Union und SPD wollen es besser machen. Das haben ihre Parteichefs gleich vorneweg vereinbart. In der Woche der Sondierungen soll es keine Zwischenstatements, keine Tweets aus den Sitzungen und auch keine Talkshow-Auftritte geben. Das klingt in Zeiten der unbegrenzten technischen Möglichkeiten ziemlich kleinlich. Tatsächlich ist es ein Indiz dafür, wie ernst die Lage geworden ist. Kein Querschuss, kein Zwischenruf, keine Drohung soll die Bemühungen um eine Koalition konterkarieren.
Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz wissen, dass Tage angebrochen sind, die über ihr politisches Schicksal entscheiden werden.
Bundestagswahl:"Das Vertrauen ist gewachsen"
Nach einem Treffen in Berlin geben sich die Fraktionsvorsitzenden von Union und SPD zuversichtlich für die anstehenden Sondierungsgespräche. Sie sollen am Sonntag beginnen.
Merkel - die Lage ist bedrohlich
Das gilt - auch wenn die CDU noch recht stabil erscheint - zuallererst für die Kanzlerin, die inzwischen mehr als zwölf Jahre im Amt ist. Sie hat vor und nach dem Wahltag am 24. September zwar erklärt, dass sie für vier Jahre angetreten sei. Und daraus leitet sie den Anspruch ab, dass sie auch im Fall von Neuwahlen noch einmal antreten werde. Doch wer sich die Entwicklung der Umfragen seither betrachtet, kann nur eines feststellen: dass die Zweifel an ihr wachsen und die Zustimmung zu ihr bröckelt. Es ist eine schleichende Entwicklung, aber sie hat sich verstetigt, und bis hinauf zu Merkel selbst spüren viele in der CDU, was Zweifel an der Chefin auf Dauer bewirken: Sie durchweichen das Fundament des Hauses, auf dem bislang alles stabil stand.
Jüngste Umfragen wie die des ARD-Deutschlandtrends oder des Meinungsforschungsinstituts Insa weisen aus, dass eine Mehrheit der Deutschen eher für Neuwahlen ist - und dass Merkel im Falle von Neuwahlen nicht mehr antreten sollte. Ebenfalls eine Mehrheit findet, dass sie ihre Arbeit gut gemacht hat, aber ebenso viele plädieren für eine personelle Erneuerung bei den Christdemokraten. Das ist kein Aufruf zum sofortigen Rücktritt. Aber es zeigt, dass Merkel in den kommenden fünf Tagen liefern muss. Sonst müsste sie ein zweites Mal das Scheitern eigener Bemühungen begründen.
Seehofer - ein Parteichef, der ein Amt in Berlin braucht
Nicht besser ist die Lage für CSU-Chef Horst Seehofer. Er hat zwar den Vorteil, dass er nach der angekündigten Machtteilung in der CSU als Partei-Vorsitzender noch einmal bestätigt wurde. Aber das wäre wenig wert, wenn sich damit nicht in Kürze ein Amt in Berlin verbinden würde. Ein Parteivorsitzender, der kein Ministerpräsident mehr ist, braucht Macht in der Hauptstadt. Bekommt er die nicht, dürfte sich auch Seehofers Karriere schnell ihrem Ende zuneigen.
Mit Parteikollege Alexander Dobrindt, einem sehr engen Freund von FDP-Chef Christian Lindner, könnte es schwer werden, die offenen Konflikte mit der SPD so zu schlichten, dass die Sozialdemokraten bei der eigenen Basis aufrecht für eine Neuauflage der Koalition eintreten könnten. Wer die aggressive Rhetorik der CSU bei der Klausur ihrer Bundestagsabgeordneten verfolgt hat, bringt sie kaum mit dem Bemühen zusammen, die SPD noch einmal für ein Bündnis zu gewinnen. Deshalb stellt sich die Frage, ob Seehofer und sein langjähriger Zögling Dobrindt noch an einem Strang ziehen. Die Rollenverteilung "good cop - bad cop" passt kaum in eine Zeit, in der Gewissenhaftigkeit für Politiker eine besondere Tugend sein sollte.
Schulz - der Suchende, der dringend einen Weg benötigt
Ein bisschen anders, aber auch sehr heikel ist die Lage für Martin Schulz, den SPD-Chef. Er weiß möglicherweise bis heute nicht, ob er eher mit einem Nein oder einem Ja zur Koalition sein politisches Überleben sichert.
Eines aber gilt für den Vorsitzenden der Sozialdemokraten ganz sicher: Er braucht sehr gute Gründe, um den Kursschwenk nach seinem anfänglich strikten Nein in ein Ja umzuwandeln. In einem der letzten Interviews vor diesem Sonntag sagte Schulz der Bild-Zeitung, beispielsweise in Steuer- und Gerechtigkeitsfragen werde es "schwer werden". Umso mehr werde die SPD "hart bleiben". Deutlicher kann Schulz nicht machen, dass er sehr um eine klare und sozialdemokratische Linie kämpfen will. Alles andere wäre sowieso zum Scheitern verurteilt. Dass er um seine Not weiß, hat er im Kreis der Parteichefs offenbar schon selbst kundgetan. Die Bild jedenfalls zitierte ihn aus dem Treffen mit der Bemerkung: "Wenn das schief geht, ist meine politische Karriere zu Ende."
Gabriel - akut gefährdet, aber bei den Sondierungen machtlos
Der vierte, über dessen Zukunft in den nächsten Tagen entschieden werden dürfte, heißt Sigmar Gabriel. Der Noch-Außenminister hat das besondere Privileg oder die besondere Qual, dass er wenig bis gar nichts tun kann, um über sein Schicksal mit zu entscheiden. Weil er kein hohes Parteiamt mehr bekleidet, gehört Gabriel nicht der Sondierungsgruppe an. Das dürfte ihn, der immer und überall mitmischen möchte, besonders umtreiben. Das Verrückte nur ist, dass ausgerechnet diese Tatsache ihm am Ende helfen könnte. Aktuell nämlich sind zu viele in der SPD-Spitze wenig begeistert - nicht von seiner Arbeit als Außenminister, sondern von seinen unentwegten Einlassungen, was man wie alles besser machen könnte. Sollte hingegen Ruhe einkehren rund um den umtriebigen Ex-SPD-Chef, bliebe für ihn wenigstens eine Rest-Chance, auch im nächsten Kabinett einen Platz zu erhalten.
Das Trio der Lässigen, die vieles können, aber nichts müssen
Zur gleichen Zeit gibt es in jeder Partei Akteure, die schon fast provozierend gelassen zusehen können, ob es was wird oder am Ende doch scheitert. Da ist Markus Söder, der neue starke Mann bei den Christsozialen. Anders als bei den Jamaika-Verhandlungen sitzt er dieses Mal mit am Tisch. Aber ob sich das produktiv auswirkt oder er sich am Ende nur als zerstörerische Kraft beteiligt, weiß niemand. Vielleicht weiß er es nicht einmal er selber.
Seine Lage ist jedenfalls kompliziert. Jetzt Zugeständnisse an die SPD zu machen, die er spätestens im Frühsommer im Landtagswahlkampf am liebsten verfluchen würde, dürfte ihm schwer fallen. Umgekehrt ausgedrückt: sein Schicksal entscheidet sich nicht in Berlin und nicht in der Groko. Entsprechend brutal wird er darauf achten, sich nicht Fesseln anlegen zu lassen, die ihm seinen angestrebten Kurs erschweren.
Noch unbefangener segelt CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn durch diese Zeiten. Ihm kann so gut wie gar nichts passieren. Kommt eine große Koalition zustande, wird Merkel kaum umhin kommen, den neuen, immer noch jugendlichen Vorzeige-Konservativen zum Minister zu machen. Scheitert die Kanzlerin mit ihren Koalitionsbemühungen, dürfte sein Einfluss in der CDU nur noch größer werden. Gemessen an seinem Ehrgeiz und seinem Selbstbewusstsein würde er sich ohnehin so gut wie alles zutrauen. Deshalb kann es nicht verwundern, dass er sehr gelassen in die nächsten Tage geht.
Andrea Nahles, der Dritten in diesem "Bunde", dürfte es nicht viel anders gehen - auch wenn sie sich ehrlich bemühen wird, eine Koalition zusammen zu bringen. Sie gehört zu den wenigen in der SPD-Führung, die nach dem Scheitern aller Jamaika-Bemühungen nicht jammerte, sondern sich für selbstbewusste Gespräche einsetzte. Und das sagte sie nicht nur hier und da in ein Mikrofon; sie sagte es auch auf dem Juso-Bundeskongress, auf dem die allermeisten eine ganz andere Meinung vertraten.
Gleichwohl steht ihr politisches Schicksal in dieser Woche nicht zur Debatte. Als gewählte Fraktionschefin droht ihr kein Ungemach, sollte es - warum auch immer - für eine Groko nicht reichen. Im Gegenteil könnte sich ihr Einfluss in der SPD im Fall eines Scheiterns noch ausweiten. Nahles ist fast alles in der SPD schon gewesen; und sie hat das wahrscheinlich feinste Netzwerk in einer Partei, die weiß, dass die Zeiten einer Männer-dominierten Partei bald vorbei sein müssen. Sie hat also gute Karten in der Hand, und das in einer Woche, in der es für andere um alles oder nichts geht.