waren viele in der DP nicht begeistert davon, dass er trotzdem an die Parteispitze rückte. Zumal es damals schon den Verdacht gab, dass Lee in seiner Zeit als Bürgermeister von Seongnam privaten Partnern Gewinne ermöglicht habe, die zulasten der Stadt gingen.

Im Februar stellte die Staatsanwaltschaft wegen dieses und anderer Vorwürfe den ersten Haftantrag. Lee beteuerte seine Unschuld und das Parlament stimmte für ihn - allerdings knapper, als es zur deutlichen DP-Mehrheit passte. Seither hat Lee es nicht geschafft, sich in einen besonnenen Gegenspieler des konservativen Hardliners Yoon zu verwandeln. Und auch die Korruptionsvorwürfe blieben.

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Lee stellt sie als politische Kampagne dar. Erst kürzlich warf er Yoon wieder vor, eine "Diktatur der Staatsanwälte" anzuführen. Tatsächlich wird unter dem Ex-Staatsanwalt Yoon auffällig oft gegen DP-Mitglieder oder Mitglieder der vorigen DP-Regierung ermittelt. Aber gerade beim lärmenden Lee sind sich viele nicht so sicher, ob die Vorwürfe nicht doch stimmen. Und die Zweifel sind nicht geringer geworden, seit Lee Jae-myung zum letzten Mittel des politischen Protests gegriffen hat. Seit 31. August befindet er sich im Hungerstreik. Wirklich wegen Yoons Politik, wie Lee sagt? Oder weil er von den Vorwürfen ablenken will?

Mittlerweile ist Lee Jae-myung jedenfalls so geschwächt, dass er im Krankenhaus liegt. Bei der Abstimmung am Donnerstag fehlte er. Wie es weitergeht, ist unklar. Ob Lee wirklich in Untersuchungshaft muss, entscheidet das Gericht nach einer Anhörung. Aber kann man dem hungernden DP-Chef einen solchen Termin zumuten? Wichtig ist ja erst mal, dass Lee Jae-myung seine eigene Proteststrategie überlebt.

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