Aufstand der Opposition:Trägt die EU eine Mitverantwortung an der Lage im Sudan?

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Der Rauch von brennenden Reifen in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Die Reifen wurden von den Demonstranten als Barrikaden für ihre Proteste errichtet und angezündet. (Foto: Reuters)
  • Wochenlang haben Demonstranten im Sudan mit dem Militär verhandelt, bis dieses die Aufstände brutal niedergeschlug.
  • Die Oppositionellen wollen trotzdem weitermachen - auch wenn sie bisher kaum Hilfe aus dem Ausland bekommen.
  • Menschenrechtler kritisieren schon länger die Rolle der EU im Sudan.

Von Bernd Dörries

Vor einem Monat saß Islam Yousef auf den Gleisen einer Eisenbahnstrecke, die noch warm waren von der Hitze des Tages. Sie schaute auf die Zelte des Protestcamps unter ihr, auf die Zehn- oder Hunderttausende Demonstranten, die seit Wochen vor dem Armeehauptquartier in der sudanesischen Hauptstadt Khartum campierten. "Früher waren wir vor allem als Frauen mit unserem Protest am Rande der Gesellschaft, nun sind wir plötzlich in der Mitte", sagte Yousef damals der SZ. Es waren Tage des Aufbruchs damals, das ganze Land schien verändert, bereit für eine neue Zeit nach drei Jahrzehnten Diktatur.

Einen Monat später ist das Protestcamp verschwunden, liegen nur noch die Reste von ein paar Zelten herum, verkohlt vom Feuer, das die Soldaten legten. "Drei meiner Freunde sind verletzt, einer ist tot", erzählt Islam Yousef am Telefon aus dem Sudan. Sie ist vor den Milizen des Regimes aus der Hauptstadt zu Verwandten geflohen, weil Khartum nicht mehr sicher ist für Aktivisten wie sie. Yousef ist Rechtsanwältin und Mitorganisatorin der Proteste, die Ende 2018 begannen und dazu führten, dass Sudans Langzeitdiktator Omar al-Baschir im April nach dreißig Jahren an der Macht aus dem Amt gejagt wurde.

Viele Wochen lang verhandelten die Demonstranten mit dem Militär dann über eine neue Übergangsregierung und den Zeitpunkt für freie Wahlen - am Montag vor einer Woche entschieden die Generäle, dass sie keine Lust mehr haben auf Verhandeln und Demokratie. Das Camp wurde niedergebrannt, Demonstrantinnen und Demonstranten wurden ermordet und vergewaltigt, mindestens 130 Menschen starben. Manche sprangen vor Angst in den Nil, manche wurden von den Soldaten hineingeworfen.

Es gibt keine Anzeichen, dass der Konflikt in einen Bürgerkrieg münden könnte

"Wir wissen noch nicht, wie es jetzt weitergeht", sagt Islam Yousef am Telefon, das Regime habe das Internet gekappt, sie habe den Kontakt zu vielen Mitstreitern verloren. Das Oppositionsbündnis hat am Wochenende zu einem landesweiten Generalstreik aufgerufen, keiner solle zur Arbeit erscheinen, das Land zum Stillstand gebracht werden. Die Straßen in Khartum waren am Sonntag nach Angaben von Augenzeugen leer, nur vereinzelt Autos zu sehen. In manchen Stadtteilen bauten Demonstranten neue Barrikaden, in anderen waren offenbar Schüsse zu hören.

"Die Revolution wird weitergehen. Wir haben keine andere Option, als weiterzumachen. Wir haben angefangen, wir werden es beenden", sagt Islam Yousef. Aber nicht um jeden Preis. Anders als in Libyen oder Syrien, gibt es im Sudan derzeit keine Anzeichen, dass der Konflikt in einen Bürgerkrieg münden könnte. Die Gewalt geht vom Militär und paramilitärischen Milizen aus, die Opposition will mit friedlichen Protesten antworten. Sie fordert eine Übergangsregierung aus Technokraten und freie Wahlen in drei Jahren. So lange brauche man, um nach Jahrzehnten der Diktatur eigene Parteien aufzubauen und eine freie Presselandschaft. Und Politiker, die bisher nicht Teil des Regimes waren.

Es ist eine Lehre aus der eigenen Geschichte. 1985 wurde im Sudan schon einmal ein Diktator gestürzt, nach nur einem Jahr gab es Wahlen - die aber wieder Vertreter der alten Elite an die Macht brachten. Das soll sich nicht wiederholen.

Das Militärregime dagegen will möglichst schnell wählen lassen, sich selbst und die korrupte Elite an der Macht bestätigen lassen, um jeden Preis. In einem wirklich freien Sudan würde den Generälen und ihrer Clique Strafverfolgung drohen - wegen Korruption, wegen des Völkermords in Darfur und anderer Verbrechen. "Sie gehören alle vor Gericht gestellt", sagt ein Aktivist. Viel Hilfe von außen dürfen die Demonstranten dabei nicht erwarten.

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Am Wochenende kam zwar Äthiopiens Regierungschef Abiy Ahmed nach Khartum, um mit dem Militär und der Opposition zu verhandeln. Die Armee müsse "die Sicherheit des Landes und seiner Bevölkerung gewährleisten", sagte Abiy. Als er wieder weg war, ließ die Armee zwei Oppositionelle verhaften, die an den Gesprächen teilgenommen hatten. Der internationale Protest hielt sich in Grenzen, so wie der Aufschrei nach dem Massaker an den Demonstranten ebenfalls überschaubar blieb.

Wie denn das Ausland reagiere, fragen viele Oppositionelle im Sudan, die vom Internet abgeschnitten sind. Die Bewegung könne von außen keine Hilfe erwarten, sagt ein anderer Aktivist: "Wir sind allein."

Außenminister Heiko Maas hat sich nach einer knappen Woche "besorgt" zur Lage im Sudan geäußert. Ein Sprecher der Bundesregierung hatte die Gewalt am Montag verurteilt und gesagt: "Wir rufen die Verhandlungspartner dazu auf, Eskalationen zu vermeiden und an den Verhandlungstisch zurückzukehren." Es klang so, als hätte die Opposition eine Mitschuld an der Gewalt der Milizen. Sind das die passenden Worte, wenn ein Regime Menschen in Zelten verbrennt und Frauen vergewaltigt? Ansonsten schweigt man in Berlin weitgehend.

Der einstige Pariastaat Sudan ist inzwischen Partner der EU: Damit die Grenzen dicht bleiben

Menschenrechtler kritisieren schon länger, dass die EU im Sudan den Pakt mit dem Teufel eingegangen sei, dass sie nicht an einer Demokratisierung des Landes interessiert sei, sondern nur daran, dass keine Flüchtlinge mehr den Sudan in Richtung Libyen durchqueren, eine der wichtigsten Routen nach Europa.

In den vergangenen Jahren hat die EU mehrere Hundert Millionen Euro in den Sudan geleitet, als Teil ihrer Strategie, die Migrationsströme schon weiter vor Europas Grenzen aufzuhalten. Für den Sudan bedeutete das eine willkommene Haltungsänderung: Aus dem Pariastaat, der für Völkermord und schlimmste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war, wurde ein gefragter Partner im Kampf gegen Migration. Die Millionen aus Europa sollten dabei helfen, Ausbildung und Ausrüstung der sudanesischen Grenztruppen zu verbessern. "Die Geräte, die dabei helfen, Flüchtlinge zu identifizieren und zu registrieren, werden auch die Überwachungsmöglichkeiten einer sudanesischen Regierung stärken, die seit vielen Jahren die Bevölkerung mit Gewalt unterdrückt", schreibt der Afrika-Experte Suliman Baldo in der Studie "Grenzkontrolle aus der Hölle".

An der Grenze des Sudan nach Libyen patrouilliert seit Jahren vor allem die paramilitärische Miliz "Rapid Support Forces" (RSF), die einerseits selbst Flüchtlinge schmuggelt, andererseits im Auftrag der Regierung auch Grenzübertritte verhindern soll. Letztlich macht sie im Einzelfall wohl einfach das, was mehr Gewinn verspricht.

"Die EU verliert im Kampf gegen Migration Millionen, deshalb muss sie uns unterstützen", prahlte der RSF-Milizenführer Mohamed Hamdan Dagalo, genannt "Hemeti", im Jahr 2017. Mittlerweile ist er der tonangebende Mann des Regimes, der am Montag seine "Rapid Support Forces" mindestens 130 Demonstranten ermorden ließ. Die Frage nach der Mitverantwortung wurde in Europas Hauptstädten bisher nicht gestellt.

© SZ vom 11.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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