Großbritannien:Sunak will Streikrecht einschränken

Lesezeit: 3 min

Eisenbahnarbeiter streiken weiter am 4. Januar 2023: Eine Frau mit Hund sitzt auf dem Bahnsteig Euston in London fest. (Foto: Peter Nicholls/Reuters)

Der britische Premier hat Gewerkschaften den Kampf angesagt. Mit einem neuen Gesetz will er die größte Streikwelle seit Jahrzehnten brechen. Aber finden das viele Briten auch gut?

Von Alexander Mühlauer, London

Es ist gerade mal ein paar Tage her, da erklärte Rishi Sunak, seine Tür stehe den Gewerkschaften immer offen. Er sei bereit, über deren Lohnforderungen zu sprechen, sagte der britische Premier in seiner Neujahrsrede am Mittwoch. Besonders lang dauerte die Politik der offenen Tür nicht. Nur einen Tag später ließ Sunak ein neues Gesetz ankündigen, mit der die Regierung das Streikrecht deutlich einschränken will.

Großbritannien erlebt in diesem Winter die größte Streikwelle seit den Achtzigerjahren. Krankenschwestern und Pfleger, Angestellte von Post und Bahn, Grenzschützer und Sanitäter sind in den Arbeitskampf gezogen. Sie fordern höhere Löhne, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten in den Griff zu bekommen. Die Inflationsrate liegt in Großbritannien bei gut zehn Prozent.

Viele Briten sehen Schuld für die Streiks bei der Regierung

Ein Ende der Arbeitskämpfe ist bislang nicht in Sicht. Im Januar gibt es keinen Tag, an dem nicht irgendwelche Streiks angekündigt sind. Sunak gerät dabei immer stärker unter Druck. Viele Britinnen und Briten machen nämlich die Regierung für das Chaos verantwortlich, vor allem im staatlichen Gesundheitsdienst NHS. Laut einer Yougov-Umfrage hat die Mehrheit der Befragten nicht nur ein Verständnis für die Anliegen von Pflegern und Krankenschwestern, sie sieht die Hauptschuld für die Streiks ganz klar bei der Regierung.

Sunak hat nun Wirtschaftsminister Grant Shapps beauftragt, so bald wie möglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, um das Streikrecht einzuschränken. "Die Regierung muss das Streikrecht schützen, aber auch Leben und Existenzgrundlagen", sagte Shapps. Man hoffe zwar auf einvernehmliche Lösungen, werde aber sogenannte "minimum safety levels" einführen. Diese Mindeststandards sollen gewährleisten, dass es in wichtigen Bereichen wie etwa dem Gesundheitsdienst, der Feuerwehr oder im Bahnverkehr eine Art Grundversorgung gibt.

Wie das genau funktionieren soll, ist noch offen. Laut Financial Times sollen Arbeitgeber eine Zahl von Angestellten festlegen, die benötigt wird, um während eines Streiks ein Mindestniveau an Dienstleistung sicherzustellen. Wenn betroffene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trotzdem streiken, könnte sogar der Kündigungsschutz gelockert werden.

"Falsch und undurchführbar"

Kein Wunder, dass die Gewerkschaften alarmiert sind. Paul Nowak, der Generalsekretär des Trades Union Congress, bezeichnete das Vorhaben der Regierung als "falsch und undurchführbar". Es sei "mit ziemlicher Sicherheit gesetzeswidrig", Menschen zur Arbeit zu zwingen, wenn sie für einen Streik gestimmt haben. Nowak erklärte, dass er jeden Schritt der Regierung in diese Richtung bekämpfen werde.

Ebenso deutlich äußerte sich der Generalsekretär der Feuerwehr-Gewerkschaft, Matt Wrack: "Die Tories sind offensichtlich wild entschlossen, die Gewerkschaften mit diesem drohenden Angriff auf das Streikrecht zu kriminalisieren und zu schikanieren." Die General Trade Union (GMB), die auch Angestellte im staatlichen Gesundheitsdienst vertritt, sieht in dem Gesetzesvorhaben die "Verzweiflungstat" einer Regierung, die "alles versucht, um von dem Chaos abzulenken, das sie angerichtet hat".

Auch von oppositionellen Labour Party kommt Kritik. Labour-Chef Keir Starmer sprach sich klar gegen das geplante Gesetz der Regierung aus. Sollte es tatsächlich in Kraft treten, werde er das Gesetz im Fall eines Labour-Wahlsiegs wieder abschaffen. In Großbritannien wird im kommenden Jahr ein neues Parlament gewählt. Derzeit liegt Labour laut Umfragen deutlich vor den Tories.

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In der Bevölkerung fällt das Verständnis für die Streiks je nach Branche unterschiedlich aus. Laut Umfragen unterstützen die Britinnen und Briten mehrheitlich die Anliegen von Pflegern und Krankenschwestern. Dass hingegen Grenzschützer und Polizistinnen die Arbeit niederlegen, stößt auf weitaus weniger Zustimmung.

Politisch hat Sunak vor allem ein Problem: den unterfinanzierten staatlichen Gesundheitsdienst NHS. Gerade im Winter offenbart sich der teils katastrophale Zustand des Gesundheitssystems. Der Präsident des Verbands britischer Notfallmediziner, des Royal College of Emergency Medicine (RCEM), warnte bereits davor, dass aufgrund der schlechten Versorgungskapazitäten in der Notfallmedizin bis zu 500 Menschen pro Woche sterben könnten.

Die Lage ist schon jetzt äußerst angespannt. In diesem Winter gibt es überdurchschnittlich viele Influenza-Fälle, die in Krankenhäusern behandelt werden müssen. Auch die Zahl von Corona-Patienten in Kliniken steigt wieder an. Vor vielen Notaufnahmen stehen Rettungswagen Schlange, weil die Patienten nicht umgehend aufgenommen werden können.

Laut RCEM sind die Wartezeiten in diesem Winter so lange wie noch nie zuvor. Allein im November mussten demnach knapp 38 000 Menschen mehr als zwölf Stunden in der Notaufnahme ausharren, bevor sie auf eine Krankenhausstation verlegt wurden - dreieinhalb Mal so viele wie im Vorjahr.

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