SPD-Parteitag:Steinmeier packt den Kämpfer aus

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Es war eine gute Rede, die Kanzlerkandidat Steinmeier abgeliefert hat. Erstmals hat er die Genossen begeistert. Und es unterlassen, sich die falschen Gegner zu suchen.

Thorsten Denkler, Berlin

Als der Kanzlerkandidat ans Pult tritt, muss eine Riesenlast auf ihm liegen. Wenn er es mit dieser Rede hier und heute auf dem Bundesparteitag der SPD in Berlin nicht schafft, die letzten Zweifler zu überzeugen, dann kann er einpacken. Zu schlecht das Europawahlergebnis, zu schlecht die Pressearbeit der vergangenen Woche, zu schlecht die Umfrageergebnisse, als dass sich die SPD einen Ausfall an ihrer Spitze erlauben könnte.

Kanzlerkandidat Steinmeier: Er brüllt, er schwitzt, er kämpft (Foto: Foto: Reuters)

Frank-Walter Steinmeier strahlt über beide Wangen, als er sich mit beiden Händen auf dem Pult abstützt. Er schaut ins Rund, nimmt den Begrüßungsapplaus entgegen, der schon stärker ist als sonst. Auch die fast 500 Delegierten erwarten von ihrem Spitzenkandidaten, dass er seine Kandidatur endlich auch innerlich annimmt. Außenminister einpacken, Kämpfer auspacken. Das wollen sie hier.

Steinmeier gibt ihnen, was sie wollen. Alle paar Sätze provoziert er Applaus der immer wieder mal rhythmisch anschwillt, mal gehen Sätze im Gejohle und Gejubel unter. Steinmeier beginnt leise, dann brüllt er, er schwitzt, er dampft, er kämpft. So etwas haben die Genossen lange nicht erlebt.

Der Schlussapplaus will nicht enden. Über zehn Minuten jubeln ihm die Delegierten zu. "Jetzt geht's lohos! Jetzt geht's lohos!", skandieren sie. Nach der größtmöglichen Niederlage bei der Europawahl vor genau einer Woche, jetzt die bestmögliche Stimmung auf dem Bundesparteitag. Es wirkt wie eine Häutung, die Auferstehung eines Kandidaten.

Mit Rückschau hält sich Steinmeier nicht lange auf. Der letzte Sonntag, er "war Mist", sagt in seltener Offenheit. Aber das ist vorbei. "Das Ding ist offen", brüllt Steinmeier, die Faust geballt, "wir werden es offen halten und am Ende gewinnen." Jubel, Applaus. Heute sind alle Steinmeier.

Er ist der oberste Mutmacher der SPD, nicht nur der Erklärer und Analytiker, als der er sonst zuweilen seine Zuhörer in ein spontanes Nickerchen schickt. Er ist heute der Mann der klaren Botschaften. Alles was vor der Krise Deutschland gestärkt habe und in der Krise zusammengehalten habe, sei "von uns" gekommen. Investitionen in Bildung. "Wer ist drauf gekommen? Die SPD." Kinderbonus und Schulstarterpaket. "Wer hat's erfunden, wer hat's umgesetzt? Die SPD." Die Umweltprämie. "Wer hat´s erfunden? Die SPD." Die Investoren für Opel. "Wer hat sie gesucht und gefunden? Die SPD." Steinmeier laufen die ersten Schweißperlen über die Stirn.

Ohne die SPD sähe das Land heute anders aus, sagt er und dann guckt er als wolle er jedem Einzelnen der Delegierten tief in die Augen schauen. "Leute, sagt es laut, sagt es täglich, sagt es überall! Sagt es mit Stolz!" Wieder brandet Applaus auf. Die folgenden Sätze gehen darin unter.

In der vergangenen Woche hat Steinmeier ein Interview gegeben, in dem er sich vor allem an CSU-Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg abgearbeitet hat. In dieser Rede fällt der Name Guttenberg nicht einmal mehr. Seine Gegner sucht er sich jetzt auf Augenhöhe. Es sind Angela Merkel, ihre Union und Schwarz-Gelb.

Die SPD beschließt an diesem Sonntag ihr Wahlprogramm. Die Union, meckert Steinmeier, habe bis heute nicht mal einen Entwurf. "Ihr Motto lautet: Abwarten, abgucken, draufsetzen." Die Union, das seien die, die "nachher alles vorher gewusst haben. Aber wir, wir sind die, die vorher die Arbeit gemacht haben".

Viel sagt er zu Opel; da gehe es "um Arbeit statt Abbruch". Der Staat sei nicht der bessere Unternehmer. Aber: "Arbeit ist besser als Insolvenz." Er wolle niemandem in Not sagen, "du bist nicht systemrelevant". Steinmeier zitiert CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla. Der habe gesagt, jetzt gehe es um Ökonomie, Arbeit sei da eher "eine Unterfrage". Ein Satz von Kirchhofscher Qualität.

"Für uns ist Arbeit keine Unterfrage", gibt Steinmeier zurück. "Alle Politik, die nicht den Menschen dient, ist des Teufels, hat Willy Brandt gesagt, und Recht hat er." Die Parteilinke und SPD-Vize Andrea Nahles ist inzwischen derart begeistert, dass ihr Kopf vor und zurückschnellt, wenn sie klatscht. Nicht ganz passt, dass Steinmeier über die Insolvenz des Handelskonzerns Arcandor kein Wort verliert.

Ganz am Ende, als er kurz bevor der Applaus und der Jubel nach vielen Minuten der Begeisterung langsam abebben, da stellt sich Steinmeier noch mal auf die Bühne, reißt noch mal die Arme hoch, lacht, freut sich, da winkt er Müntefering zu, er solle doch auch auf die Bühne kommen. Der bleibt sitzen, winkt ab, klatscht weiter. Er ist vielleicht der Moment, in dem der Kandidat auch über den Parteivorsitzenden hinausgewachsen ist. Der Moment, ab dem Steinmeier das tut, womit er nach Ansicht vieler Genossen schon vor Wochen hätte beginnen müssen. Er kämpft. Er schwitzt. "Ich will Kanzler aller Deutschen werden", sagt er. Es ist das erste mal, dass er Zweifel daran nicht zulässt.

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