Sportpolitik:IOC-Chef Bach: «Bereitschaft für Reformen ist spürbar»

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Lausanne (dpa) - Den Verzicht von Bundespräsident Joachim Gauck auf eine Reise zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi mochte Thomas Bach nicht groß kommentieren. Der IOC-Präsident arbeitet derzeit an der Neuausrichtung der Ringe-Organisation.

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Lausanne (dpa) - Den Verzicht von Bundespräsident Joachim Gauck auf eine Reise zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi mochte Thomas Bach nicht groß kommentieren. Der IOC-Präsident arbeitet derzeit an der Neuausrichtung der Ringe-Organisation.

Dafür wird der 59 Jahre alte Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) den Mitgliedern der Exekutive ein Diskussionspapier präsentieren. Bis Ende 2014 soll daraus ein Strategiepapier entstehen. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa zieht Bach ein erstes Zwischenfazit nach drei Monaten im Amt.

Wie bewerten Sie die Entscheidung von Bundespräsident Joachim Gauck, nicht zu den Olympischen Spielen nach Sotschi zu reisen?

Bach:Die Einladung von Staatsoberhäuptern bei Olympischen Spielen erfolgt ausschließlich durch die Gastgeberländer. Schon deshalb verbietet sich jeder Kommentar des IOC. Frage: In achtzig Tagen zweimal um die Welt. Soviel sind Sie in Ihren ersten drei Monaten um die Welt gejettet.

Wissen Sie eigentlich, wie viele Frequent Flyer-Meilen Sie haben?

Bach:Nein, keine Ahnung.

Es macht den Anschein, die Reformen könnten Ihnen nicht schnell genug gehen?

Bach:Es ging in den ersten Monaten darum, Signale, inhaltliche Linien und den Ton zu setzen für die wesentlichen Linien.

Wofür stehen die verschiedenen Reisen, zum Beispiel zum Kongress der Welt-Anti-Doping-Agentur nach Johannesburg oder zum Papst nach Rom, um nur ein paar zu nennen?

Bach:In Johannesburg wollte ich für einen Mentalitätswechsel im Anti-Doping-Kampf werben und den Schutz der sauberen Athleten mehr in den Mittelpunkt rücken. In der Begegnung mit dem Papst ging es darum, unsere Werte zu betonen und deutlich zu machen, dass wir eine wertebasierte und werteorientierte Organisation sind.

Früher hatten Sie den Beobachterstatus des IOC bei den Vereinten Nationen eher kritisch gesehen. Jetzt führte Sie eine Ihrer ersten Reisen nach New York. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?

Bach:Ich wollte meine Strategie von Sport und Politik vorstellen. Wir wollen uns generell der Politik zum intensiveren Dialog öffnen und zu einer guten partnerschaftlichen Zusammenarbeit finden, welche die Anerkennung der unabdingbaren Autonomie des Sports voraussetzt.

Welches Zwischenfazit würden Sie denn ziehen nach knapp 100 Tagen im Amt?

Bach:Es ist schwierig, in so einer internationalen Organisation nach 100 Tage schon ein Fazit zu ziehen. Ich bekomme sehr viel Unterstützung und spüre neugierige Sympathie. In all den Begegnungen, die ich auf der politischen Ebene hatte, ist deutlich geworden, welch große Rolle der Sport in der modernen Gesellschaft spielt. Die Politik ist sehr an einer nahen Zusammenarbeit mit dem IOC interessiert, die auch über die Olympischen Spiele hinausgeht und dennoch die Olympischen Spiele in den Mittelpunkt rückt und uns als Katalysator nützt.

Wie viel Thomas Bach steckt schon im IOC?

Bach:Ich glaube, meine Bereitschaft zum Dialog und zur Offenheit ist deutlich geworden. Diese Botschaft ist angekommen. Das habe ich beim internen Olympia-Gipfel gemerkt, den ich hier einberufen habe. Die Bereitschaft für Reformen ist spürbar. Man muss nur sehen, wie es dann ist, wenn es zu den harten Entscheidungen kommt. Das wird die nicht einfache Aufgabe der nächsten Monate sein.

Apropos Aufgabe. Ihr neues Schlagwort heißt Olympic Agenda 2020. Mehr als eine Worthülse?

Bach:Das soll ein Strategiepapier werden für das IOC und die olympische Bewegung. Ich hoffe, dass es Ende 2014 fertig ist. Es wird sich auch um die Themen drehen, die in meinem Programm festgehalten sind, aber die Offenheit für neue Themen spielt hier ebenfalls eine große Rolle. Deshalb will ich auch die Generaldebatte bei der Vollversammlung in Sotschi haben, um zu sehen, welche zusätzlichen Vorstellungen die IOC-Mitglieder haben.

Welche Rolle spielen eigentlich Ihre fünf Konkurrenten aus dem Präsidentenwahlkampf bei dem ganzen Reformprozess?

Bach:Alle fünf hatte ich zu einem individuellen Gespräch nach Lausanne eingeladen und sie dann gebeten, mir ihre wichtigsten Ideen aus dem Wahlkampf zusammenzufassen. Diese Ideen sind dann auch in das Diskussionspapier für die Sitzung der Exekutive eingeflossen. Dieses gesamte Diskussionspapier ist ein Brainstorming-Papier, in dem auch gegensätzliche und widersprüchliche Ideen enthalten sind. Alle Ideen sind ohne Autor festgehalten, damit sich alle auf die Sachdiskussion konzentrieren können.

Think Tank, interne Klausur, professionellere Entscheidungsfindung, Dialog und Offenheit - Sie werfen mit Schlagworten geradezu um sich. Das hört sich nach einer größeren Umwälzung an….

Bach:Es sind Anpassungen nötig, aber es sind natürlich auch grundlegendere Reformen angedacht wie zum Beispiel beim Bewerbungsprozess. Es geht um die großen Linien, über die ich im Wahlkampf schon geredet habe.

Wie wahrscheinlich ist es denn, dass IOC-Mitglieder bald wieder vor der entscheidenden Abstimmung in die jeweiligen Kandidatenstädte reisen dürfen?

Bach:Das ist nur ein Randaspekt, über den wir aber auch sprechen werden. Wenn es Sinn macht, diesen Schritt zu gehen, werden wir ihn gehen. Wenn nicht, dann nicht. Ich möchte der Diskussion nicht vorgreifen. Zunächst müssen die Bewerbungskriterien und das Verfahren reformiert werden.

Inwieweit ist mit der Erhöhung des Ausstiegsalters für IOC-Mitglieder zu rechnen, von derzeit 70 auf vielleicht 75 Jahre?

Bach:Auch dieser Diskussion möchte ich nicht vorgreifen, aber man muss diesen Punkt sorgfältig untersuchen. Wenn man das Alterslimit anhebt, hätte dies Auswirkungen auf die Fluktuation der Mitglieder und die Gesamtstruktur des IOC. Man muss anerkennen, dass es 70-Jährige gibt, die wie 50 sind, und 50-Jährige, die sich wie 70-Jährige bewegen.

Sie haben im Wahlkampf eine Nachhaltigkeits-Kommission angedeutet. Welche Aufgabe soll diese Kommission konkret haben?

Bach:Auf diesem Gebiet ist schon viel geschehen. Wir wollen bei dieser Entwicklung jetzt den nächsten Schritt gehen und ihn schon in der Bewerbungsphase miteinbinden. Ich freue mich auf den Austausch mit meinen Kollegen.

Sie haben von Ihrem Vorgänger Jacques Rogge die Winterspiele in Sotschi sozusagen geerbt. Was sehen Sie als Ihre größte Herausforderung für die Sotschi-Spiele an?

Bach:Ich bin der vollen Überzeugung, dass wir ausgezeichnete Spiele in Sotschi erleben werden. Die Athleten werden beste Bedingungen haben, ein olympisches Dorf von großartiger Qualität und Sportstätten mit hoher Funktionalität. 80 Prozent der Athleten können von ihrem Bett zu den Wettkampfstätten laufen.

Aber Terrorgefahr, Menschenrechtsverletzungen, internationale Empörung über das russische Anti-Homosexuellen-Gesetz und die Kostenexplosion belasten die Sotschi-Spiele. Eitel Sonnenschein sieht anders aus.

Bach:Diese Schlagwortaufzählung wird der Sache nicht gerecht.

Also noch mal: Gibt es wirklich keine Herausforderung rund um Sotschi?

Bach:Es gibt vor allen Olympischen Spielen Herausforderungen, aber ich habe volles Vertrauen, dass die Spiele ein großer Erfolg werden.

Werden Sie im olympischen Dorf übernachten?

Bach:Ich habe mir ein Zimmer im olympischen Dorf reservieren lassen. Die Zimmer dort sind teilweise besser als Hotelzimmer.

Einer Ihrer Spitzenfunktionäre, Gian-Franco Kasper, Präsident des Weltskiverbandes, hat gesagt, er befürchtet Spiele ohne Emotionen und Herz. Sie nicht?

Bach:Überhaupt nicht. Russland ist ein wintersportbegeistertes Land. Ich möchte mal die Atmosphäre spüren, wenn es Russland ins Finale des Eishockey-Turniers schafft.

Derzeit laufen die Nachuntersuchungen der eingefrorenen Olympia-Proben von Turin 2006. Wie weit sind Sie damit schon?

Bach:Es werden in etwa 350 Proben untersucht, aber die Analysen sind noch nicht abgeschlossen.

Anderes Thema. Das Nein der Bürger zu einer weiteren Olympia-Bewerbung von München hat Sie dem Vernehmen nach sehr gewurmt und enttäuscht. Selbst die deutschen Olympia-Planer und Funktionäre stimmten nach der Niederlage in den Kanon der Olympia-Gegner ein und machten das schlechte Image der Funktionäre vom IOC und von der FIFA dafür verantwortlich. Inwieweit machten es sich die Verantwortlichen im deutschen Sport zu leicht?

Bach:Ich werde nicht von außen auf deutsche Themen schauen und den Oberlehrer spielen.

Aber Olympia scheint in Deutschland auf Jahre hinaus nicht mehrheitsfähig. Wie verbrannt ist die Erde für eine Olympia-Bewerbung aus Deutschland in absehbarer Zeit?

Bach:Ich würde mir eine deutsche Olympia-Bewerbung sehr wünschen. Deutschland ist ein sehr sportbegeistertes Land mit großartigen Athleten und sehr vielen Möglichkeiten.

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