SPD-Antragskommission:Mission Schadensbegrenzung

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"Ich habe Olaf Scholz ja lange bei dieser Arbeit erleben können": Doris Ahnen hat die Leitung der SPD-Antragskommission 2019 vom heutigen Kanzler übernommen. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Für Olaf Scholz war es ein besonderes Amt, seit 2019 leitet Doris Ahnen die Antragskommission der SPD. Wegen der Koalitionskrise kommt ihr eine Schlüsselrolle zu, wenn es gilt, unliebsame Anträge zu entschärfen.

Von Georg Ismar

Herbert Wehner, Hans-Jochen Vogel, Johannes Rau, Oskar Lafontaine, Olaf Scholz. Doris Ahnen ist in große Fußstapfen getreten, wenn man so will. Der heutige Kanzler war von 2009 bis 2018 Vorsitzender der Antragskommission der SPD und ist damit Rekordhalter laut den im Willy-Brandt-Haus vorliegenden Listen, die bis 1980 reichen. Der Volljurist konnte mit leuchtenden Augen erzählen, wie ihm das Suchen nach Kompromisslösungen Freude bereitete, vor allem das Entschärfen von Anträgen, die das Zeug haben, einen Parteitag zu sprengen. In seiner Ampelkoalition ist diese Lösungssuche auf ein neues Niveau gehoben worden, nicht immer zu seiner Freude.

Was bei einigen leichtes Gähnen hervorrufen mag, ist eine überaus bedeutsame Aufgabe in einer Programmpartei wie der SPD, für die Beschlüsse nicht nur wertloses Papier sind. Seit 2019 hat Doris Ahnen, Finanzministerin in Rheinland-Pfalz, dieses Amt inne. Sie hat für Scholz beim Parteitag nun eine gewisse Schlüsselrolle. Denn es gilt wegen des Haushaltsschlamassels zu verhindern, dass der Bundesparteitag mit Spontan-Anträgen den Spielraum des Kanzlers in den Haushaltsverhandlungen mit FDP und Grünen einengt - etwa mit Wunschlisten und Kürzungsverboten bei bestimmten Posten oder gar einer Mehrheit für einen Antrag auf Streichung der Schuldenbremse. Alles Dinge, die das Zeug hätten, die Koalition zu sprengen. Man könnte auch sagen, Aufgabe ist es, Ungemach vom Kanzler fernzuhalten.

600 Delegierte können noch spontan Anträge zu stellen

"Ich habe Olaf Scholz ja lange bei dieser Arbeit erleben können", sagt Ahnen im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Von ihm, der als bester Verhandler seiner Partei gilt, könne man einiges lernen. 28 Mitglieder hat die von Ahnen geleitete Kommission, je eines aus den 20 Bezirken und Landesverbänden, dazu acht, die vom Vorstand benannt wurden. 894 Seiten umfassen die Anträge, die bereits für den Bundesparteitag im CityCube Berlin vorliegen. Die größte Unsicherheit lauert aber bei den Initiativanträgen. Dazu braucht man 50 Unterschriften aus fünf Bezirken oder Landesverbänden. Gestellt werden können sie von jedem der 600 Delegierten an den drei Tagen des Bundesparteitags, jeweils von 10 Uhr bis zum Antragsschluss, der auf 13 Uhr festgelegt worden ist.

Klar, dass da auch kontroverse Anträge zu erwarten sind. Man müsse dann schauen, sagt Ahnen, wie weit man da den Antragsstellern entgegenkommen könne. Manche würden dann nach Gesprächen zurückgezogen. Kommt es zur Abstimmung, kann bei den Delegierten dafür geworben werden, ihn zur Prüfung an die Bundestagsfraktion oder den Vorstand zu delegieren. So wird Zeit gewonnen, und manchmal hört man nie wieder etwas davon. Ahnen betont, dass man stets versuche, auf einen Kompromiss hinzuarbeiten, der für alle Beteiligten gut ist. "Das ist die Herausforderung bei dieser Arbeit."

800 Anträge liegen der Kommission bisher vor. Dazu zählen alle Anträge, die seit dem letzten ordentlichen Parteitag an die Bundesebene gerichtet wurden, die Leitanträge des Parteivorstands und eben die aktuellen Eingaben.

Ein Klassiker im Antragsbuch kommt vom Ortsverein Bochum-Querenburg: "Ein wesentliches Element zur Steuergerechtigkeit ist die Wiedereinführung der seit 1997 nicht mehr erhobenen - gleichwohl weiterhin gesetzlich verankerten - Vermögensteuer", heißt es da in bestem Politsprech. Der Bundesparteitag solle sich bis zum Bundestagswahlkampf 2025 auf ein konkretes Konzept zu Bemessungsgrundlage, Höhe und Umfang der Vermögensteuer einigen. Empfehlung der Kommission: Überweisung an SPD-Parteivorstand.

Ebenfalls ein Prüfauftrag für den Parteivorstand soll Antrag O21 aus Hamburg sein: "Diakritische Zeichen und erweitertes Alphabet in Publikationen und Wahlkampf. Breve und Cedille: Æ und Ø der sprachlichen Gleichbehandlung." Es sollten nur noch Schriftarten eingesetzt werden, die über Zeichen und Erweiterungen des Zeichensatzes verfügten, "um allen Kandidierenden die korrekte Darstellung ihres Namens zu ermöglichen". Ferner wird im Bereich der Familienpolitik nach dem Vorbild Neuseelands Sonderurlaub nach Fehlgeburten gefordert. Und aus Berlin kommt die Forderung: "Wickeltische in öffentlichen Gebäuden und in der Gastronomie gesetzlich garantieren".

Im Antrag O42 wird ein Verbot von (E-)Zigarettenwerbung auf SPD-Veranstaltungen verlangt. Klare Empfehlung der Antragskommission: Ablehnung. Die Einnahmequelle ist zu attraktiv. Die Einrichtung einer Arbeitsgemeinschaft "Innere Sicherheit" soll hingegen vom Parteivorstand geprüft werden. Antrag F14 lautet schlicht: "Kinderarmut beenden!" Hier wäre die Antwort der Antragskommission durchaus einem Faktencheck zu unterziehen: "Erledigt durch laufendes Gesetzgebungsverfahren".

Gerhard Schröder ist nicht dabei. Er erhielt keine Einladung

Der Antrag O45 "Parteiausschlussverfahren gegen Gerhard Schröder" vom Unterbezirk Südpfalz - ist inzwischen überholt. "Erledigt durch Entscheidung Schiedskommission", so die Antragskommission. Statt Schröder wegen seiner Verbindungen zu Wladimir Putin sowie der Tätigkeiten für russische Unternehmen auszuschließen, musste die SPD-Führung jüngst die Urkunde zur 60-jährigen Mitgliedschaft Schröders in der Partei unterzeichnen. Aber während zehn frühere Vorsitzende von Björn Engholm bis zu Norbert Walter-Borjans eine Einladung zum Bundesparteitag erhielten, bekam einer sie dieses Mal nicht: Gerhard Schröder.

Es gibt einige Beispiele, wo plötzlich die SPD-Spitze von einem Antrag, den sie unterschätzte und ablehnte, überrumpelt wurde. So ging 2007 ein Antrag für Tempo 130 auf Autobahnen durch. Aber seither war die SPD nie in einer Koalition, in der sie ihn hätte durchsetzen können. Besonders die Jusos sind unzufrieden mit dem Bild von Kanzler und Koalition, vor allem die FDP nervt sie. Ein Juso-Chef namens Kevin Kühnert trieb die SPD mit seinen Anträgen einmal fast in einen Ausstieg aus der großen Koalition. Ahnen wird da auf der Hut sein: Von den Jusos kann immer etwas kommen.

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