Deutschland wird sich in der kommenden Woche bei der Abstimmung über Genmais in Brüssel enthalten. Das zumindest teilte das Landwirtschaftsministerium SZ.de mit. Zwar hat sich Hans-Peter Friedrich (CSU) als zuständiger Minister gegen die Zulassung der Maissorte 1507 ausgesprochen, die Regierungskoalition aber findet in Sachen Genmais zu keiner gemeinsamen Haltung. Damit bleibt bei der Abstimmung in Brüssel am kommenden Dienstag nur noch die Enthaltung.
Möglicherweise mit weitgehenden Folgen: Findet sich keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen die Zulassung - und davon geht das Landwirtschaftsministerium nach SZ-Informationen aus - geht die Entscheidung zurück an die EU-Kommission. Und die hat in der Vergangenheit schon Zustimmung signalisiert.
Friedrich will sich stattdessen für eine Ausstiegsklausel stark machen, damit die Regionen selbst entscheiden können, ob sie einen zugelassenen Genmais anbauen wollen oder nicht.
Ist es also völlig egal, wie Deutschland stimmt?
Deutschland als Zünglein an der Waage
Nein, sagt die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Ute Vogt. Ihren Informationen zufolge ist auf europäischer Ebene noch gar nichts klar, viele Länder würden sich noch bedeckt halten. Frankreich sei sogar schon an Deutschland herangetreten, um gemeinsam auf EU-Ebene ein Zeichen gegen Gentechnik zu setzen. "Bereits bei früheren Entscheidungen waren wir das Zünglein an der Waage", sagt Vogt.
Das Verfahren im Rat für Allgemeine Angelegenheiten, in dem die Mitgliedstaaten über die Zulassung der Maissorte 1507 abstimmen, ist relativ kompliziert: Es braucht eine qualifizierte Mehrheit. Dafür notwendig sind: eine einfache Mehrheit der Mitgliedstaaten (mindestens 15) sowie eine Mehrheit von 260 der 352 Stimmen. Deutschland hat als bevölkerungsreichstes EU-Land mit 29 Stimmen ein vergleichsweise hohes Gewicht.
Dirk Zimmermann, Gentechnik-Experte von Greenpeace, hält eine deutsche Enthaltung deshalb für ein "fatales Signal", denn: "Es orientieren sich auch andere Länder an der deutschen Entscheidung." Eine Enthaltung komme letztlich einer Zustimmung - durch die EU-Kommission - gleich.
"Es kann nicht sein, dass eine so undurchsichtige Institution über diese Frage entscheidet. Die Länder müssen ihre Verantwortung wahrnehmen", sagt Zimmermann im Gespräch mit SZ.de.
Auch Friedrich werde sich dafür noch rechtfertigen müssen. Und anders als früher kann sich die Union nun nicht mehr damit herausreden, dass die FDP einem Nein zur Gentechnik im Weg stünde.
Ein Bündnis aus Verbraucher- und Umweltinitiativen hat das Vorgehen der Regierung bereits kritisiert. "Die Stimmenthaltung bedeutet de facto ein Ja zum Gentech-Mais 1507", moniert der Zusammenschluss, dem unter anderem die Organisation Campact sowie die IG Saatgut angehören. Die Koalition breche ihr Versprechen.
Grünen-Chefin: Regierung öffnet "Tor für Gentechnik auf deutschen Äckern"
Grünen-Chefin Simone Peter wirft der schwarz-roten Koalition Zynismus vor. "Mit ihrer Enthaltung winkt die Regierung den umstrittenen Genmais 1507 einfach durch", sagt die Politikerin auf Anfrage von SZ.de. Schwarz-Rot öffne damit "still und leise das Tor für Gentechnik auf deutschen Äckern". Die Behauptung, auf die Stimme Deutschlands komme es bei der Abstimmung nicht an, sei "schlicht zynisch".
Auch von der von Friedrich angestrebten Ausnahmeklauseln hält Grünen-Chefin Peter wenig: "Genmais-Pollen machen weder vor Regional- noch vor Landesgrenzen Halt, Ausnahmeklauseln hin oder her." Besonders blamiert hätten sich SPD und CSU.
In der Tat hat die CSU in Sachen Gentechnik eine klare Haltung: Sie will sie nicht auf bayerischen Äckern. Auch die SPD hat sich klar positioniert. So sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) Spiegel Online: "Für die SPD ist klar: Wir lehnen die Zulassung von Genmais ab."
In den Fraktionen, sagt Hendricks' Parteikollegin Vogt, hätte man sich schon einigen können. Aber: "Der entscheidende Problempunkt ist das Kanzleramt." Der Kanzlerin gehe es ums Prinzip: "Sie will keine Blockade bei der grünen Gentechnik."
Damit nimmt Merkel in Kauf, dass künftig eine neue Genmaissorte in der EU zugelassen wird. Ein Mais, mit dem einfach "so gar nichts" stimmt, wie Greenpeace-Experte Zimmermann sagt.
Seit Jahren dringt der US-Konzern Pioneer auf eine Genehmigung seiner Genmaissorte 1507 in Europa. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Bt-Mais: Dieser produziert ein Insektengift, der Mais ist resistent gegen den Maiszünsler, einen weitverbreiteten Schädling.
Befürworter argumentieren, dass sich durch das Gift, das der Mais selbst produziert, das Spritzen erübrigt. Somit würden gezielt und effektiv nur die Schädlinge getötet, die den Mais auch angreifen. Umweltschützer warnen dagegen, dass das Gift bei einer sehr viel größeren Anzahl von Insekten wirken könnte, darunter auch Bienen.
Selbst die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) widerspricht in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2010 der Einschätzung von Pioneer, wonach das Risiko der Maissorte für harmlose Schmetterlinge unerheblich sei. Vielmehr sei eine bestimmte Nachtfalterart sehr wohl bei Kontakt mit dem Pollen der Maissorte gefährdet.
Darüber hinaus wirbt die Firma Pioneer damit, dass der Mais 1507 gegen das Herbizid Glufosinat resistent ist. Das Herbizid ist in Deutschland verboten, das Gift wird als fortpflanzungsgefährdend eingestuft. Die Zulassung innerhalb der EU läuft 2017 aus und wird voraussichtlich auch nicht verlängert. Zimmermann kritisiert, dass dieser Aspekt bei der bisherigen Bewertung der Pflanze überhaupt nicht berücksichtigt wurde. "Möglicherweise holt man sich da nicht nur eine ungewollte, sondern auch noch eine illegale Pflanze auf die Äcker", sagt er.
Noch hofft die SPD-Abgeordnete Vogt, dass sich die Bundesregierung in den verbleibenden Tagen doch zu einem gemeinsamen Nein durchringt. Anderswo hat man schon zu einer gemeinsamen Haltung gefunden: im Europäischen Parlament. Die Abgeordneten sprechen sich in einer Entschließung gegen die Zulassung des Genmaises aus.
Allerdings hat das Europäische Parlament in dem Verfahren nichts zu sagen.