Studentenrevolte 1967/68:Als Polizisten Pflastersteine warfen

Am 2. Juni 1967 wurde Benno Ohnesorg erschossen - kurz zuvor fotografierte ihn Uwe Dannenbaum. In einem Bildband zeigt der Journalist kaum bekannte Fotos der Studentenproteste.

Von Barbara Galaktionow

Benno Ohnesorg - kurz vor seinem Tod

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(Foto: Uwe Dannenbaum: Berlin 1968, Jaron Verlag GmbH Berlin)

Am 2. Juni 1967 wurde Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien in Berlin erschossen. Der Tod des Studenten gilt als der Moment, von dem ab sich die Studentenbewegung radikalisierte. Uwe Dannenbaum, damals Volontär bei dem Boulevardblatt B.Z., hat diese Zeit des Umbruchs begleitet - journalistisch, aber auch fotografisch. Wir zeigen einige seiner Bilder, die zuletzt in dem Buch "Berlin 1968. Die Studentenrevolte in Bildern" (Jaron Verlag 2015) erschienen sind. So machte Dannenbaum womöglich das letzte Foto, auf dem der Student Ohnesorg lebend zu sehen ist. Er berichtet, wie es dazu kam: Demonstranten hatten sich in einen Hinterhof in der Berliner Krumme Straße geflüchtet. Auch Polizisten drängten in den Hof. "Demonstranten mit Schirmen, Polizisten mit Gummiknüppeln, es kam zu Handgreiflichkeiten", schildert Dannenbaum das Geschehen. In dieser Situation drückte er auf den Auslöser - und es entstand dieses Foto von Ohnesorg hinter einer Teppichstange.

Benno Ohnesorg - tödlich getroffen

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(Foto: Uwe Dannenbaum: Berlin 1968, Jaron Verlag GmbH Berlin)

"Sekunden später war ein Knall zu hören - und dann plötzlich lag Ohnesorg da auf dem Boden, eine Frau über ihn gebeugt", erinnert sich Dannenbaum weiter. "Ich habe erst mal gedacht, der Demonstrant ist bewusstlos." Von dieser Szene kursieren zwei nahezu gleiche Aufnahmen: Der junge Polizeireporter Dannenbaum und Fotograf Jürgen Henschel standen nebeneinander und drückten "mit einem Abstand von Sekundenbruchteilen" auf den Auslöser. War Dannenbaum damals bewusst, was für einen dramatischen Moment er ablichtete? "Nein, überhaupt nicht, das war nicht abzuschätzen." Erst Jahrzehnte später stellte sich zudem heraus, dass Polizist Karl-Heinz Kurras, der mit seinem tödlichen Schuss auf Ohnesorg die Studentenunruhen anheizte, ein Agent der Stasi war. "Es ist für mich als Journalist immer ein Lehrstück geblieben, dass subjektive Eindrücke solcher Ereignisse sicher sehr wichtig sind, dass man im Nachhinein aber doch versuchen muss, die Ereignisse im Ganzen zu erfassen", sagt dazu Dannenbaum.

Rudi Dutschke auf dem Kurfürstendamm

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(Foto: Uwe Dannenbaum: Berlin 1968, Jaron Verlag GmbH Berlin)

Rudi Dutschke (vorne) führt am 18. Februar 1968 eine der größten Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg an, neben ihm läuft Publizist Gaston Salvatore. Uwe Dannenbaum hat die Auftritte des Wortführers der Studenten oft miterlebt. "Dutschke hatte ein ganz eigenartiges Charisma", erinnert sich der Journalist, "er war ein brillianter Rhetoriker, er ging auf Inhalte ein, formulierte Ziele, schlug Pflöcke ein - und riss die Studierenden mit." Die Stimmung bei den Dutschke-Ansprachen sei explosiv gewesen.

Straßenunruhen auf dem Kurfürstendamm

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(Foto: Uwe Dannenbaum: Berlin 1968, Jaron Verlag GmbH Berlin)

Diese Aufnahme machte Dannenbaum im Februar 1968 vom Café Kranzler aus, an der Ecke Kurfürstendamm/Joachimsthaler Straße. Wie viele seiner Fotos, so strahlt auch dieses eine große Dynamik aus. Die Proteste seien etwas Neues gewesen, mit dem beide Seiten nicht umgehen konnten, sagt er: "Wenn heute eine Demo in Kreuzberg zum 1. Mai stattfindet - dann ist das Routine, fast Alltag. Das war damals nicht so. Das sehen Sie auch an den Bildern. Da prallten Emotionen aufeinander."

Auf Beobachterposten

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(Foto: Uwe Dannenbaum: Berlin 1968, Jaron Verlag GmbH Berlin)

Weite Teile der Bevölkerung reagierten 1968 mit Unverständnis auf die tumultartigen Szenen, die sich ihnen während der Demonstrationen boten - wie diese beiden Frauen. Gerade die älteren West-Berliner waren den USA oft überaus dankbar für deren Agieren nach dem Zweiten Weltkrieg und konnten Proteste gegen den Vietnamkrieg nicht nachvollziehen. "Die standen wirklich mit offenem Munde am Rand und verstanden die Welt nicht mehr, warum Front gegen die Amerikaner gemacht wird", beschreibt Dannenbaum die Situation.

Protest für Fritz Teufel

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(Foto: Uwe Dannenbaum: Berlin 1968, Jaron Verlag GmbH Berlin)

Die Erregung der Studenten - über den Vietnamkrieg, die verkrustete deutsche Nachkriegsgesellschaft, den verstaubten Lehrkörper an den Hochschulen - stieß, so schildert es Dannenbaum, gar nicht einmal so sehr auf Ablehnung als auf Verwunderung. Als im November 1967 Demonstranten vor dem Kriminalgericht in Moabit die Freilassung des Aktivisten Fritz Teufel aus Untersuchungshaft fordern, beobachtet eine adrett gekleidete Mutter mit Kind das Geschehen von ihrem Fenster aus. "Das Foto drückt die Ratlosigkeit der Berliner aus", sagt Fotograf Dannenbaum. Hier werde sichtbar, dass die Proteste bei Unbeteiligten "erst einmal ein großes Fragezeichen hinterließen".

Im Dienst wie anno dazumal

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(Foto: Uwe Dannenbaum: Berlin 1968, Jaron Verlag GmbH Berlin)

Auch die Polizei war überhaupt nicht auf die schnell sehr massiv werdenden Proteste eingestellt, weder mental, noch was die Ausrüstung anging. Noch im November 1968 führen Polizisten bei der berüchtigten Schlacht am Tegeler Weg mit Gasmasken und preußischem Tschako, der Kopfbedeckung der Beamten seit 1918, einen Demonstranten ab - ein Bild mit geradezu surrealistischen Zügen. "Für mich ist das eine Art Symbolfoto, das zeigt, wie unvorbereitet die Berliner Polizei auf die Studentenproteste war. So sieht ja kein moderner Polizist aus", stellt Fotograf Dannenbaum fest.

Schutzschild Regenschirm

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(Foto: Uwe Dannenbaum: Berlin 1968, Jaron Verlag GmbH Berlin)

Im Einsatz gegen die Demonstranten zeigte sich die Berliner Polizei von Anfang an nicht zimperlich. Wirklich neu war damals der massive Einsatz von Wasserwerfern, berichtet Dannenbaum. Die Polizei sei damals "etwas hochgerüstet" gewesen, falls es mal Konflikte mit dem Osten geben sollte. Das Schirmchen der Demonstranten schützt sie am Ostersonntag 1968 auf dem Kurfürstendamm nur unzureichend gegen den heftigen Wasserstrahl . Doch auch die Studenten hatten sich nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April weiter radikalisiert - bei der Demo kurz danach kam es zu massiven Auseinandersetzungen.

Demonstrant wirft mit Steinen bei der Schlacht am Tegeler Weg

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(Foto: Uwe Dannenbaum: Berlin 1968, Jaron Verlag GmbH Berlin)

Ein Demonstrant schleudert einen Stein in Richtung Staatsmacht: Am 4. November 1968 eskaliert die Lage vollends. Ein Ehrengericht der Berliner Anwaltschaft berät an diesem Tag über den Ausschluss von Horst Mahler, heute Rechtsextremist, damals jedoch noch einer der bekanntesten Juristen der Außerparlamentarischen Opposition, aus der Anwaltschaft. Bei Protesten dagegen kommt es zur sogenannten Schlacht am Tegeler Weg, einer brutalen Steinschlacht zwischen Demonstranten und Polizisten. "Damals haben die 68er ihre Unschuld verloren", sagt Dannenbaum. Sei zuvor noch diskutiert worden über den Unterschied zwischen "Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Menschen", so sei das an diesem Tag völlig über Bord geworfen worden.

Die Polizei schlägt zurück

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(Foto: Uwe Dannenbaum: Berlin 1968, Jaron Verlag GmbH Berlin)

Doch auch viele Polizeibeamten verlieren an diesem Tag völlig die Kontrolle und schmettern ihrerseits Steine auf die Protestierenden, wie auf diesem Foto zu sehen ist. Dannenbaum spricht von "regelrechten Steinschlachten". "Die Polizisten handelten oft genauso unüberlegt wie die Demonstranten, reagierten zornig auf deren Steinwürfe und hielten dann auch entsprechend drauf", schildert der damalige Reporter seine Beobachtungen von der Schlacht am Tegeler Weg. "Das wäre heutzutage undenkbar, das wäre skandalös." Die Polizisten seien damals nicht auf eine solche Form der Auseinandersetzung vorbereitet gewesen.

Schlachtfeld Tegeler Weg

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(Foto: Uwe Dannenbaum: Berlin 1968, Jaron Verlag GmbH Berlin)

Zurück bleibt ein Schlachtfeld. Hunderte, Tausende Pflastersteine liegen auf dem Asphalt. Dass es zur Steinschlacht kam, ist Dannenbaum zufolge übrigens auch einem Zufall geschuldet. Kurz bevor die Auseinandersetzungen losgingen, sei ein Lastwagen an den Protestierenden vorbeigekommen. "Der war mit Steinen beladen und wurde von den Studenten geplündert. Da haben sie sich munitioniert." "Es ist für mich heute noch ein Wunder, dass es bei der Schlacht am Tegeler Weg keine Toten gegeben hat, sondern 'nur' Verletzte", sagt Dannenbaum. Mehr als 150 Menschen wurden offiziellen Angaben zufolge bei der Auseinandersetzung verletzt, ein großer Teil von ihnen Polizisten.

Polizei modernisiert

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(Foto: Uwe Dannenbaum: Berlin 1968, Jaron Verlag GmbH Berlin)

Erst nach den Auseinandersetzungen am Tegeler Weg wurden die Polizisten dann mit modernen Helmen und neuer Kleidung ausgestattet. Ihre harte Linie gegenüber den Protestierenden blieb allerdings unverändert. Auch das Verhalten gegenüber Journalisten folgte damals noch keinen ethischen Regeln. Der Journalistenverband hätte damals an seine Mitglieder eine Armbinde herausgegeben, ein blaues Band mit Metallschild, erzählt Dannenbaum. Das hätte einen als neutralen Beobachter markieren sollen. Doch schnell stellte sich heraus, dass Journalisten die Kennzeichnung lieber zu Hause ließen. "Denn die war ein großer Nachteil, wir kriegten von allen Seiten eins auf die Mütze, weil alle sich von uns schlecht behandelt fühlten - Polizisten wie Demonstranten."

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