Stockender Friedensprozess in Afghanistan:Karsai in der Klingel-Falle

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Afghanistans Präsident Karsai misstraut den Taliban.  (Foto: AFP)

Die USA wollen mit den Taliban verhandeln, doch Afghanistans Präsident Karsai will nicht mehr mitreden. Ein Grund: ihm missfällt ein Klingelschild der Islamisten-Vertretung in Katar. Es ist nicht das einzige Zeichen des Misstrauens zwischen den Parteien.

Von Tobias Matern

Es ist ein neuer Akt aus dem Stück "Szenen einer Ehe", diese Version des Dramas spielt im Kabuler Präsidentenpalast. Die einst stabile, regelrecht herzliche Beziehung zwischen dem Westen und dem afghanischen Staatschef ist längst in Unverständnis, bisweilen auch Verbitterung umgeschlagen. Wenn Hamid Karsai westliche Premierminister und Präsidenten, Verteidigungs- oder Außenminister empfängt, ist er stets ein reizender Gesprächspartner, wie Personen es schildern, die an solchen Begegnungen teilnehmen.

Doch es gibt eine andere Seite an Karsai, die den Westen im Laufe der vergangenen Jahre an den Rande der Verzweiflung getrieben hat. Und der Präsident betont regelmäßig, wie respektlos er sich doch vom Westen behandelt fühle, dass eine vernünftige Beziehung auf Augenhöhe geführt werden müsse - was ihm die US-Regierung verweigere.

Am Mittwoch gab Karsai bekannt, Afghanistan werde sich nicht an den Friedensverhandlungen mit den Taliban in Katar beteiligen - solange es sich nicht um einen vollständig von Afghanen geführten Prozess handelt. Das Signal ist eindeutig: Karsai ist nicht damit einverstanden, dass die Amerikaner in Doha mit den Taliban direkte Gespräche führen, er fühlt sich hintergangen. Aus genau diesem Grund hatte er schon die letzten Anbahnungsversuche der USA und der Taliban abgelehnt.

Um seinen Ärger über die USA zu unterstreichen, legte Karsai auch Gespräche mit den Amerikanern über ein eigentlich dringend benötigtes Truppen-Stationierungsabkommen auf Eis, das den Status der US-Soldaten von 2015 an regeln soll. Zwar endet nächstes Jahr der westliche Kampfeinsatz, aber die Amerikaner wollen weiterhin Militärstützpunkte in Afghanistan betreiben. Dass Karsai dies ausgerechnet in dem Moment aufkündigt, in dem sich die Taliban an anderer Front gesprächsbereit zeigen, schwächt den fragilen Prozess einer Aussöhnung.

Streit ums Klingelschild

Es gebe "einen Widerspruch zwischen dem, was die US-Regierung sagt, und dem, was sie macht", begründete ein Sprecher Karsais der Nachrichtenagentur AFP den Schritt, die Verhandlungen über die weitere militärische Zusammenarbeit mit den Amerikanern auszusetzen. Und beim Thema Gespräche in Doha störe sich Karsai vor allem am Namen, den die Taliban ihrem Büro gegeben haben. Über den Titel "Islamisches Emirat Afghanistan" sei der Präsident "nicht glücklich", hieß es.

US-Außenminister John Kerry telefonierte daraufhin zwei Mal mit Karsai und ließ über seine Sprecherin Jen Psaki erklären, dass dieser zurecht "wütend" sei. Die Aktionen der Taliban seien "unangemessen", so Psaki. Der Washington Post zufolge hat Kerry die Qataris überzeugt, das umstrittene Klingelschild zu entfernen - auf der neuen Plakette steht nun "Politbüro der afghanischen Taliban". Über Karsais Reaktion ist noch nichts bekannt.

Offenbar werden die Amerikaner sich allerdings trotz Karsais Boykott nicht davon abhalten lassen, in Doha die Gespräche mit den Taliban aufzunehmen. Bereits am Mittwoch seien US-Diplomaten in Katar eingetroffen, sie wollen sich so schnell wie möglich mit den Islamisten erstmals treffen. Die Taliban selbst haben einen Zeitpunkt bisher noch nicht genannt.

Beide Regierungen, sowohl Washington als auch Kabul, hatten immer wieder an die Taliban appelliert, sich für Gespräche zu öffnen. Für die USA bieten die Signale der Aufständischen nun die Gelegenheit, eine friedliche Lösung für den Krieg zu finden, den die Supermacht militärisch nicht mehr gewinnen wird. Vertreter der Islamisten in Doha deuteten auch bereits an, einer der "roten Linien", die von den Amerikanern für die Gespräche definiert worden sind, zu akzeptieren: sich von al-Qaida loszusagen.

Offiziell sind die US- und auch die Bundesregierung bemüht, den Konflikt mit Karsai herunterzuspielen. Präsident Barack Obama sagte bei seinem Besuch in Berlin über die Ankündigungen Karsais: "Wir wussten, dass es Spannungen geben würde." Die nun aufgetretenen Probleme seien für ihn daher auch "keine Überraschung". In Afghanistan herrsche großes Misstrauen: "Wir sind mitten im Krieg", sagte er. Trotzdem rief Obama dazu auf, den Prozess der Verständigung zwischen den Konfliktparteien fortzusetzen. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es, allen Beteiligten sei immer klar gewesen, "dass dies ein langer und schwieriger Prozess werden würde".

Hinter vorgehaltener Hand fallen die Urteile über Karsai allerdings längst weniger diplomatisch aus. Erratisch sei der Präsident, unkalkulierbar, sagen Diplomaten dann. Unverschämt sei der Westen, respektlos, erwidert der Geschmähte. Der Westen sei für zahlreiche Probleme in Afghanistan selbst verantwortlich. Bereits in den diplomatischen Depeschen, die auf der Enthüllungsplattform Wikileaks erschienen waren, haben die Amerikaner Karsai als einen Präsidenten beschrieben, mit dem sie eigentlich nicht mehr ernsthaft zusammenarbeiten können.

In einer zwischenmenschlichen Beziehung wären die Zerwürfnisse längst Grund für eine Scheidung gewesen. Dennoch sind die Amerikaner bemüht, in dieser festgefahrenen Situation das Verhältnis zu Karsai wieder einmal zu kitten. Eine Sprecherin des Außenministeriums betonte, die USA würden sich mit der afghanischen Regierung und dem Hohen Friedensrat des Landes über das weitere Vorgehen abstimmen. In jedem Fall sind beide Seiten bis zur Präsidentenwahl in Afghanistan im kommenden Jahr, wenn Karsai nach zwei Amtszeiten laut Verfassung nicht mehr antreten darf, aufeinander angewiesen.

Aber der nun wieder aufgeflammte Streit ist nicht das einzige Problem. Trotz der bevorstehenden Gespräche mit den USA machen die Taliban deutlich, dass sie nach wie vor ihre Anschläge auf die internationalen Truppen und auf afghanische Sicherheitskräfte fortsetzen werden. "Das Islamische Emirat Afghanistans verfolgt politische und militärische Optionen", sagte Mohammed Sohail Shaheen vom Taliban-Verbindungsbüro in Doha am Mittwoch dem Sender al-Dschasira. Es gebe noch längst keinen Waffenstillstand.

Beleg für seine Worte sind zwei Attacken, die von den Aufständischen nach der Ankündigung, für Gespräche in Doha bereit zu sein, verübt worden sind: Bei einem Raketenangriff auf einen Militärstützpunkt starben vier US-Soldaten. Und in der Provinz Helmand, einer Taliban-Hochburg, erschoss ein Kämpfer der Islamisten fünf Polizisten.

© SZ vom 20.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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