Sportpolitik:Moskaus Trotz: «Uns bringt nichts in Verlegenheit»

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Moskau (dpa) - Wie ein Erdbeben hat dieser Doping-Bericht die einstige Sport-Großmacht Russland erschüttert. 323 Seiten schwerwiegende Anschuldigungen einer Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA - 323 Seiten Alptraum für ein Land, für das internationaler Erfolg als Visitenkarte gilt.

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Moskau (dpa) - Wie ein Erdbeben hat dieser Doping-Bericht die einstige Sport-Großmacht Russland erschüttert. 323 Seiten schwerwiegende Anschuldigungen einer Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA - 323 Seiten Alptraum für ein Land, für das internationaler Erfolg als Visitenkarte gilt.

Der größte Dopingskandal in der Geschichte Russlands treibt Funktionäre und Politiker in Moskau vor sich her. Auch Sportminister Witali Mutko gerät in den Sog des Skandals. „Uns bringt nichts in Verlegenheit“, reagiert Mutko demonstrativ gelassen auf den unerwartet heftigen Bericht der WADA-Kommission vom Montag. Überrascht gibt sich Wadim Selitschjonok, Präsident des russischen Leichtathletikverbandes. „Ich habe nicht erwartet, dass die Ergebnisse so weitreichend und ernst sein würden“, sagt er.

Die WADA-Forderungen haben das Potenzial, den russischen Sport in seinen Grundfesten zu erschüttern. „Der 9. November 2015 ist womöglich der düsterste Tag in der Geschichte der russischen Leichtathletik“, schreibt die Fachzeitung „Sport-Express“.

Seit der Enthüllung durch die ARD-Dokumentation „Geheimsache Doping - Wie Russland seine Sieger macht“ vor fast einem Jahr kratzt der Skandal massiv an Russlands Image. Die Vorwürfe eines vom Staat gestützten Doping-Systems werden immer erdrückender. Sogar der Inlandsgeheimdienst FSB soll dem Bericht zufolge verwickelt sein.

Die Folgen für die russische Leichtathletik könnten verheerend sein: Rauswurf Russlands aus dem Internationalen Leichtathletik-Verband IAAF, Ausschluss russischer Athleten von den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro, auch lebenslange Sperren für mehrere Spitzensportler und Trainer drohen nun.

Tief hängen die Wolken am Dienstag über dem Kreml in Moskau. Das trübe Herbstwetter verschluckt den goldenen Schimmer der zwiebelförmigen Kuppeln im Zentrum der russischen Macht. Nach dem WADA-Bericht geht Russlands Führung erst einmal in die Defensive.

Unbegründet und nicht erwiesen seien die Vorwürfe der unabhängigen Kommission, wettert Kremlsprecher Dmitri Peskow. Und das Sportministerium kontert: Dem Bericht mangele es an überprüften Fakten und Beweisen, teilt die Behörde nüchtern mit.

Russland will den Doping-Bericht nun zunächst prüfen. Der Internationale Leichtathletikverband räumt Moskau eine Woche ein, um darauf zu reagieren. Da in seiner Organisation nicht alle so gut Englisch könnten, werde die Prüfung aber wohl einige Zeit dauern, betonte Selitschjonok.

Fast verzweifelt wirkt die Verteidigung, die Minister Mutko seit Wochen gebetsmühlenartig vorträgt. Russland sei sich der Probleme im russischen Leichtathletik-Verband bewusst und habe bereits einen neuen Verbandspräsidenten und einen neuen Cheftrainer berufen.

Auch gegen Mutko selbst werden die Vorwürfe immer lauter, in den Skandal verstrickt zu sein. Doch von einem Rücktritt des Ministers und engen Vertrauten des sportbegeisterten Präsidenten Wladimir Putin will der Kreml nichts wissen. Der 51-Jährige leitet auch die Vorbereitungen für die Fußball-WM 2018 in Russland und ist Chef des Fußballverbandes. „Solange nicht irgendwelche Beweise genannt werden, fällt es schwer, die Beschuldigungen anzunehmen. Sie haben weder Hand noch Fuß“, meint Putin-Sprecher Peskow.

Stattdessen bringen Kommentatoren in Moskauer Medien den Skandal in Verbindung mit den politischen Spannungen zwischen Russland und dem Westen. Vor allem wegen der Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim 2014 und der folgenden Sanktionen des Westens ist das Verhältnis vergiftet. „Man darf kein einzelnes Land isolieren, selbst wenn es Probleme gibt. Diese müssen zusammen gelöst werden“, meint Mutko.

Beobachter halten es für gut möglich, dass russische Leichtathleten sich die Olympischen Spiele 2016 in Rio wohl im Fernsehen anschauen müssen, anstatt selbst um Medaillen zu ringen. Die Krise des russischen Sports schlägt Minister Mutko inzwischen aufs Gemüt. „Vor einem halben Jahr war alles gut. Jetzt ist alles schlecht“, sagt er.

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