SPD:"Geordnete Veränderung" statt radikale Forderungen

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Die SPD-Spitze ist bereit, von ihren Maximalforderungen abzurücken. (Foto: dpa)
  • Während die neue SPD-Spitze Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans im letzten Jahr noch mit einem Ausstieg aus der Groko geliebäugelt haben, ist davon jetzt keine Rede mehr.
  • Zwar machen beide eher linke Vorschläge wie eine Bodenwertsteuer oder eine Reform der Rentenversicherung, die Koalition wird aber nicht in Frage gestellt.
  • Das liegt auch, aber nicht nur, an internationalen Entwicklungen.

Von Mike Szymanski, Berlin

Die Sehnsucht nach einem raschen Ende der großen Koalition in der SPD kommt und geht. Gerade ist wieder besonders wenig davon zu spüren. Von diesem Donnerstag an kommen die Bundestagsabgeordneten zur zweitägigen Jahresauftakt-Klausur in Berlin zusammen. Ein Schwerpunkt soll die EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte sein. Auf die Frage, ob die SPD dann überhaupt noch Teil der Regierung sein wird, sagt Gabriela Heinrich, Fraktionsvize: "Damit plane ich. Sonst hätten wir das Thema gar nicht auf die Agenda gesetzt." 2020 bleibt die SPD für sie: Regierungspartei.

Selbstverständlich ist das nicht. Zu erwarten gewesen wären zumindest Zweifel, denn seit Dezember führen Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken die SPD. Er, 67 Jahre alt und früherer Finanzminister aus NRW, dürfte sich als Groko-Skeptiker angemessen bezeichnet fühlen. Seine Co-Chefin, die Digitalpolitikerin Saskia Esken, 58, gefiel sich - jedenfalls so lange der Wettbewerb um die Parteispitze noch lief - ganz gut in der Rolle der Groko-Gegnerin, die bereits Sollbruchstellen aufzeigte. Nur, davon ist längst nicht mehr die Rede.

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Die neue SPD-Spitze startet - gemessen an den Forderungen, die die Co-Chefs in Interviews - mal alleine, mal gemeinsam - über den Jahreswechsel aufstellten, voller Tatendrang ins neue Jahr: Sie wollen eine Bodenwertsteuer einführen, um mehr Geld für günstiges Wohnen abzuschöpfen, und mit der Union über ein generelles Tempolimit auf den Autobahnen sprechen. Gutverdiener sollen mehr in die Rentenversicherung einzahlen. Nebenbei findet Walter-Borjans Zeit, die neue Kassenbonpflicht zu verteidigen. Beide reden gerade gerne und über vieles, springen von Thema zu Thema, nur eines halten sie klein: Was wird aus der großen Koalition?

Die Frage ist eigentlich noch offen, und doch wirkt es, als sei sie schon beantwortet. Nach dem Mitgliedervotum, das die beiden an die Spitze der SPD hievte, kündigten Esken und Walter-Borjans Gespräche mit der Union darüber an, was in dem Bündnis noch zu erreichen ist. Die SPD-Chefs wollen zusätzliche Milliarden in Infrastruktur investieren, den Mindestlohn von zwölf Euro - eigentlich sofort. Und mehr Klimaschutz. Vor Weihnachten traf man sich zum Kennenlernen, Ende Januar soll konkret gesprochen werden.

"Rote Linien" werden bewusst nicht mehr gezogen

Längst ist die SPD-Spitze dabei, von Maximalforderungen abzurücken. Beim Mindestlohn etwa besteht Esken nicht auf eine Erhöhung auf zwölf Euro in einem Schritt, sie müsse "substanziell" sein, heißt es nun. Und es soll jetzt auch keinen Termin mehr mit Showdown-Charakter geben, einen, der alles entscheidet: Bleiben oder gehen? Auch nicht Ende Januar, wenn man sich wieder in der Koalition zusammensetzt. "Rote Linien", sagt eine führende Sozialdemokratin, würden bewusst längst nicht mehr gezogen.

In der SPD existiert schon ein Begriff für die Politik der Neuen: "Geordnete Veränderung". Vor allem Walter-Borjans, heißt es in der SPD, soll nicht bereit sein, Extremerwartungen wie etwa jene nach einem sofortigen Groko-Aus zu bedienen. Das Problem ist nur, er und vor allem Esken haben genau diese Erwartungshaltung über Monate bedient. Es gibt Enttäuschte an der Basis, die sich unter den Neuen einen radikaleren Schnitt wünschen. Aber bislang hält sich der Frust, der nach außen dringt, in Grenzen. Was tatsächlich unter Walter-Borjans und Esken anders wird - oder auch nicht -, lässt sich nach so kurzer Zeit nicht seriös beantworten. Sie haben gerade erst angefangen.

Allerdings dürften die politischen Entwicklungen in der Welt dazu beitragen, dass die Frage nach einem vorzeitigen Ende des Bündnisses wohl weiter in den Hintergrund rückt. Im Nahen Osten wächst die Kriegsgefahr, seitdem die USA und Iran ihre Spannung mit Gewalt austragen. Und die Bundeswehr steckt mittendrin. Der SPD-Außenpolitiker Achim Post sagte der Süddeutschen Zeitung: "Die dramatische Zuspitzung des US-Iran-Konflikts zeigt wie unter einem Brennglas: Es geht 2020 für Deutschland kaum mehr um die theoretische Frage, ob die Koalition hält."

Folgt man seiner Argumentation, hat die SPD überhaupt keine Zeit für einen vorzeitigen Ausstieg: "Es geht gerade außen- und europapolitisch um praktische Antworten und pragmatisches Handeln der Bundesregierung. In den nächsten Tagen im Nahen Osten, in den nächsten Wochen beim EU-Austritt Großbritanniens und in den nächsten Monaten bei Deutschlands enormer Verantwortung während seiner Ratspräsidentschaft in Europa."

Und danach? Ist sowieso Wahljahr.

Die Klausur mit den Abgeordneten will Fraktionschef Rolf Mützenich als Arbeitstreffen verstanden wissen. In vier Arbeitsgruppen sollen die Parlamentarier ihre Vorhaben für 2020 festzurren. Als Gast kommt Reiner Hoffmann, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Er ist klar in seiner Position: Für diese Koalition gebe es noch genug zu tun.

© SZ vom 09.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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