Sozialdemokraten:Die SPD wartet auf den Knall

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"Dann schaffen wir Klarheit": SPD-Chefin Nahles lässt es auf den Showdown ankommen. (Foto: REUTERS)
  • Andrea Nahles geht mit ihrer Ankündigung, den Fraktionsvorsitz neu wählen zu lassen, ins volle Risiko.
  • Scheitert sie mit der Wiederwahl, dann ist sie auch als Parteivorsitzende kaum mehr zu halten.
  • Nun stellt sich die Frage, ob ihre Gegner sie nächste Woche überhaupt herausfordern werden.

Von Nico Fried und Mike Szymanski, Berlin

Es war erst mal nur der Brief eines Einzelnen. Michael Groß, SPD-Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Recklinghausen II, setzte seine Kollegen aus der nordrhein-westfälischen Landesgruppe am Montag davon in Kenntnis, dass er eine Sondersitzung der SPD-Fraktion beantragen wolle. Es müsse "klargestellt werden, ob die SPD-Bundestagsfraktion hinter ihrer Vorsitzenden steht oder nicht", hieß es in dem Schreiben.

Von diesem Brief erfuhr auch Andrea Nahles. Sie hatte am Montag die Parteivorstandssitzung hinter sich gebracht. Nach dem Debakel am Wahlsonntag war das alles andere als einfach. Sie musste viel Kritik einstecken. Aber mächtige Parteikollegen wie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sorgten dafür, dass eine Personaldebatte in dieser Runde gar nicht richtig aufflammte.

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Dann wurde der Brief von Groß öffentlich. Nahles vermutete offenbar, es handele sich um eine Initiative aller SPD-Abgeordneten aus dem Ruhrgebiet, deren Sprecher Groß ist und die in der Traditionspartei eine gewisse Bedeutung haben. Womöglich liegt Nahles' Entscheidung, die Wahl des Fraktionsvorsitzes von September auf nächste Woche Dienstag vorzuziehen, also ein Missverständnis zugrunde. Von einem "Schabowski-Effekt" sprach am Dienstag ein Abgeordneter in Anspielung auf die Äußerungen des damaligen SED-Pressesekretärs, die zur Öffnung der Berliner Mauer geführt hatten.

In der SPD kommt gerade ganz schön etwas in Bewegung.

Am Montagabend, im ZDF, hatte Nahles in Bezug auf diesen Brief gesagt: "Personelle Debatten halte ich jetzt für nicht sinnvoll, aber da diese Aufforderung an mich ergangen ist als Fraktionsvorsitzende, würde ich sagen: Dann schaffen wir Klarheit."

Am selben Abend, um 21 Uhr, kam der geschäftsführende Fraktionsvorstand zusammen. Nahles hatte ihre Partei mit dem Vorstoß überrumpelt. Es wurde geprüft: Geht das überhaupt, die Vorsitzendenwahl einfach so vorzuziehen? Die Satzung gibt das her. "Der Fraktionsvorstand bestimmt den Termin der Neuwahlen", steht dort. Und: "Wahlen sind mindestens drei Tage vorher anzukündigen."

Ex-Parteichef Schulz soll seine Chancen schon vor dem Sonntag sondiert haben

Aber ganz ohne Diskussion geht es eben auch nicht. Am Dienstagvormittag verschickte der parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider die Einladung zu einer Sondersitzung der Fraktion für Mittwoch. Nahles' Plan, ihre Gegner herauszufordern, hat an Fahrt aufgenommen. Es fehlen jetzt nur noch: Herausforderer. Im Fernsehinterview sagte Nahles, sie habe das Gemurmel gehört, "die ganzen Gerüchte, die da gelaufen sind".

Ex-Parteichef Martin Schulz soll seine Chancen, Nahles abzulösen, bereits vor dem Wahlsonntag sondiert haben. Jedenfalls stellte Nahles ihn zur Rede. Auch ein paar andere Namen werden gehandelt: Achim Post, 60, Chef der Parlamentarier aus Nordrhein-Westfalen und "Seeheimer"; in diesem Kreis haben sich die konservativeren Sozialdemokraten zusammengeschlossen, fast 60 Abgeordnete gehören ihm an. Oder Matthias Miersch, 50, wie Post Fraktionsvize. Miersch ist Sprecher des einflussreichen linken Parteiflügels, der Parlamentarischen Linken mit 76 der insgesamt 152 SPD-Abgeordneten. Auch die Namen von Arbeitsminister Hubertus Heil oder von Generalsekretär Lars Klingbeil bekommt man zu hören. Es wird aber auch einfach viel getratscht in dieser Partei - wie in anderen auch.

Dass nach Nahles' Ankündigung, die Wahl vorzuziehen, nicht sofort viele Finger in die Höhe schnellten, hat seine Gründe. Der Unmut über Nahles in Partei und Fraktion mag groß sein, in Teilen sogar gigantisch. Aber es ist auch jedem, der ins Rennen um den Fraktionsvorsitz geht, klar: Es steht hier sehr viel mehr im Feuer als dieser Führungsposten im Parlament.

Nahles geht jetzt ins volle Risiko. Scheitert sie mit der Wiederwahl, dann ist sie auch als Parteivorsitzende kaum mehr zu halten. Wer Nahles - sollte es tatsächlich am Dienstag zur Wahl kommen - stürzen will, sollte also auch einen Plan für den Parteivorsitz im Kopf haben. Aber dafür drängt sich zurzeit niemand auf. Die Nervosität im Lager der Nahles-Gegner wächst zusehends. Einige - ausgerechnet jene, die gerne betonen, dass es mit Nahles nicht so weitergehen könne - fühlen sich von ihr überlistet.

In gerade mal einer Woche einen Kandidaten für den Fraktionsvorsitz aufzustellen, der eine Mehrheit hinter sich versammeln kann, gilt als äußerst schwierig. Der Regionalproporz muss bedacht werden, die Flügelzugehörigkeit natürlich. Eigentlich auch das Geschlecht - aber im Moment sind es bemerkenswerterweise vor allem Männer, die hektisch telefonieren und wiederum nur Männer im Blick haben, wenn es um einen Herausforderer geht.

Nahles ist die erste Frau an der Spitze von Fraktion und Partei - sie nach so kurzer Zeit von der Führung zu verdrängen und möglicherweise wieder durch Männer zu ersetzen, dürfte hitzige Debatten nach sich ziehen. Es waren ja Männer, die ihre Arbeit regelmäßig schlechtredeten. Darunter einst Mächtige wie die Ex-Chefs Martin Schulz oder Sigmar Gabriel, die jetzt unter Nahles als Chefin in der Fraktion arbeiten - wenn sie denn erscheinen. Weniger einflussreich, dafür umso lauter, ist der bayerische Abgeordnete Florian Post. Der behauptet, "fast jeder" in der Fraktion könne es besser als Nahles.

Der Erste, der prompt absagt, ist Martin Schulz. Der Wochenzeitung Die Zeit sagt er am Dienstag zu einer möglichen Kandidatur: "Diese Frage stellt sich zurzeit nicht." Stattdessen regt er sich über Nahles' Manöver auf. "Diese Wahl ist für September angesetzt." Der Fraktion sollte die Zeit gegeben werden, die letzten Entwicklungen zu analysieren. "Wir sollten Ruhe bewahren und die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit treffen", so Schulz. Miersch und Post haben das Problem, dass sie beide aus jenen Landesgruppen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, kommen, die im vergangenen Jahr maßgeblich zur Unruhe in der Partei beigetragen haben und denen die Hauptstörenfriede Schulz und Gabriel angehören. Beide Politiker gelten nicht als "Postenjäger", wie es in der Fraktion heißt. Die Landesgruppen arbeiten sonst eng zusammen. Es gilt als wahrscheinlich, dass sie sich auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigen würden. Sollte tatsächlich einer von beiden antreten, müsste auch er ins volle Risiko gehen. Gewinnt Nahles nämlich, wäre es für den Unterlegenen schwierig, unter ihr als Stellvertreter weiterzuarbeiten, als wäre nichts passiert.

Karl Lauterbach ist auch Fraktionsvize, er kommt aus NRW wie Achim Post. Er gehört der Parlamentarischen Linken an wie Miersch. Lauterbach findet gut, dass Nahles die Wahl vorzieht. Wenn Personaldebatten geführt werden müssten, dann bitte kurz und schnell. Bei seinen Gesundheitsthemen habe er viel mit Nahles erreicht. "Ich würde mich freuen, wenn die Arbeit mit ihr weitergeht", sagt er der Süddeutschen Zeitung. Trotzdem wünscht er sich die Wahl und Gegenkandidaten - damit danach Ruhe einkehren kann. Kommt davor der große Knall? Wird sich zeigen. Am Dienstag macht ein neues Gedankenspiel der Nahles-Gegner die Runde. Womöglich tritt niemand gegen sie an. Und sie bekomme trotzdem ein schlechtes Ergebnis. Ein Abgeordneter räumt ein: "Das wäre feige."

© SZ vom 29.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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