Abstimmung über neue SPD-Spitze:"Mit Olaf hätten wir einen erfahrenen Kanzlerkandidaten"

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Die SPD-Mitglieder konnten bei der Wahl der Parteispitze entweder für Olaf Scholz und Klara Geywitz oder für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans stimmen. (Foto: Getty Images)

Henning Meyer ist SPD-Mitglied und Sozialwissenschaftler. Er erklärt, warum er erst für Esken und Walter-Borjans, dann für Geywitz und Scholz als neue Parteispitze gestimmt hat.

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Am Samstag gibt die SPD das Ergebnis der Stichwahl um den Parteivorsitz bekannt. Die Partei erhofft sich von dem aufwändigen Auswahlverfahren und von der neuen Doppelspitze frischen Wind. Sie kämpft mit schlechten Wahlergebnissen und Umfragewerten - und einer Sinnkrise.

Der Sozialwissenschaftler Henning Meyer forscht als Research Associate an der London School of Economics, ist Chefredakteur vor Social Europe und selbst SPD-Mitglied. Er gehört der Grundwertekommission der Partei an.

SZ: Die deutsche Sozialdemokratie regiert seit 1998 fast durchgehend im Bund, aber nun dümpelt sie in Umfragen bei 15 Prozent und ist in manchen ostdeutschen Bundesländern fast schon marginalisiert. Können Sie erklären, warum es der Partei dermaßen mies geht?

Henning Meyer: Wir sehen diese Entwicklung in vielen europäischen Ländern. Die Grundfehler sind in den 90er Jahren gemacht worden, Stichwort Neue Mitte. Die Annahme, dass der neue Mainstream überwiegende Mehrheiten hat, hat dazu geführt, dass sich die sozialdemokratische Programmatik sehr stark angepasst hat. Es ging prinzipiell darum, neue Wählergruppen zu erschließen und die alten nicht zu verlieren.

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Das hat ja am Anfang ganz gut geklappt, oder?

Sicher, aber mittel- und langfristig verlor man halt doch die Bindung zu den traditionellen Wählergruppen. Und dann kam noch die Wirtschafts- und Finanzkrise dazu. Natürlich gab es dann noch andere, länderspezifische Faktoren wie in Deutschland etwa Hartz IV.

Dabei zeigte doch gerade die erwähnte Krise, wie der finanzgetriebene Kapitalismus scheitern kann.

Damals hatte ich ein Seminar in Oxford, in dem diskutiert wurde, ob dies nicht ein sozialdemokratischer Moment wäre - das wurde er nicht.

Und warum nicht?

Zwei Punkte: Sozialdemokratische Regierungen wie Labour in Großbritannien waren mitverantwortlich für die Deregulierung des Finanzsektors, und was Peer Steinbrück als Bundesfinanzminister gemacht hat, war ja auch nicht gerade eine Bändigung der Finanzmärkte. Zumindest hat die Politik die Bedingungen mitgeschaffen, die die Krise ermöglicht hat. Und außerdem gab es durch die angepasste sozialdemokratische Programmatik keine politische Alternative, als diese von den Menschen nachgefragt wurde.

Henning Meyer Henning Meyer, Jahrgang 1978, ist Sozialwissenschaftler, Berater und Mitglied der SPD-Grundwertekommission. (Foto: Henning Meyer / DG Corporate)

Der Ausbruch der Finanzkrise ist nun schon mehr als zehn Jahre her - eigentlich Zeit genug, um programmatisch Lehren zu ziehen. Wie weit ist man da bei der SPD?

Es gibt eine Menge, was in der Tagespolitik noch nicht ausreichend aufgearbeitet wurde. Darunter auch Antworten darauf, wie man auf Ungleichheitseffekte der Globalisierung reagieren soll und, natürlich die Digitalisierung und die Herausforderungen der notwendigen sozial-ökologischen Transformation. Wir haben die Erblasten noch nicht abgearbeitet, müssen uns aber gleichsam auch den neuen Herausforderungen stellen. Viele Ideen und Konzepte liegen aber bereits auf dem Tisch, was fehlt ist die Umsetzung.

Werden Sie von Parteifreunden gefragt, wo die sozialdemokratischen Wähler sind?

Klar, aber die Fragestellung ist falsch. Angesichts der bereits erwähnten Herausforderungen bräuchten wir einen transformativen Politikansatz. Wir - und eigentlich auch alle anderen Parteien - neigen aber dazu, eine reaktive Politik zu betreiben. Das ist der Stil von Angela Merkel, die nun dafür gelobt wird, dass in ihrer Kanzlerschaft sozialdemokratische Politik wie der Mindestlohn und die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften umgesetzt wurde. Merkels Politik aber verwaltet lediglich, deshalb haben wir auch eine Art Sklerose in diesem Land, weil alles so vor sich hinplätschert. Sie macht nur etwas, wenn es irgendwo drängt oder sie eine Wahl gewinnen muss. Das ist reaktive Politik: Reflexhaft versucht man, bestimmte Wählergruppen anzusprechen, und was die wollen, das bietet man denen an. Aber das ist Stückwerk und das bringt unsere Gesellschaft nicht weiter.

Also keine zielgerichtete Politik für Arbeitslose, für Studenten und Rentner?

Man sollte anders vorgehen, mir geht es um die Methode. Was nötig ist: eine umfassende Analyse, an deren Ende wir ein inhaltliches, gutes Zukunftsprojekt anbieten können, in dem sich dann verschiedene Bevölkerungsgruppen wiederfinden können wie Arbeitslose, Studenten, Selbstständige und Rentner. Der Anspruch, Volkspartei zu sein, hängt nicht davon ab, ob man bei 15 oder 35 Prozent liegt. Volkspartei ist man dann, wenn man den Anspruch hat, ein Angebot für die Breite der Bevölkerung zu entwickeln - verbunden mit thematischen Schwerpunkten wie Arbeit und soziale Marktwirtschaft im Fall der SPD.

Was ist denn dann eine richtige Frage, die sich die SPD stellen sollte?

Die zentrale Frage lautet, wie dieses Land in zehn bis fünfzehn Jahren aussehen soll. Wir brauchen eine große Zielsetzung, einen Entwurf, damit die Einzelpolitik dieses Ziel Stück für Stück näherbringen kann. Die SPD muss ein Profil haben, das klar über das in der aktuellen Regierung Mögliche hinausgeht. Es muss deutlich werden, dass es nicht das Ende der Fahnenstange ist, was in der Koalition passiert. Wir müssen uns von der Regierung ein Stück weit emanzipieren, um klar zu machen, was unser übergeordnetes Ziel ist. Dann wird die SPD auch wieder mehr Zuspruch bekommen.

Das klingt wie ein Appell an Olaf Scholz, den Vizekanzler und Kandidaten für den Parteivorsitz. Darf ich fragen, für welches Tandem Sie gestimmt haben?

In der ersten Runde für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, nun unterstütze ich Klara Geywitz und Olaf Scholz. Mein ideales Szenario war anfangs gewesen: Saskia und Norbert werden Vorsitzende, und Olaf wird Kanzlerkandidat. Warum? Weil die SPD immer am erfolgreichsten war, wenn sie verschiedene Identifikationsfiguren geboten hat, die verschiedene Gruppen integrieren konnte: Etwa Willy Brandt und Helmut Schmidt, Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder.

Die erste Wahl war zu erwarten, schließlich plädieren Esken und Walter-Borjans für einen großen Wurf, ein Investitionsprogramm von 500 Milliarden Euro sowie einen radikalen Umbau des Steuersystems. Warum haben Sie sich nun anders entschieden?

Die Taktik, die Saskia und Norbert verwenden, sich aus der Groko zurückzuziehen, halte ich für nicht zielführend. Wenn die Regierungs-SPD um Olaf Scholz an den Rand gedrängt wird, wie will man sie künftig einbinden, wenn man die Koalition platzen lässt? Ich sehe die Gefahr, dass uns die politische Basis erodiert und die SPD dann lange mit politischen Querelen beschäftigt ist. Das würde die schwierige Lage der Partei weiter verschlechtern. Wenn aber Klara und Olaf gewinnen sollten, hoffe ich, dass Vertreter des Lagers um Saskia und Norbert, oder sie selbst, als Stellvertreter kandidieren. Dann könnten alle gemeinsam die vorhin beschriebene große programmatische Zielsetzung bis zur Bundestagswahl 2021 entwickeln. Und mit Olaf hätten wir auch einen erfahrenen Kanzlerkandidaten, der nicht nur erfolgreich regieren kann, sondern in Hamburg auch gezeigt hat, dass er Wahlen gewinnen kann.

Hand aufs Herz: Glauben Sie wirklich, dass Olaf Scholz die deutsche Sozialdemokratie wieder zum Blühen bringen kann?

Ja, ich finde, er hat das Zeug dazu. Olafs Problem ist ja nicht, dass man ihn nicht für glaubwürdig hält, im Gegenteil: Man kennt ihn als verlässlichen Politiker in Regierungsämtern. Sein Problem ist eher, dass man ihn nicht für ambitioniert genug hält, dass er sich bisher nicht traut, den großen Wurf zu machen. Wenn er sich aber dazu entscheidet, es zu wagen, werden ihm das die Leute auch glauben.

Aber dazu müsste er sich erstmal durchringen. Auch die "Schwarze Null", die er als Finanzminister bislang vehement verteidigt, wird er fallen lassen müssen.

Klara und Olaf werden ein ähnlich ambitioniertes Projekt wie ihre Mitbewerber entwickeln müssen. Es ist der einzige Weg, all die Parteimitglieder, die nicht für ihn gestimmt haben, mitzunehmen. Ich denke, das ist Olaf auch bewusst. Wenn er nicht für eine markante Veränderung bereit wäre, hätte er wohl auch nicht kandidiert.

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