SPD nach der Wahl:Sündenbock Müntefering

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Führende Sozialdemokraten machen den SPD-Vorsitzenden für das desaströse Abschneiden bei der Bundestagswahl verantwortlich. In einigen SPD-Landesverbänden gibt es bereits personelle Konsequenzen.

Susanne Höll

In der SPD bahnt sich nach der katastrophalen Wahlniederlage bei dem Bundestagswahl ein neuerlicher Wechsel im Parteivorsitz an. Der Vorsitzende Franz Müntefering, der erst vor Jahresfrist ins Amt gekommen war, deutete am Montag nach Sitzungen der SPD-Gremien an, dass er sich beim Bundesparteitag im November in Dresden nicht erneut um den Chefposten bewerben will und Ex-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier als Nachfolger unterstützen würde.

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Auf die Frage eines Journalisten, ob man ihn recht verstehe, dass er auf eine neuerliche Kandidatur in Dresden verzichte, antwortete Müntefering: "Sie können davon ausgehen, dass Sie nahe an der Wahrheit sind mit ihrer Frage." Gegen eine Bewerbung Steinmeiers, der an diesem Dienstag zum Vorsitzenden der neugewählten Bundestagsfraktion gewählt werden soll, werde er, Müntefering, sich nicht sträuben. "Das wäre für mich sofort akzeptabel", sagte er.

Entscheidungen über den Parteivorsitz fielen am Montag nicht, auch weil sich zunächst kein unumstrittener Kandidat abzeichnete. Die SPD-Spitze folgte deshalb einem Vorschlag Münteferings, über das Thema erst in der nächsten Woche wieder zu diskutieren. In spätestens zwei Wochen will der Parteivorstand einen Vorschlag für eine komplette Neubesetzung der Parteispitze vorlegen. Aus SPD-Führungskreisen verlautete, es gebe bereits einen Plan.

Steinmeier auch Parteichef ?

Danach solle Steinmeier auch Parteichef werden. Ihm sollten statt der bislang drei dann fünf Stellvertreter an die Seite gestellt werden. Darunter sei Andrea Nahles, die auch bislang schon Vize-Chefin ist. Vier Neulinge sollten hinzukommen: Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, der bisherige Arbeitsminister Olaf Scholz, Ex-Umweltminister Sigmar Gabriel sowie die nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft, die den größten SPD-Landesverband vertritt und im kommenden Mai eine auch aus Bundessicht wichtige Landtagswahl zu bestreiten hat.

Der amtierende Finanzminister Peer Steinbrück hatte zu verstehen gegeben, dass er im Fall der Opposition zwar sein neues Bundestagsmandat, nicht aber einen Führungsposten in Partei oder Fraktion annehmen wolle. Müntefering und andere SPD-Spitzenpolitiker dementierten, dass es schon feste Absprachen gebe. Unter den als Stellvertretern Genannten wird bislang nur Gabriel offenes Interesse am Parteivorsitz nachgesagt.

Über eine personelle Neuausrichtung und insbesondere den Parteivorsitz hatten zahlreiche führende SPD-Politiker schon seit Sonntagnachmittag zahlreiche Gespräche in kleinem Kreis geführt, zunächst aber ohne klare Resultate. Steinmeier wurde von Vertrauten und namhaften Unterstützern gedrängt, neben dem Fraktionsvorsitz unbedingt auch den Parteivorsitz zu übernehmen, weil er sonst nicht über die volle Autorität eines Oppositionschefs verfügen würde. Öffentlich und später auch im Präsidium machte der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck kaum verhohlen klar, dass er sich Steinmeier als Parteivorsitzenden wünscht. Bis zum Montag hieß es aber, es sei unsicher, ob Steinmeier den Parteivorsitz tatsächlich wolle. Andere SPD-Politiker warnten Steinmeier vor diesem Schritt: "Dann ist er in einem Jahr am Ende. Jede neue Wahlniederlage, jeder Fehler der passiert, wird ihm dann in seiner Doppelrolle angerechnet", sagte ein Spitzenvertreter, der namentlich nicht genannt werden wollte.

Das Ansehen Münteferings hat stark gelitten

Anders als Steinmeier wird Müntefering von Bundespolitikern, aber auch aus Landesverbänden seit dem Wahlabend für das desaströse Resultat und den gegenwärtig schlechten Zustand der SPD verantwortlich gemacht. Bei einem für Montagabend in Berlin angesetzten Treffen der Landes- und Bezirkschefs musste sich der Parteivorsitzende nach Einschätzung einiger Präsidiumsmitglieder auf Kritik einrichten. Schon in den vergangenen Monaten hatte das Ansehen Münteferings stark gelitten, nicht nur beim linken Flügel, der ihn seit seiner Rückkehr skeptisch beurteilte. Auch Vertreter des rechten Flügels äußerten zuletzt Kritik an dem Vorsitzenden.

Dessen politische Kraft habe nachgelassen, er suche nicht das Gespräch mit den Parteikollegen im Bund und den Ländern und sei, anders als in früheren Jahren, kein brillanter Wahlkämpfer mehr. Einige dieser Kritiker räumten aber ein, dass sie im Führungsstreit um den damaligen Vorsitzenden Kurt Beck die Möglichkeiten Münteferings überschätzt hätten. Beck, der nach einem internen Machtkampf im vergangenen Sommer sein Amt aufgab, hatte bereits am Sonntag deutlich gemacht, dass die SPD-Spitze aus seiner Sicht neu besetzt werden müsse.

Die historische Wahlschlappe von nur noch 23 Prozent im Bund führte in einigen SPD-Landesverbänden bereits zu personellen Konsequenzen. Der Hamburger Landesvorsitzende Ingo Egloff trat als Folge des schlechten Abschneidens in der Hansestadt zurück. Bayerns SPD-Landesfraktionschef Franz Maget kündigte an, sein Amt vorzeitig zurückzugeben. In Baden-Württemberg erwägt die Landesvorsitzende Ute Vogt ihren Rückzug.

Am Montag war auch die Zusammensetzung der neuen, auf nur noch 146 Mitglieder geschrumpften neuen SPD-Bundestagsfraktion klar, die sich am Dienstag erstmals treffen und Steinmeier als Nachfolger des scheidenen Peter Struck zum Vorsitzenden wählen soll. Einige Mitglieder der einstigen Fraktionsführung verpassten am Sonntag den Einzug in den Bundestag. Unter ihnen ist auch der bisherige Vize-Fraktionsvorsitzende Klaas Hübner, der in Sachsen-Anhalt seinen Wahlkreis nicht direkt gewinnen konnte. Er galt als der letzte namhafte Wirtschaftsexperte der SPD in der Fraktion.

Stundenlange Diskussionen

Der bisherige Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Thomas Oppermann, soll auch unter Steinmeier im Amt bleiben. Trotz mancher Bedenken gilt Steinmeiers Wahl zum Fraktionschef als sicher. Der in der Bundespolitik bislang wenig bekannte Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, Norbert Nieszery, hatte als bislang einziger Sozialdemokrat öffentlich scharfe Kritik an den beruflichen Plänen des ehemaligen Kanzlerkandidaten geübt. "Herr Steinmeier steht für die SPD, die über die Maßen Glaubwürdigkeit bei den Menschen verspielt hat", sagte Nieszery. Den Anspruch auf den Fraktionsvorsitz empfinde er als "sehr bedenklich".

Im SPD-Präsidium und im Vorstand wurde am Montag stundenlang über die Ursachen des Wahldebakels diskutiert sowie die Frage, welche Konsequenzen daraus zu ziehen seien. Allseits wurde eine Neuaufstellung der Partei gefordert, ohne dass aber klar wurde, wie diese Positionierung aussehen soll. Insgesamt seien die internen Debatten auch von Ratlosigkeit geprägt gewesen, sagten Teilnehmer. Müntefering sagte vor Journalisten, es seien weder der Kanzlerkandidat noch der SPD-Wahlkampf für die Niederlage verantwortlich gemacht worden. Stattdessen seien die Probleme der SPD-Politik in den vergangenen elf Regierungsjahren genannt worden, darunter die Hartz-Programme der Agenda 2010 sowie die Rente mit 67 Jahren.

Die SPD habe es in den vergangenen Jahren nicht vermocht, die Bevölkerung von diesen Reformen zu überzeugen. Auch über den Umgang der SPD mit der Linkspartei wurde diskutiert. Wowereit, der immer wieder einmal als denkbarer Kanzlerkandidat im Jahr 2013 genannt wird, sagte, das "Tabu" einer Zusammenarbeit im Bund müsse fallen. Um als Koalitionspartner in Frage zu kommen, müsse sich aber die Linkspartei in grundsätzlichen Punkten verändern. Die SPD hatte in ihrem Programm für die Bundestagswahl ein Regierungsbündnis mit der Linken in dieser Legislaturperiode ausgeschlossen. Spätestens 2013 fällt diese Hürde.

© SZ vom 29.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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